USA 2015 · 120 min. · FSK: ab 12 Regie: Michael Moore Drehbuch: Michael Moore Kamera: Rick Rowley, Jayme Roy Schnitt: Pablo Proenza, Todd Woody Richman, Tyler H. Walk |
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Die Italiener halten es mit Siesta und Amore – ein Amerikaner in Rom |
Wenn man nur den Titel, Where to Invade Next, liest, und dann noch weiß, dass er von dem für seine macht- und systemkritischen Dokumentarfilme bekannten Oscarpreisträger Michael Moore stammen, hat man gewisse Erwartungen. Sie werden in vieler Hinsicht komplett enttäuscht. Denn um den Imperialismus der US-Außenpolitik geht es hier erst einmal nur unter der Oberfläche.
Stattdessen versucht sich Moore als aufrechter Patriot. Der Clown des engagierten Kinos ist hier nicht nur wieder mit seiner zum Markenzeichen gewordenen Baseball-Kappe zu sehen, sondern auch immer wieder in das amerikanische Sternenbanner gewickelt. Das ist nicht als Witz gemeint, sondern als visuelles Zeugnis eines aufrechten, ehrlichen Fakten-Maklers. Denn der rote Faden dieses episodischen Films ist Moores Suche nach »Dingen, die Amerika braucht«. Hier ist ein politisch-ökonomisch-ethischer Tourist, der in den historisch-kulturellen Errungenschaften anderer Nationen herumstöbert wie ein Kind auf dem Dachboden der Großeltern, der sich plötzlich als Schokoladenkammer entpuppt. Und das durchaus auch mit dem Mut, kindisch zu sein.
So landet er in Italien und stellt die Frage, »warum die Italiener immer so aussehen, als ob sie gerade Sex gehabt hätten«. Die Antwort, die der Hobby-Ethnologe Moore aus zahllosen, im Film zusammengeschnittenen Gesprächen mit Eingeborenen gewinnt, läuft darauf hinaus, dass Italiener viel mehr Urlaub, Feiertage und sonstige Freizeit haben als der Rest der Menschheit, und deswegen ein überhaupt erholsameres Leben führen. Auch die Gewerkschaften seien in Italien mächtiger, erfahren
wir, die Unternehmen offenbar weniger daran interessiert, ihre Angestellten unter Stress zu setzen, weil ungestresste Werktätige produktiver sind. Nachdem mit Italien das sozialpartnerschaftliche Paradies verlassen wurde, reist Moore – der natürlich immer schon weiß, wo es die süßesten Früchte zu pflücken gibt –, nach Frankreich. Dort ist es das Erziehungssystem, nicht der Sex, auf das der Amerikaner neidisch ist. Und das Essen. In Finnland »findet« Moore ein
perfektes Universitätssystem, in dem die Studenten ohne Hausaufgaben und standardisierte Prüfungen mit mehr Freiheit und freier Zeit, bessere Ergebnisse erzielen.
Und so fort. Zu den Stationen von Moores Expedition gehört auch Deutschland. Hier gefallen ihm die Erinnerungskultur und das Gesundheitssystem. Die Wahl dieser Länder ist überaus eurozentristisch: in Asien, im Nahen Osten, in Lateinamerika findet Moore nichts, was aus seiner Sicht eine kulturelle Übernahme
lohnen würde.
Ist dies nun ein Dokumentarfilm oder eine Komödie? Allemal ist der Film überaus unterhaltsam. Es handelte sich um die immer ödere Variation des immergleichen Schemas, um die zusammengeleimten Einzelfolgen einer Miniserie, wenn Michael Moore nicht ein exzellenter Geschichtenerzähler und ein überaus versierter Entertainer wäre. Je nach persönlicher Bereitschaft, sich auf die notwendigen Oberflächlichkeiten und Verkürzungen Moores einzulassen, wird man an alldem Vergnügen haben – überzeugte Neoliberale wie Altlinke dürften dagegen gleichermaßen schmollen.
Formal und in seiner Grundhaltung hat Moore seinen früheren Werken mit diesem Film nichts hinzuzufügen. Der »Michael-Moore-Film« ist längst ein ganz eigenes Genre des Dokumentarfilms geworden. Diesem Typus eigen ist nicht allein das bürgerrechtliche, linksliberale, mitunter auch linkspopulistische Engagement, das Moore mit vielen Kollegen teilt, es ist auch nicht allein der investigative Gestus, der selbst gelegentlich Banalitäten noch als große Entdeckung verkauft
– wohingegen mancher Zuschauer, zumindest in Europa, leise im Kino »Guten Morgen!« murmelt.
Und es ist noch nicht mal die Tatsache, dass Moore sich immer auch gern selbst in Szene setzt, als einen »typischen Bürger«, der in einer Mischung aus Naivität und Hartnäckigkeit »neugierig« ist – obwohl in der Regel schon vorher klar ist, was herauskommt –, und die »richtigen Fragen« stellt. Was Moore schon öfters den Vorwurf des Narzissmus eingetragen hat.
Die Eigenheit
der »Michael-Moore-Filme« ist ihr ungebrochenes Sendungsbewußtsein, und dass es eben auch Moore um nicht anderes geht um den »American Dream«: »The american dream seemed to be alive and well everywhere, but America.«
»Yes we can!« Vielleicht ist dieser Amerikanische Traum aber genau das Problem. Vielleicht ist die Idee das aus jedem Tellerwäscher früher oder später ein Millionär werden kann, dass wir alle immer reicher, immer freier, immer individueller werden, und auch
werden sollen, ja gerade die große Lüge und das Problem unserer Gegenwart. Solche Fragen kommen Moore nicht mal in den Sinn, geschweige denn, dass er sie zum Thema machen würde.
So gehört auch dieser Film zu einem sehr speziellen Typ von Wohlfühlkino, nahe am politischen Stammtisch – man muss einfach mal richtig auf den Tisch hauen, und die Wahrheit sagen. Diese Behauptung hatte Moore schon mit George W. Bush gemeinsam. Where to Invade Next ist insofern politischer Karneval: Ein sehr vergnüglicher Zustand, aber eben ein Ausnahmezustand. Nach dem Motto: Jeder Jeck ist anders, aber am Ende sind sie alle gleich. Und die USA haben den Schwarzen Peter.