USA 2013 · 130 min. · FSK: ab 12 Regie: Alex Gibney Drehbuch: Alex Gibney Kamera: Maryse Alberti Schnitt: Andy Grieve |
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Keine Antworten, aber Material zum Nachdenken |
Man sollte gleich zu Beginn einmal das idealistische Mäntelchen fallen lassen, mit dem in diesem Fall viele umgeben werden, sich selbst gern umgeben. Kämpft hier Gut gegen Böse? Wahrscheinlich schon; das Problem ist halt nur, das jede Seite von sich meint, das Gute zu verkörpern. Man würde Leute Michael Hayden nämlich einfach unterschätzen, ihm auch nicht gerecht werden – weder moralisch, noch politisch –, würde man nicht anerkennen, dass hier einer am Werk ist, der nicht weniger Überzeugungstäter ist, als die Whistleblower Julian Assange, Bradley Manning und Edward Snowden. Mit großer Offenheit gibt der langjährige (1999-2005) Chef der NSA- und spätere kurzzeitige (2006-2008) CIA-Chef hier seine Sicht der Dinge preis: »We steal secrets«/»Wir stehlen Geheimnisse« – der Titel des films stammt von ihm, nicht von WikiLeaks. Diese Interview-Sequenzen mit Hayden, gedreht lange vor Snowdens Enthüllungen, sind einer der Höhepunkte der sehenswerten Dokumentation. Regisseur Alex Gibney präsentiert auch ansonsten viele bisher unveröffentlichte Materialien, führt Interviews mit zahlreichen Beteiligten und berichtet, wie WikiLeaks entstand.
»To make a difference« – man kann es auf Deutsch nicht so gut sagen, wie die Amerikaner, um was es hier am Ende geht: Was ist die Triebkraft unseres Handelns? Warum tun wir, was wir tun? Geld, Sex, Ruhm – natürlich... die üblichen Verdächtigen werden zitiert, auch da, wo es offenkundig keinen Sinn macht. Vielleicht gibt es ja auch so etwas wie ethischen Eigennutz. Vielleicht gibt es das Gefühl, man solle etwas tun, weil es einem dann selber besser geht, unabhängig von den Folgen. In dieser Art des Handelns liegt natürlich eine Selbstermächtigung: Wer so denkt, glaubt, »es« besser zu wissen, als die anderen; er glaubt, er könne entscheiden, was Gut und Böse ist. Wer so denkt, ist asozial. Er nimmt keine Rücksicht auf die Gesellschaft, und deren notgedrungen vielschichtige und widerstreitende Werteordnung, auf die Tatsache, dass Gesellschaften vom Einzelnen auch verlangen können, sich selbst zurückzunehmen, und dass in solcher Anpassungsleistung gerade ein Merkmal von Zivilisation liegt. Der Barbar tut, was er will. Der moderne Mensch tut, was er muss.
Wo ist, auf dieser Linie, der Platz von Julian Assange? Für die US-Regierung ist er ein Verräter, für den Rest der Welt ein Held der freien Meinungsäußerung: Assange, der Gründer der Enthüllungs-Website WikiLeaks. In seinem Doku-Essay We Steal Secrets: The Story of Wikileaks porträtiert der Dokumentarfilmregisseur und Oscar-Preisträger Alex Gibney Assange und Wikileaks mit scharfem Blick. Nicht unkritisch nach beiden Seiten untersucht er die Motive und
Beweggründe für Wikileaks. Und er erzählt den Fall des Obergefreiten Bradley Manning, der rund 700 000 geheime Dokumente an WikiLeaks weitergeleitet haben soll, und des Mannes, der wiederum ihn auffliegen ließ, des Hackers Adrian Lamo. Sind diese drei Männer Verräter oder Helden? Patrioten oder Terroristen? Auch diese Frage stellt der Film: Was ist überhaupt ein Verräter? War Brutus ein Held? Ein Terrorist? Ein Verräter? Stauffenberg? Ulrike Meinhof? Günter Guillaume?
Julian
Assange, Bradley Manning und Edward Snowden dagegen werden als Helden gefeiert. Obwohl sie doch das Leben von Soldaten und Undercover-Agenten gefährdet haben. Aber offenbar haben sie in den Augen vieler »die Richtigen« gefährdet. Wo gehobelt wird, da fallen Späne.
Gibney Film ist sehr »amerikanisch«, im guten wie im schlechten Sinn des Wortes: Er ist zugänglich, einfach, »easy going«, er ist informativ, leicht verdaulich, schnell geschnitten, flüssig und ohne ästhetische Irritationen – moralische natürlich schon. Er ist spannend wie ein Spionage-Thriller. Inhaltlich ist nichts wirklich neu – wenn auch 95 Prozent der Zuschauer kaum alles wissen dürften, was sie wissen könnten. Die Synthese des Materials ist der Wert des Films. Je länger er dauert, um so mehr wird der Film zu einem nachdenklichen Essay über den Charakter der Staatsraison.
Die Guten sind also im eigenen Selbstverständnis alle. Ob sie wirklich Idealisten sind, und sei es nur im eigenen Selbstverständnis, liegt im Auge des Betrachters. Aber wenn sie es sein sollten – würde es Dinge dann automatisch besser machen? Man verbleibt auf der Ebene reiner Gesinnungsethik, wenn man den Kontext des Handeln und seine Folgen ignoriert. Es macht den Fall WikiLeaks im Gegenteil gerade besonders interessant, dass Assange und seine Mitstreiter sich zwar zu
Vorkämpfern von Demokratie, Transparenz und Öffentlichkeit stilisieren, dass sie aber in der Praxis ihre Handelns nicht weniger undemokratisch, intransparent und klandestin agieren, als diejenigen, die sie bekämpfen, und denen sie eben diese Handlungsweise vorwerfen.
Geheimdiensten vorzuwerfen, dass sie geheim handeln, macht auch wenig Sinn. Vielleicht sollte man umgekehrt – dies einmal probeweise formuliert – auch WikiLeaks als eine Art Geheimdienst
betrachten, freilich einen Geheimdienst anderer Art: Einen im Dienst des Nicht-Institutionellen, Nicht-Nationalen, der Weltgesellschaft.
Die grundsätzliche Problematik der Idee der Transparenz ist damit dann noch gar nicht angesprochen. »Es geht nicht um WikiLeaks, es geht um Transparenz. Wer hat die Kontrolle über die Information?« sagt Assange in Gibneys Film. Das ist seine Position und die Konsumenten der Kommunikation, die Ex-Bürger unserer post-demokratischen Gesellschaften werden dem zustimmen – ist doch toll, wenn alles alles von allen wissen, oder? Wenn keiner was geheim halten darf. Klar – soooo war das natürlich nicht gemeint.
Eine Grundsatzkritik am Transparenzgedanken als solchem hat der deutsch-koreanische Philosoph Byun-chul Han in seinem großartigen Buch »Transparenzgesellschaft« in konziser Form vorgetragen. Transparenz ist nach Han ein systemischer Zwang, der die gesamten gesellschaftlichen Prozesse erfasst und sie einer gravierenden Veränderung unterwirft. Das gesellschaftliche System setzt heute all seine Prozesse einem Transparenzzwang aus, um sie zu operationalisieren und zu beschleunigen. Der Imperativ der Transparenz macht uns außerdem zu Sklaven der Sichtbarkeit. Die Transparenzgesellschaft ist eine pornografische, ausgestellte Gesellschaft. Wenn das stimmt, wären WikiLeaks nur die Agenten einer neuen konsumistisch maskierten Kontrollgesellschaft, die das Internet als digitales Panoptikum installiert.
Bleibt das Argument, hier kämpfe David gegen Goliath. Ist Assange also ein David im modernen Gewand, der es mit einem übermächtigen Riesen aufnimmt? In Gibneys Film erscheint seine Geschichte vor allem als die eines etwas wichtigtuerischen alternden Studenten, der durch glückliche (oder unglückliche?) Umstände zum Rock-Star unter den Hackern wurde, als Narziss mit Lancelot-Anmutung und Don-Quixote-Manieren, der mit fünf Blackberrys hantiert, und gern die Welt erklärt. Ein Idealist, den die eigene Egomanie zu Fall gebracht hat?
»We help to get the truth out. If you have this material, give it to us. No questions ask – and you help to change history.« so Assange im Film. Um nicht weniger als das Verändern der Geschichte geht es Assange also. Bescheidenheit sieht anders aus.
In diesem mythischen David-Goliath-Szenario vergessen wir aber die beiden anderen Mitspieler: Leviathan und Behemoth. Zeitgenössischer formuliert: China und Russland. Vielleicht ist die Frage trotz allem erlaubt, inwiefern ihnen Whistleblower wie Snowden und Assange in die Hände spielen?
Nicht jeder Gesinnungsethiker ist aber Einzeltäter. Nur bewegen sich solche Gesinnungstäter – und auch hier entdeckt man leider erstaunliche Parallelen zwischen Assange und George W. Bush – nicht in Gesellschaften, sondern in Gemeinschaften. Sie umgeben sich mit Gleichgesinnten. Es sind Gemeinschaften aus Jasagern, die sich da bilden, aus Unkritischen. Daraus kann auf die Dauer nichts Gutes werden. Derartige Gemeinschaften schotten sich ab gegen die Außenwelt, sie entwickeln eine Binnensicht auf sie und eine Binnenmoral. Sie werden mit anderen Worten sektiererisch.
Vielleicht muss es aber so sein, dass diejenigen, die gegen Macht und Gewalt aufstehen, Gegenmacht und Gegengewalt entwickeln. Vielleicht muss es so sein, dass sie wie ein Geheimbund, also arkan und sektiererisch agieren.
War Brutus ein Held? Ein Terrorist? Ein Verräter? Stauffenberg? Ulrike Meinhof? Günter Guillaume? Was dem einen sein Terrorist ist dem anderen sein Freiheitskämpfer. Was einst die Kirchen waren, sind heute die Botschaften von Ländern jenseits des »freien« Westens. Und die Dissidenten unseres Zeitalters kommen aus dem Westen. Seit über einem Jahr sitzt Julien Assange in London in Ecuadors Botschaft. Kommt er da je wieder raus? Edward Snowden ist der neueste David, der gegen den Goliath des amerikanischen Sicherheitsapparats aufstand und nun verzweifelt nach einem Land sucht, das ihm einen Pass gibt. Die Parallelen zwischen Snowden und WikiLeaks sind offenkundig, und sie machen diesen Film noch aktueller.
Im Zweifelsfall wird man Assange und Snowden zumindest zugestehen, dass sie den Verrat verraten, dass sie jenseits von persönlicher Eitelkeit und Defiziten auf Missstände und permanenten Verfassungsbruch hinweisen. Auf die Doppelmoral des Westens, die seine Existenz zunehmend gefährdet. Denn der spezifische Unterschied zwischen dem Westen einerseits und China und Russland andererseits ist ja der, dass diese Staaten nicht behaupten im Namen von Freiheit und Werten zu agieren. Sie geben zu, dass es ihnen um nichts geht, als um ihre Interessen. Vielleicht sollte der Westen, dies auch endlich tun, und darauf vertrauen, dass unsere Interessen am Ende doch attraktiver sind, als die der anderen.
Was hat man also zu halten von der Kritik an Gibneys Film, die aus der WikiLeaks-Gemeinde in die Real-World schwappt, Assange hat sich dem Film verweigert, kein Interview geben wollen. Alles was man von ihm sieht ist altes, eingekauftes Material – was dieses nicht falsch oder wertlos macht. Interviewt werden stattdessen seine Kritiker aus der Szene, etwa Daniel Domscheit-Berg und den britischen Journalisten James Ball. Von den politischen Fragen lenke Gibney mit seiner Herangehensweise ab, lautet die Kritik an seinem Film. Er vermenschliche und entpolitisiere. Tatsächlich stellt der Film systemkritische Fragen nur indirekt. Er bemüht sich um Fairness, auch für die andere Seite. Er ist sich nicht sicher, ob er zu David halten soll. Und das auch Goliath verwundbar ist, hat ja die Geschichte schon in der Bibel gezeigt.
Sind die »Whistleblower« also Urdemokraten, Vorkämpfer von Transparenz und Freiheit? Oder gefährden sie unser aller Sicherheit? Kann man die Reaktion der Regierungen verstehen? Sind Geheimnisse zur Verteidigung der Demokratie nötig oder nicht gerade das Ende aller Demokratie? Ist die Idee einer »Demokratisierung von Information« naiv, oder gerade die richtige Provokation im Zeitalter der »Alternativlosigkeit«? Brauchen wir solchen Idealismus oder ist der nur
vorgeschoben? Kollabiert mit den Fällen Wikileaks und Snowden die Idee des »Informationszeitalters«?
Dies sind die Fragen, die wir beantworten müssen. Gibneys Film beantwortet sie nicht. Er liefert immerhin aber Material zum Nachdenken.