USA 2022 · 117 min. · FSK: ab 12 Regie: Darren Aronofsky Drehbuch: Samuel D. Hunter Kamera: Matthew Libatique Darsteller: Brendan Fraser, Sadie Sink, Ty Simpkins, Hong Chau, Samantha Morton u.a. |
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Von Angesicht zu Angesicht... | ||
(Foto: Plaion Pictures/Studiocanal) |
»I am not an elephant! I am not an animal! I am a human being! I … am … a … man!« – John Merrick
»Nach der Entfernung des Magenballons dauerte es nicht lange, bis sie wieder zunahm. Nicht sprunghaft, sondern allmählich. Und obwohl wir es nie aussprachen: Für Jessy und mich fühlte sich das an wie ein Triumph.« – Daniela Dröscher, Lügen über meine Mutter
Wer an Darren Aronofskys Filme denkt, wird vor allem Black Swan (2010) mit Natalie Portman und The Wrestler (2008) mit Mickey Rourke vor Augen haben, Filme, die, so unterschiedlich ihre Soziotope auch sind, sich dann doch in ihrer zentralen Aussage kreuzen: ein von seelischem und körperlichem Leid bestimmtes Leben, das am Ende nur durch die Selbstermächtigung und Überwindung des Körpers und den möglichen Tod gerettet werden kann. In Aronoskys letzten Filmen Noah (2014) und Mother! (2017) ist von diesen beeindruckenden Psychogrammen versehrter Körperlichkeit kaum mehr etwas zu sehen, ist es vielmehr ein philosophisch-religiöser, manchmal fast schon surrealer und symbolischer Ansatz, der die Erzählung trägt.
In Aronofskys neuem Film The Whale scheint Aronofsky diese sehr unterschiedlichen Ansätze zusammenführen zu wollen. Über das gleichnamige Theaterstück von Samual D. Hunter, der auch das Drehbuch schrieb, führt Arnofsky erneut eine zentrale Gestalt ein, die unter ihrer Körperlichkeit und den Erwartungshaltungen der Umwelt erdrückt zu werden droht. Was im Fall des knapp 300 Kilogramm schweren Charlie (Brendan Fraser) tatsächlich eine reale Gefahr ist. Doch so wie in Black Swan und The Wrestler lässt sich Aronofsky Zeit, den versehrten Körper seines Helden zu erforschen und ihn in einem zweiten Schritt mit den gesellschaftlichen Zeichen der Zeit zu amalgamieren, dem Jahr 2016 und der Wahl Donald Trumps. Und einem Charlie, der, obwohl Corona noch lange nicht vor der Tür steht, als Literaturprofessor ausschließlich online unterrichtet, bei abgeschalteter Kamera.
Wie in einem Theaterstück gehen in Aronofskys Film immer wieder Türen auf und Türen zu, gibt es Auftritt und Abgang, besucht ihn seine Freundin und Krankenschwester Liz (Hong Chau), ein evangelikaler Wanderprediger (Ty Simpkins) und schließlich auch seine Tochter Elly (Sadie Sink) aus seiner geschiedenen Ehe, die er seit Jahren nicht gesehen hat.
Das ist fast schon klassisches Kammerspiel, mehr noch als hier auch über viel Schweiß, Tränen, laute und leise Worte, also intensivste Gruppentherapie, eine Katharsis provoziert wird, die den Schlusseinstellungen in Aronofskys Black Swan und The Wrestler fast schon gespenstisch gleicht.
Aber The Whale ist dann bei weitem nicht nur Kammerspiel um einen adipösen Mann, für den Brendan Fraser zwar mit einem Oscar ausgezeichnet wurde, aber auch heftig kritisiert wurde. Denn die Darstellung eines dicken Manns mit Hilfe einer 130 Kilogramm schweren Fett-Prothese entspricht »beileibe« nicht den immer rigider werdenden Richtlinien für Diversität, Inklusion und Gerechtigkeit, wurde Fraser und Aronofsky außerdem vorgeworfen, die Stereotypen über dicke Menschen – depressiv, verwahrlost und fresssüchtig – zu bedienen.
Bei dieser oberflächlichen Kritik wird übersehen, dass The Whale wie schon einmal gesagt weit mehr als nur ein Kammerspiel über einen dicken Mann ist, ein Kammerspiel, das an sich schon einer fundierten psychologischen Studie gleicht und das Dicksein eben nicht auf stereotype Tatsachen reduziert, sondern wie in Daniela Dröschers großartigen Lügen über meine Mutter eine psycho-soziale Spurensuche ohnegleichen unternimmt und das Dicksein nicht nur als intrafamiliären Hilferuf, sondern auch als gesellschaftlichen Protest demaskiert.
Wie notwendig dieser Protest ist, soll natürlich nicht nur der kurz im Fernsehen eingeblendete Donald Trump zeigen, sondern wird mehr und mehr über die familiäre Vergangenheit von Charlie erklärt und die Besuche, die er erhält. Dadurch wird mit jeder Szene mehr deutlich, wie tief der Riss nicht nur durch die politische Landschaft der USA geht, sondern sich bereits im Kernfamilienmilieu manifestiert hat.
Was Aronofskys Film jedoch besonders macht, ist, dass er bei diesem wichtigen Punkt, den ja inzwischen fast jeder zweite Film aus den USA in irgendeiner Weise ventiliert, nicht Halt macht, sondern über die walartige Wucht seines Helden Charlie und das Essay seiner Tochter über Melvilles Moby Dick, das sie Jahre zuvor im Englischunterricht geschrieben hat, die Symbolik seines letzten Films Mother! mit seinen Mother Earth-Implikationen aufgreift und deutlich macht, dass weder Staat noch Religion unsere destruktive Gegenwart mehr bewältigen können. Und es tatsächlich einer ganz neuen Körperlichkeit und Selbstermächtigung bedarf, um wieder »Mensch« zu sein und unsere Erde zu retten.
Das erinnert nicht nur in der Darstellung des Andersseins an David Lynchs von John Hurt dargestellten Elefantenmensch, die Geschichte des in viktorianischen Zeiten lebenden John Merrick. Doch Aronofsky geht über unsere unmittelbare Gegenwart dann noch einen Schritt weiter hinaus und fordert erheblich mehr als nur die Anerkennung des Andersseins und den Schutz dieses Andersseins. Stattdessen fordert er beide Seiten – Täter wie Opfer – zu Veränderungen auf, die vor allem darin liegen, so etwas wie unerbittliche, völlig transparente Ehrlichkeit in unseren Alltag zu integrieren.
Größeres kann man wohl kaum fordern, aber man muss wohl in Wal-Dimensionen denken, um als Mensch zu überleben.
»Ich bin froh, dass ich kein Dicker bin/
Denn dick sein ist 'ne Quälerei/
Ich bin froh, dass ich so'n dürrer Hering bin/
Denn dünn bedeutet frei zu sein/
Mit Dicken macht man gerne Späße/
Dicken haben Atemnot/
Für Dicke gibt’s nichts anzuziehen/
Dicke sind zu dick zum Fliehen/
Dicke haben schrecklich dicke Beine/
Dicken ham 'n Doppelkinn/
Dicke schwitzen wie die Schweine/
Stopfen, fressen in sich 'rin«
– Marius Müller-Westernhagen: »Dicke«
»Moby Dick« – man hätte es wissen können. Man hätte es spätestens wissen müssen, als der Titel des Films über die Leinwand flimmerte, dass das berühmteste Buch des berühmten US-amerikanischen Romanschriftstellers Herman Melville irgendwann auftauchen würde in diesem Film.
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Es geht los mit einer anderen pädagogischen Übung. Dem Lob der Regeln: »Ich weiß, diese Regeln fühlen sich vielleicht einengend an. Aber der Sinn dieses Kurses besteht darin zu lernen, klar und überzeugend zu schreiben. Denkt drüber nach. Denkt über die Wahrheit eure Argumente nach.« Oh hätte Darren Aronofsky doch selber ein bisschen nachgedacht.
Aber so wie die erste Szene ist dieser ganze Film: Pädagogisches Erklär- und Gebote-Kino. »Du sollst Mitleid haben«; »Du sollst diesen hässlichen Menschen mit seinen ekelhaften Manieren lieben und in ihm Schönheit sehen.« Aber warum eigentlich?
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Dieser Film ist tatsächlich ein Lehrstück. Ein Lehrstück aber, das einem gegen die Intention der Macher etwas beibringt (wenn wir es denn lernen möchten), über Schauspielkunst.
Es ist das große Missverständnis der breiten Masse über Schauspieler, dass, wenn ein schöner Mann sich hässlich macht, dies eine besondere Schauspielleistung sei.
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Der Protagonist von The Whale ist ein fettsüchtiger, homosexueller Mann, der dabei ist, sich selbst zu zerstören. Er sitzt, eher liegt fast den ganzen Film über auf der Couch in seiner schummrigen Wohnung und weiß, dass er bald sterben wird.
Regelmäßig und nicht nur, wenn seine Traurigkeit einen neuen Höhepunkt erreicht, verfällt er in ein hemmungsloses Sauf- und Fressgelage. Er stopft die Kartoffelchips und Pizzascheiben in sich hinein, bis sie
links und rechts aus den Mundrändern herauspurzeln, gießt dabei mit Cola oder Milchshakes nach, um kurz darauf einen Zuckerschock zu bekommen und in einen Tiefschlaf zu fallen. Wir Zuschauer werden Zeuge der letzten Woche, im Leben von Charlie.
Charlie (in einer zumindest körperlich herausfordernden Rolle gespielt von Brendan Fraser) ähnelt in gewisser Weise der Säufer-Figur, die Nicolas Cage in Leaving Las Vegas spielt: Es geht in beiden Filmen um weinerliche Männer, die vom Todestrieb bestimmt sind und zuvor einen Prozess der Selbstgeißelung erleben. Charlie ist ein einziger riesiger Kloß Selbstmitleid. Ständig jammert er über schmerzhafte Ereignisse in seiner Vergangenheit. Aber wenn im Publikum interessieren die? Wen interessiert dieser Mensch?
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Wie in The Wrestler von 2008, Aronofskys bislang erfolgreichsten Film, geht es hier fast identisch um einen Mann, der durch seine besondere Körperlichkeit definiert wird, um einen Mann mit Herzproblemen, der versucht, sich mit der Tochter zu versöhnen, die er einst verlassen hat.
Seltsamerweise wählt der Regisseur auch wieder die Perspektive einer Person, die dem Publikum erst einmal
Widerwillen verursacht, aber von diesem geliebt werden soll, weil sie nach Erlösung sucht. All das ist auf ganz schlimme unpoetische Weise explizit, es ist ganz und gar nicht subtil, so wie nichts subtil ist bei diesem Regisseur.
Aronofsky provoziert gerne, das ist längst sein Markenzeichen. Seine Filme werden von den Fans zu Meisterwerken erklärt. Auf sein Debüt mit Pi (1998) und Requiem for a Dream (2000) folgten Buhkanonaden für The Fountain (2006), der Goldene Löwe für The Wrestler (2008), der überbewertete (und aus einem Anime abgekupferte) Black Swan (2010), der absurde Noah, der unerträglich dumme Mother! (2017). Es sind arrogante, von einem Gotteskomplex durchzogene Filme – aber zumindest lässt kein Film des Regisseurs den Zuschauer teilnahmslos zurück.
Seit einiger Zeit ist Aronofskys Kino durch zwei beständige Themen deutlich geprägt: Durch den Konflikt zwischen Eltern und Kindern und durch die Religion. In The Whale steht ein Sünder im Mittelpunkt, der auch darum als bemitleidenswert gelten soll, weil er seine Sünden zugibt.
Was ist es, das den Filmemacher so sehr an diesem Modell eines Sünders fasziniert, der darum kämpft, dass ihm vergeben wird?
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Um diese Thematik zu vertiefen, gibt es hier noch die Figur eines jungen Mannes, der von einer religiösen Sekte beauftragt an den verschiedenen Wohnungstüren klingelt, um Menschen zu bekehren. Charlie wird zu seinem Projekt – er lässt nicht locker im Versuch, eine Beziehung zu dem sterbenden Dicken aufzubauen, und enthüllt dabei mehr und mehr sein eigenes Hadern mit dem Glauben, seine inneren Zweifel.
Es gibt noch andere Probleme in der Konstruktion dieser Geschichte, in der die verlassene Tochter gelegentlich auftaucht, vor allem um den Vater zu beschimpfen, in der Geschichte jedoch zunehmend zu einem Instrument in der Erlösung des Vaters wird. Als eigener Charakter interessiert sie den Regisseur nicht; sie ist nur ein Mittel zum Zweck. Und wird zu jemandem, dessen Herz irgendwann durch den Vater erweicht wird.
Hinzu kommt der Anachronismus in der Darstellung von Charlies Homosexualität: Sie wird als Sünde des Vaters gegen die Tochter beschrieben, und sie wird als grundsätzlich tragisch geschildert. Es ist, als ob die schwule Liebe dem Glück im Vorhinein entsagen muss.
Der Verlust seines Geliebten wird von Filmemacher Darren Aronofsky zur psychologischen Erklärung der Hauptfigur instrumentalisiert. Auf diese Weise erfahren wir, dass Charlie sterben will, weil er nie über den Verlust dieses Geliebten hinwegkommen wird.
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Alles dies kann man natürlich der Vorlage zuschreiben, einem prätentiösen, in den USA leidlich erfolgreichen Theaterstück. Hier aber ist ein Film zu bewerten, der auf Filmisches weitgehend verzichtet, indem er ganz und gar in dem einen Raum festklebt, in dem die Hauptfigur gefangen ist. Dieser Film verzichtet ganz und gar auf filmische Momente, was an ihm gut ist, ist einzig und allein das Spiel des Darstellers der Hauptfigur.
Diese sowieso nicht gerade subtile Geschichte wird in Szenen voller Rohheit erzählt. Dies ist ein Film, der den Betrachter zu einer unvermeidlichen Reflexion und darüber zu einer offensichtlichen moralischen Lektion führt. Doch die Dringlichkeit seiner Lektion versucht The Whale wie ein Lehrer zu vermitteln, der seine Schüler am Kragen packt, sie ab und an mal ohrfeigt, »um sie aufzuwecken«, und aus voller Kehle anschreit.
Jaaaa, wir behandeln Außenseiter schlecht. Sonst wären sie keine. Wir behandeln alle schlecht: Dicke, Magere, Süchtige, körperlich Kranke, psychologische Patienten, alle anderen auch. Tiere und »die Natur« sowieso. Sie alle werden ausnahmslos schlecht behandelt, und das führt dann bei diesem Kinoküchenpsychologen dazu, dass sie sich selbst so schlecht behandeln, dass sie nicht mehr unter uns sein wollen, damit sie länger nicht gedemütigt werden.
Das ist die »harte Wahrheit«,
die The Whale predigt, und wir wollen sie nicht hören. Schon deswegen, weil der Film predigt. Wenn einer wie Charlie »kaputtgeht«, wollen wir sie nicht reparieren. Und wenn sie nicht mehr da sind, sagen wir, dass es das Beste für sie war.
Der Film stellt sich dagegen. Er ist ein Film voller Behauptungen darüber, woraus der Mensch angeblich wirklich gemacht ist. Verachtenswert? Ganz und gar nicht. Ekelhaft? Schon gelegentlich.
Der Film wird sein Ziel nicht erreichen. Er ist nur eine Oscarmaschine für den Hauptdarsteller, eine Bedeutungsmaschine für den Regisseur, und ein Thema für die Medien. »Tagesthemen«! Wie schön für den Verleih, dem Erfolg von Herzen gegönnt ist.
Hoffentlich noch mehr mit wieder
besseren Filmen.
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Mit dem Argument, das sei doch alles einfach nur menschlich, lässt sich allzu vieles begründen. Regie-Alphatier Aronofsky arbeitet mit Abstoßung, Widerwillen und Ekel. Er drückt die Zuschauer im Klammergriff mit der Nase in Fett, Kotze und schlechtes Essen.
The Whale ist ein manipulativer Film, ein einziger Bluff in Pottwalgröße.