Deutschland 2021 · 84 min. · FSK: ab 12 Regie: Erec Brehmer, Angelina Zeidler Drehbuch: Erec Brehmer, Angelina Zeidler Kamera: Erec Brehmer, Angelina Zeidler Schnitt: Erec Brehmer |
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Tod, wo ist dein Stachel? | ||
(Foto: Erec Brehmer) |
Es ist dieser eine berüchtigte Moment, der das ganze Leben verändert. Ein kurzer Augenblick der Unachtsamkeit und alles liegt in Scherben. Der Münchner Jungregisseur Erec Brehmer erzählt in Wer wir gewesen sein werden von diesem Moment, der sein Leben aus der Bahn warf – und das seiner Freundin Angi beendete.
Diesen Film, der Brehmers erste Eigenproduktion und gleichzeitig sein Dokumentarfilmdebüt ist, als persönlich zu bezeichnen, wäre zweifellos schon untertrieben. Dreh- und Angelpunkt ist das Jahr 2019, in dem seine Freundin Angi nach einem gemeinsamen Skiausflug ihr Leben bei einem Autounfall verlor. Er selbst überlebte schwer verletzt. Aber wie man sich denken kann, körperliche Wunden heilen einfacher als seelische. Ob zweitere überhaupt je Schnee von gestern sein können, daran lässt dieser Film doch große Zweifel. Wer wir gewesen sein werden lässt nun alles Revue passieren, nicht nur diese Tragödie, sondern das gesamte Beziehungsleben der beiden, angefangen vom Kennenlernen bei Tinder, über alle Aspekte des gemeinsamen Lebensaufbaus bis zu den Plänen von dem, was noch kommen sollte. Material für diese Sammlung hat Brehmer genug, immerhin war die Kamera die ständige Begleiterin des Vollblutfilmemachers. So sind unzählige Video-Schnipsel entstanden, vermischt mit Fotos, Sprachnachrichten und Chat-Screenshots, lässt er Angi wieder lebendig werden. Dabei sind es gerade die scheinbar nebensächlichen Dinge, die ein plastisches Bild entstehen lassen, zum Beispiel, dass Angi eher Katzen- als Hundemensch war, zu den großen Hobbys das Schnorcheln zählte und sie es mit ihrer neuen Stelle als Bierbrauerin sogar in die Zeitung schaffte. Und wirklich hat man nach kurzer Zeit das Gefühl, man würde beide persönlich kennen. Natürlich ist es klar, dass Brehmer nicht jedes einzelne Detail in die Öffentlichkeit stellt, aber dass ein Filmemacher die Karten dermaßen offen auf den Tisch legt, hat man in den letzten Jahren selten gesehen.
Nun ist Wer wir gewesen sein werden aber nicht nur ein Film über die verstorbene Angi, sondern ein ganz universales Zeugnis der Trauerarbeit. Auch die Zeit nach dem Unfall wurde detailliert dokumentiert. Hier zeigt sich nun die größte Qualität dieses Werkes, nämlich dass es trotz der persönlichen Thematik jeden Zuschauer an einem bestimmten Punkt abholt. Dabei ist es ganz egal, ob man selbst einen vergleichbaren Trauerfall bereits erlebt hat oder nicht. Es wäre allzu leicht, den Film als bloßen Seelen-Striptease und Nabelschau abzutun, genau diese gezielte Selbstdarstellung ist es, die einen tieferen Eindruck hinterlässt als eine »objektive« Vorgehensweise. Das emotionale Hin und Her, die Hoch- und Tiefphasen, die aufkeimende Hoffnung und der Rückfall in das tiefste seelische Loch – all das zeigt Erec Brehmer so direkt, dass man sich schon selbst in seiner Situation sieht. So ist der Film letzten Endes weit mehr als ein Tagebucheintrag, sondern – so schlimm es auch erst klingt – schon ein Lebensratgeber. Natürlich, ohne dabei aufdringlich in abgedroschene Plattitüden zu fallen.
Die Landeshauptstadt München belohnte ihn dafür in diesem Jahr mit dem Starterfilmpreis. Die damit verdienten 8000 Euro sollen in die Postproduktion des nächsten Projektes gesteckt werden. Wenn man bedenkt, dass die Kosten für Wer wir gewesen sein werden nur rund 3000 Euro betrugen, darf man gespannt sein, was sein Macher mit höherem Budget und der Bereitschaft zu Experiment und bedingungsloser Offenheit als Nächstes erschaffen wird. Bis dahin lohnt sich die Auseinandersetzung mit diesem Werk, einer Reise ins Herz seines Regisseurs, von der man einiges für den eigenen Weg mit seinen Stolperstellen mitnehmen kann. Nicht zuletzt die Erinnerung daran, was das Leben wirklich lebenswert macht und dass auch der Tod es nicht schafft, das komplett auszulöschen.