Japan 2013 · 127 min. · FSK: ab 6 Regie: Hayao Miyazaki Drehbuch: Hayao Miyazaki Musik: Joe Hisaishi Schnitt: Takeshi Seyama |
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Verkitschter japanischer Imperialismus |
Ein kleiner Junge träumt vom Fliegen. Er ist geradezu besessen davon. Wir schreiben das Jahr 1918, im japanischen Kaiserreich geht alles seinen ruhigen imperialistischen Gang. Und der kleine Junge wird größer, er wird Flugingenieur. Er reist nach Deutschland, studiert in den Zwanziger Jahren in den Junkers-Werken die neuesten technischen Errungenschaften. Dann reist er zurück in seine Heimat. Er hat ein Mädchen getroffen, das er liebt, und wird nicht nur dieses Mädchen gewinnen, sondern selbstverständlich auch beruflich Erfolg haben. Denn er ist der Held dieser Geschichte, und wir sind in einem Filmmärchen des japanischen Animationsmeisters Hayao Miyazaki. Und da gibt es zwar Bedrohungen und Gefahren zuhauf, aber immer auch ein Happy End.
Alles scheint wie immer bei Miyazaki: Die Fliegerei und die Technik; sie haben auf diesen Filmemacher seit jeher besondere Faszination ausgeübt. Miyazaki teilt die Fliegerträume der heroischen Jahre der Fliegerei, in denen tollkühne Männer in fliegenden Pappkisten ihr Leben riskierten, um dem Fortschritt voranzuhelfen. Und in seinen Filmen sind, seit Nausicaä diese Träume auf die eine oder
andere Art zentral. Es geht um Freiheit bei Mayaziki, zwar nicht allein aber immerhin. Fliegerei und Technik verkörpern Freiheit und Aufbruch, sie verkörpern aber auch Hybris und Verhängnis der Menschen. Ihnen, den (vermeintlichen) Sünden des Menschen, hat Miyazaki märchenhaft beseelte Naturidyllen gegenübergestellt. Aber auch die Erfahrung von Katastrophen, von Krieg und Unglück, das nicht immer menschenverschuldet ist.
Diesmal ist dies das berühmte Erdbeben von Tokio im Jahr
1923, dass er seine Hauptfigur erleben lässt: eine enorm eindrucksvolle Szene, ein Panorama aus Schrecken und Katastrophe, das der Regisseur in grellbunten Farben zeigt.
Und doch ist alles anders, als sonst bei Miyazaki: Denn wer ist dieser Junge mit dicken Brillengläsern, der einsehen muss, dass der Traum vom Fliegen ein Traum bleiben wird. Der trotzdem nicht davon lassen kann, und zum Flugingenieur und Erfinder wird? Zum ersten Mal in seiner Karriere erzählt der Regisseur Miyazaki einen historischen Stoff und realexistierende Personen. Der Name seines jungen Helden ist Jiro Horikoshi, und der hat Geschichte geschrieben als jener
Luftfahrtingenieur, der der japanischen Armee ihr erfolgreichstes Flugzeug beschert hat: Den Mitsubishi A6 M Null, besser bekannt als »Zero«-Bomber, mit dem im Zweiten Weltkrieg die Amerikaner bei Pearl Harbour ins Mark getroffen und danach lange in Luftkämpfen besiegt wurden, und in dem noch am Ende, als alles verloren war, die kaiserlichen Kamikaze-Flieger kirschblütengleich vom Himmel stürzten.
Dieses Sujet hat vor allem in Japan selbst für Kontroversen gesorgt – mit
Recht. Der Film wurde trotz immenser Kassenerfolge von manchen als Vaterlandverrat, von anderen als Hymne an einen Entwickler todbringender Technologie verdammt.
Der Träumer trifft den Krieg. Wie verhält sich Miyazakis Film zur historisch-politischen Problematik? Miyazaki leugnet die Tragödie des Ingenieurs nicht, dass seine gutgemeinten und irgendwie genialen Ideen für schlimme Zwecke verwandt wurden. Aber die moralische Gewichtung des Regisseurs ist trotzdem unmissverständlich auf Seiten seiner Hauptfigur: Nichts wird problematisiert, echte Gewissenskonflikte scheinen für die Zweidimensionalität der Charaktere zu komplex. Diesem Jiro ist immer klar: Dienst und Pflichterfüllung sind wichtiger als private Gefühle.
Ein für deutsche Zuschauer interessanter Aspekt ist die Liebe des Filmemachers zu Deutschland. Die Hauptfigur besucht Dessau, sie liebt Schubert und hört dessen »Winterreise«. Er trifft auf Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, aber das kann ihn nicht erschüttern. Später begegnet er in Japan einem deutschen Emigranten, der offensichtlich Jude ist. Der erzählt ihm vom Nationalsozialismus und dessen Terror, er erzählt aber auch davon, dass die deutsche Kultur »das Größte« sei. Dann setzt er sich ans Klavier und spielt den Hit aus Erik Charells Der Kongreß tanzt von 1931: »Das gibt’s nur einmal, das kommt nie wieder«.
Über diese Szene allein, und diesen Hit, den im Film Lilian Harvey singt, könnte man sehr lange reden: Er war für die Deutschen auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise ein Stück Eskapismus. Die Geschichte handelt vom Jungmädchentraum, einmal Prinzessin zu werden. Ein deutsches Musical, ein Stück Hollywood in der späten, schon schwer verwundeten Weimarer Republik. Der Film, ein extremer, internationaler Kassenerfolg, wurde von den Nazis vereinnahmt und zum Modell des
vermeintlich unpolitischen Unterhaltungspropagandafilms der Ufa. Der Komponist des Films, Werner Richard Heymann, geboren 1896 in Königsberg, musste 1933 emigrieren. Die Karriere von Lilian Harvey, geboren in London und in der Schweiz aufgewachsen, trotzdem als betont »deutscher« Star vermarktet, geriet in eine Sackgasse, als sie sich nicht vom Regime vereinnahmen ließ. Sie emigrierte 1939 und starb 1968 m französischen Juan-les-Pins.
Von alldem weiß Miyazaki nichts oder er
will es nicht wissen. Das wäre kein Problem, wäre er beim Märchenstoff geblieben, und hätte ihn nicht für die Wirklichkeit eingetauscht. So aber erzählt er Märchen von der Wirklichkeit – und das ist nicht nur moralisch fragwürdig.
Dies ist nicht allein der langweiligste Film des Animationszauberers Miyazaki. Dass Miyazaki Idyllen liebt, ist für seine Zuschauer nichts Neues. Sehr oft sind diese Idyllen sehr nahe am Kitsch angesiedelt. In diesem Fall aber verkitscht Miyazaki auch den faschistisch grundierten japanischen Imperialismus. Und die Ästhetisierung, die sonst immer funktioniert bei diesem Filmemacher, die eine seiner großen Künstlertugenden ist, geht nach hinten los.
Dass ein
einseitig verstandener Fortschritt und dessen unheilvolle Allianz mit dem Imperialismus, zudem die Träume des 20. Jahrhunderts verkörpert, Träume, von denen wir uns immer noch erholen müssen, das hat Miyazaki in diesem Film ebenfalls zu zeigen vergessen.
Bemerkenswert schließlich, wie unkritisch aber die internationale Filmkritik diesem Werk gegenübersteht. Miyazaki verwandelt Filmkritiker wie Zuschauer immer noch in Fanboys und manchmal in Cretini, wie es der Italiener
ausdrückt: Vollidioten.