Deutschland 2014 · 106 min. · FSK: ab 12 Regie: Baran bo Odar Drehbuch: Jantje Friese, Baran bo Odar Kamera: Nikolaus Summerer Darsteller: Tom Schilling, Elyas M'Barek, Hannah Herzsprung, Wotan Wilke Möhring, Antoine Monot jr. u.a. |
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Manchmal braucht es Heldentruppen |
Wahrscheinlich gehört jemand schon disqualifiziert, wenn er erst googlen muss, was der Unterschied zwischen einem Nerd und einem Geek ist. Vielleicht ist er aber auch wieder drinnen im Spiel, wenn er schon einmal sagen kann, dass er stark davon ausgeht, dass über kurz oder lang einer von den beiden die Welt regieren wird … und wenn nicht über diese, dann programmiert er sich halt eine andere. Der Computer-Geek oder der unsozialere Nerd, kennt sich in diesem virtuellen Raum so gut aus, wie kaum einer und nutzt ihn nicht nur an der Oberfläche, wie wir das alle machen, sondern als Werkzeug, mit dem er an diesem selbst herumschraubt.
In Who Am I wird das Werkzeug benutzt. Benjamin (Tom Schilling), der bei seiner Oma lebt, nachdem sein Vater abgehauen und seine Mutter sich umgebracht hat, sieht auch noch die letzten Fetzen seiner Vergangenheit in der zunehmenden Vergesslichkeit der unter Alzheimer leidenden Oma dahinschwinden. Irgendwie haben viele Superhelden einen denkbar schlechten Start ins Leben, viele bauen auf einem Nichts auf, das allerdings zu Allem werden kann oder haben eine Art nerdiges Alter-Ego, siehe Peter Parker und Clark Kent – beste Voraussetzungen also, denkt Benjamin. Also gut ja, Benjamin: Ein Computernerd, mit einer fast schon romantischen Sehnsucht nach dem Superheldentum und dem Entdecken der in ihm schlummernden Einzigartigkeit, die bis zur Weltrettung führen kann, wird für einen Moment tollkühn und hackt sich in den Schulserver ein, für die, die er liebt und die davon natürlich nichts weiß. Das kleine, nerdige Heldentum ist also sinnlos, denn er ist als Typ, quasi mit Profession, nicht fähig zur Kommunikation mit Frauen. Benjamin wird erwischt. Trotzdem, der Sinn kommt, denn es ist der erste Schritt nach draußen und der Moment, in dem er Max und die anderen kennen lernt. Damit vervollständigt er seine Superheldengruppe (gerade beweisen die Guardians of the Galaxy, dass es manchmal Heldentruppen braucht): Der charismatische Max (Elyas M'Barek), der aggressive, körperliche Stephan (Wotan Wilke Möhring) und der misstrauische Hardware-Freak Paul (Antoine Monot), der ab und an ankommt und nach einer Botschaft fragt, gründen die subversive Hackergruppe CLAY (Clowns laughing at you). Es geht gegen die Pharmaindustrie, eine rechtsradikale Partei und schließlich auch gegen den BND. Kein System ist sicher! Nur leider liegt die Lücke nicht unbedingt im System selber, sondern in den Menschen, die damit zu tun haben.
Tom Schilling ist in diesem figuralen Kosmos der aktuelle Edward Norton in einem Fight Club 2.0. Mit seiner sanften „Nicht-Physis“, seiner immer hellen und jugendlichen Stimme, war er schon in OH BOY die Verkörperung der verunsicherten, haltlos treibenden 20-30 Jährigen. Irgendwie ist er das auch noch in Who Am I, aber irgendwie auch nicht. Die Umgebung in Oh Boy war das schwarz-weiße, melancholische Berlin. Und jetzt? Ein Netz-Thriller in der gleichen Stadt, in dem das „Verlorensein“ auf eine ganz andere Art und Weise zu Tage kommt. CLAY treibt nicht durch Berlin, er flaniert nicht, er pulsiert. Um ein Gefühl für die Geschwindigkeit dieses Filmes zu bekommen, reicht es, sich einmal „Alarm“ anzuhören, den Titelsong, der eigentlich schon einen Tick zu cool ist für einen deutschen Film. Boys Noize. Endlich mal. Danke.
Der Körper wird dabei für CLAY zu einem mühsamen Fortbewegungsmittel. Die Vier werfen Ephedrin ein, damit ihre Software-Gehirne weiter tippen können. Wenn man die einzelnen Fenster sieht, die Benjamin öffnet, wenn er sich eingehackt hat, in denen er parallel neue Codes eingibt, um Dinge in der Realität zu ändern, fragt man sich, ob das alles so tatsächlich passieren kann. Doch auch wenn ein Hacker das Filmteam beraten hat, ist es im Grund für den Film nicht wichtig – wichtig ist die Aktion und das dahinter. Wie tickt das Internet? Wie sicher ist es? Wer sind wir in ihm? Was kann man tun und welche Konsequenzen hat es? Das Internet, wie auch das Gehirn arbeiten parallel, auf mehreren Ebenen, schnell und verästelt, wie ein Myzel, das ständig neue Synapsen bildet, das eine mit dem anderen verknüpft und wieder trennt. Der Hypertext. Das Gehirn denkt nicht linear wie ein Buch, es denkt wie das Netz. Schwer, da nicht ab und den Faden zu verlieren, im Netz und im Ich.
1998 erzählte 23 – Nichts ist so wie es scheint, die wahre Geschichte des Hackers Karl Koch, der sich Anfang der 1980iger Jahre dermaßen in Verschwörungstheorien und in sein Leben im Internet versponnen hatte, dass er schließlich Geheimnisse an den KGB lieferte und unter mysteriösen Umständen starb. Daran erinnert Who Am I. Wie Benjamin unterschätzte auch Karl Koch die Auswirkungen seiner virtuellen Taten auf das Leben. Ein anderer Hacker, fast zur gleichen Zeit, der auch unter ungeklärten Umständen starb, war der Berliner Tron. Seine Spezialität: Der Angriff auf kommerzielle Verschlüsselungs- und Authentifizierungssysteme. Klar, seinen Namen hatte er vom gleichnamigen Kinofilm aus dem Jahr 1982. In Tron wird der Körper eines Programmierers digitalisiert und in das Innere eines Computers gezogen. Tron ist einer der ersten Filme mit längeren computergenerierten Szenen und für seine Zeit machte er das wirklich gut. Who Am I verweigert sich aber glücklicherweise diesen digital hergestellten Bildern, die schnell altern und auch dem Abstrakten, wie den Zeichenwasserfällen des Matrix-Codes. Aber in der Düsternis treffen sich Matrix und Who Am I dann doch, im Dunkel der Nebukadnezzar und der U-Bahn-Waggons. In Who Am I sind sie das Bild für das Netz und die geheimen Treffpunkte der Hacker. Es stimmt, einen Moment ist es ein wenig albern, aber man nimmt es schnell an, als Bild für kaum visualisierbare, weil digitale Prozesse.
Wahrscheinlich stehen wir gerade irgendwo zwischen dem Computerfreak von Heinz Strunk, der in seiner Welt lebt, in der »Wirklichkeit und Phantasie verschmelzen zu ein Klumpen«, der außerhalb davon aber kaum lebensfähig ist und dem: »When I saw the future … the Geeks were right!« von The Faint. Sollte einer von beiden das mit dem eigenen selbstbewussten ICH in den Griff bekommen, dann wird er wahrscheinlich die Macht übernehmen, weil wir zwar alle im Netz leben, aber eigentlich nicht wissen, was es ist.
Who Am I ist ein völlig ungewöhnlicher, deutscher Film und ja das stimmt, vielleicht ist er ein bisschen zu cool. Endlich mal! Danke!