Deutschland/BG/Ö 2017 · 121 min. · FSK: ab 12 Regie: Valeska Grisebach Drehbuch: Valeska Grisebach Kamera: Bernhard Keller Darsteller: Meinhard Neumann, Reinhardt Wetrek, Syuleyman Alilov Letifov, Veneta Frangova, Vyara Borisova u.a. |
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Club der schweigsamen Männer |
»Wo soll es hingehen?« – »Nach Bulgarien, zum Arbeiten.« – »Arbeiten kannst du auch in Deutschland.« – Die Sätze des Dialogs fallen am Anfang, und so sind gleich ein paar Themen dieses Films zu Anfang gesetzt: Das, was man auch in Deutschland kann und nicht kann, und warum es sich möglicherweise lohnen könnte, von dort wegzugehen. Und Bulgarien, der Ort, wo man das tun kann, was man auch in Deutschland tun kann, und noch ein paar andere Dinge. Der Ort des Anderen, für Deutsche jedenfalls.
Auf den ersten Blick ist alles einfach. Ein Western halt, Hahnenkämpfe und Schweigsamkeit. Eine Männerwelt: Harte Jungs – aber es spielt in der Gegenwart, die Männer sind eine Handvoll deutscher Arbeiter, die nach Bulgarien auf Montage reisen. Muskelpakete, tätowiert und verschwitzt.
Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet dieser Film, ein Film, der mit Laien inszeniert ist, sich als der überraschendste und in vieler Hinsicht bislang beste deutsche Film des Jahres entpuppt. Er heißt Western und stammt von der Berlinerin Valeska Grisebach. Vor elf Jahren gewann sie mit Sehnsucht, der gleichfalls mit Laien inszeniert war und eine sehr einfache Geschichte erzählte, bei der Berlinale einen Preis – seitdem hatte man kaum etwas von ihr gehört. Mit ihrem zweiten Langfilm, der bereits in der Nebenreihe »Un Certain Regard« in Cannes gezeigt wurde, feierte sie ein triumphales Comeback.
Valeska Grisebachs zweiter, mit Laien gedrehter Langfilm Western eröffnet schon durch seinen Titel einen ganzen Assoziationsraum aus Mythen und Genre-Stereotypen, den die Regisseurin souverän bespielt: Natürlich kommen Pferde vor, Waffen, Pokerspiel und Saufen im Saloon, und Eingeborene, allerdings keine Apachen, sondern Bulgaren die die Fremden allerdings ähnlich misstrauisch beäugen, als handle es sich um eine Kavallerieeinheit des General Custer.
Man kennt die ganzen Western-Mythen, die Grisebach anzitiert, das macht aber nichts. Sie dekonstruiert sie sogleich. Faszinierter als den alten gibt sie sich den modernen Männerwelten hin, den Muskeln und Sprüchen, dem Weichen und Harten.
Am Interessantesten ist, was sie filmisch tut, wie präsize sie inszeniert, wie souverän, und wie leichthändig trotzdem alles wirkt – ohne jede Schwermut. Selten konnte man in den letzten Jahren einen Film sehen, der mit Laien gedreht wurde
und zugleich so stark und so dicht ist.
Eine rundum positive Figur gibt es hier nicht. Die Hauptfigur trägt einen sonderbar altmodischen, wie aus der Zeit gefallenen Namen: Sie heißt Meinhard. Der zweite, besonders interessanter Charakter ist Vincent – Meinhards Chef und Antipode.
»Und bist 'nen Schlitzohr?«, fragt Vincent Meinhard bei einer ihrer ersten Begegnungen. Ob er das ist, fragt man sich bis zuletzt.
Meinhard ist steht oft an der Seite, guckt zu, lächelt leicht spöttisch. Schüchternheit mischt sich mit Selbstbewusstsein. Das drückt Distanz zu den Dingen aus, und weil dieser dabei aus seinem Schnurrbart heraus immer so freundlich geheimnisvoll lächelt, provoziert das die anderen. Glaubt er, er sei etwas Besseres?
Dabei ist Meinhard vielleicht nur verlegen und kontaktarm. Aber er scheint von großer Konsequenz zu sein, und hat hinter der sanften Oberfläche auch eine innere Härte. Er widerspricht auch nicht, als manche glauben, er sei in der Fremdenlegion gewesen, ihm andichten, er habe in Afghanistan und im Irak gekämpft, davon ausgehen, er wisse, wie es ist, jemanden zu töten. Vielleicht stimmt das ja auch alles.
Aber Meinhard verhält sich letztendlich auch ambivalent. Er ist von der neuen Welt in Bulgarien fasziniert, aber er kann hier doch nie wirklich ankommen.
»Why are you in Bulgaria anyway?«, wird er am Schluss gefragt, »Warum bist du überhaupt in Bulgarien?« »Mich hält nix zu Hause«, ist seine Antwort. Meinhard versteht das Gefühl nicht, das viele für ein urdeutsches halten: »Was ist Heimweh?«
Western ist ein skeptischer Film, der vor allem von den Illusionen des Zusammenkommens der Kulturen handelt. Man kann weggehen von Zuhause, aber man kann nie wirklich verschmelzen mit dem Neuen – das scheint Grisebach uns erzählen zu wollen.
Der Film handelt auch von Macht, und von denen, die die Macht in der Welt haben. Den Deutschen, den Engländern, den Amerikanern. Von der Freiheit und vom Darwinismus, dem Recht des Stärkeren. Gewalt spielt eine
große Rolle. Als Gerücht, Meinhard sei Legionär gewesen, und habe getötet. Als Gewalt der Ökonomie, die man den Deutschen immer unterstellt. Und als Gewalt der Waffen, die in diesem Film, wie im klassischen Western, gebraucht werden.
Der ehemalige Ostblock ist für uns Deutsche, für Politik, Wirtschaft, aber auch den Kulturbetrieb, schon lange das, was Mexiko für die USA ist – eine bundesdeutsche Frontier. Und so handelt Western nicht nur von Männerritualen und von Deutschen ohne Heimweh, auch von einer deutschen Landnahme und sogar indirekt von sich selbst: Deutschen, die in Bulgarien einen deutschen Film drehen.
Vor allem aber erzählt er von der Illusion der Annäherung. Sie
wollen, aber sie können nicht zusammenkommen, diese Deutschen und Bulgaren.