USA 2019 · 117 min. · FSK: ab 16 Regie: Jordan Peele Drehbuch: Jordan Peele Kamera: Mike Gioulakis Darsteller: Lupita Nyong'o, Winston Duke, Evan Alex, Shahadi Wright-Joseph, Elisabeth Moss u.a. |
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Ich ist ein anderer |
Irgendwie weiß man ja immer, wie es ausgeht. Bei der unglaublichen Fülle an Horrorfilmen stößt man selten auf wirkliche Überraschungen, eher auf die x-te Variation eines wohlbekannten Schemas F. Und dann wäre da noch Jordan Peele. Der amerikanische Regisseur sprengte ja bereits mit seiner grandiosen Rassismus-Groteske Get Out jegliche Plot-Erwartungen. Nun hat er nachgelegt. Den simplen Titel Wir trägt sein neuer Film und auch der sticht aus dem Genre-Allerlei hervor. Und nein, das liegt nicht daran, dass die Hauptfiguren schwarz sind.
Die Zeichen stehen erstmal auf Sonne, Spaß und Entspannung. Adelaide Wilson (Lupita Nyong'o) und ihre Familie gönnen sich den perfekten Mittelstandsurlaub an der kalifornischen Küste, inklusive eigenem Ferienhaus. Schnell bröckelt jedoch die heile Fassade, was nicht nur an der Fehlfunktion des geliehenen Motorboots liegt. Als es zum Strandausflug geht, sieht sich Adelaide mit einem Trauma ihrer Kindheit konfrontiert. Am selben Strand verirrte sie sich einst in einem unheimlichen Spiegelkabinett. Dort stand sie auf einmal ihrem Ebenbild gegenüber, keiner Reflektion, sondern einer Doppelgängerin aus Fleisch und Blut. Was danach geschah, ist unklar, nur mit Tanz und Therapie konnte sie sich wieder einigermaßen ins Leben zurück finden.
Und dann wird die Bedrohung konkret, nachdem Adelaide ihrem begriffsstutzigen Mann Gabe (Winston Duke) ihre Erlebnisse beichtet. Eine fremde Familie steht in der Einfahrt. Auf Bitten und Warnungen reagieren sie nicht. Dann gehen sie zum Angriff über. Hier setzt Jordan Peele sein Verwirrspiel an. Die Eindringlinge sind brutale Zerrbilder der Winstons, in ihrem Verhalten mehr Tier als Mensch. Einzig Adelaides dunkle Zwillingsschwester scheint hier einen Plan zu verfolgen. Sie will Rache.
Peele spielt mit dem altbewährten Doppelgänger-Motiv, einem Alptraum, der gefühlt schon ewig durch zahlreiche Kulturkreise geistert. Dem perfekten System der Kleinfamilie stellt er das Triebhafte gegenüber, das in einer modern strukturierten Gesellschaft keinen Platz mehr hat. Der Zuschauer wird erstmal völlig im Unklaren über die Hintergründe des Angriffs und die Herkunft der Horrorgestalten gelassen. Wir lässt hier Platz zur Interpretation, zum Gedankenspiel über das Hervorbrechen des Es, die Abgründe der Seele und die Dämonen der Vergangenheit.
Was Jordan Peeles großes Talent ist: Sein Film bleibt dabei trotzdem unterhaltsam. Er stopft seine Handlung nicht mit unnötiger Pseudo-Bedeutung voll, die einem nach kurzer Zeit auf die Nerven geht. Lieber dreht er die Spannungsschraube nach oben und verzichtet weitgehend auf billige Effekte wie dauernde Jump-Scares. Und dann diese herrliche Unvorhersehbarkeit. Was sich wie ein Kammerspiel aufbaut, wird plötzlich zum waschechten Survival-Horror. Als sie aus ihrem Ferienhaus des Grauens entkommen kann, muss die Familie feststellen, dass sie nicht die einzigen sind, die eine unheimliche Begegnung mit sich selbst haben. Genau wie bei seinem Vorgänger rundet Peel seinen Film an den richtigen Stellen mit Humor ab. Nicht zuletzt kommt dieser von seinen wunderbar gezeichneten Figuren, die er sich trotz aller Übertreibung nicht aus den üblichen Genre-Schablonen geschnitzt hat.
Wir ist ohne Zweifel ein würdiges Nachfolgewerk zu Get Out, das einen vielleicht sogar länger begleitet. Trotz Auflösung – die wirklich kein Zuschauer erraten würde – sitzt man nach zwei Stunden Film ratlos in seinem Sitz. Mehr kann man von gutem Horrorkino eigentlich nicht erwarten.
»Ob nicht hinter dem Gegensatz von klassisch und romantisch der Gegensatz des Aktiven und Reaktiven verborgen liegt?«
Friedrich Nietzsche
»Not to be reproduced« heißt ein berühmtes Bild des Surrealisten René Magritte, das den 'bon vivant' und Surrealistengönner Edward James zeigt, oder eben auch nicht, und die Idee des Originals, indem es sie visuell verstärkt, auch wieder infrage stellt. Wer es kennt erinnert sich im Kino sofort daran, denn es wird in einer frühen Szene dieses Films quasi nachgestellt: Wir sehen einen
Menschen, der vor dem Spiegel steht, aber er sieht sich nicht ins Angesicht, sondern auf den Rücken und den Hinterkopf, ganz so wie wir ihn selbst sehen...
Man könnte lang über diese Konstellation nachdenken, die den Betrachter selbst ins Zentrum rückt, als Herrscher des Bildes gewissermaßen – und darum auch als dessen Gefangener.
Denn auch Us oder Wir im deutschen Verleih fragt mit einiger Tiefe danach, was es
eigentlich heißt, Ich zu sagen, und ob es wirklich etwas Originales am Menschen gibt, bzw., was denn das tatsächlich wäre?
Die Prämisse der Handlung wird erst im Laufe des Films enthüllt, man kann sie aber ohne etwas zu verderben, schon Anfang dieses Textes benennen. Sie lautet: Irgendwo in einer »Unterwelt«, zu der wir mit altmodischen Rolltreppen Zugang haben, gibt es Kopien unserer selbst. Traurige »Schatten«, die einen noch schlechteren Charakter haben, als wir selber und die uns beneiden um die Helligkeit, die Sonne und das Leben, das wir führen. Wie wäre es, wenn sie eines Tages ans Licht kämen?
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Man sollte nicht darum herum reden: Dies ist ein Horrorfilm. Aber er ist untypisch, vergleichsweise ruhig und mild erzählt. Und vor allem gehört er zu den intelligentesten, spannendsten und – ja! – schönsten US-amerikanischen Filmen der letzten Jahre. Ein ungemein bemerkenswertes, in sehr vieler Hinsicht besonderes und originelles Kinowerk.
Gedreht von Jordan Peele (Get Out)
einem noch sehr jungen und vor allem schwarzen Regisseur, mit fast durchweg schwarzen, auch in Amerika wenig bekannten Hauptdarstellern. Man muss die Hautfarbe thematisieren, denn der Film rückt sie selber ins Zentrum, offen, wie versteckt.
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Es geht ganz großartig los, mit einem Rückblick ins Jahr 1986, einem Schlüsselereignis in der Kindheit der Hauptfigur, das sich – dies gehört zu den bekannten Horror-Archetypen des Horrorfilms – erst gegen Ende in all seinen Konsequenzen auflösen wird.
Wir werden Zeuge der Geschichte eines kleinen Mädchens: Adelaide, die mit ihren Eltern einen Vergnügungspark in einer kalifornischen Küstenstadt besucht. Es gibt eine Achterbahn, Schießstände, Stände mit Süßzeug
und die Bude eines Wahrsagers, der zur »Vision Quest«, zur Visionssuche einlädt »Find yourself«, »Finde Dich selbst« verspricht der Werbebanner – und das wird für Adelaide in einer Weise wahr, die man nicht ahnt.
Denn das Mädchen wird wie von einem unsichtbaren Magneten angezogen, weg vom Jahrmarkt, hin zum Strand, sie blickt kurz sehnsuchtsvoll aufs Meer, wo irgendwo, weit hinten gerade ein Gewitter tobt; sie betritt die Wahrsagerbude, trifft auf verzerrende Spiegel, dann
fällt der Strom aus und es wird dunkel – und wir erinnern uns, dass auch der Ursprung des Kinos im Vergnügungspark liegt, im dunklen Saal, der für den, der sich hinein traut zum Ursprung aller Traumata wie aller Erlösung wird.
Dann treffen wir Adelaide wieder als Erwachsene. Mit ihrer Familie macht sie Urlaub nahe dem alten Küstenstädtchen, und schnell ist klar: Sie hat, was immer ihr seinerzeit geschah, nur oberflächlich überwunden. Ihren Kindern ist sie eine überbesorgte Mutter, ihrem Mann eine leicht hysterische Gattin. Bald scheinen sich überall die kleinen Zufälle zu häufen, die das Verdrängte zurück ans Licht bringen.
Und eines Abends ist es dann so weit: Vor der Tür des Ferienhauses stehen vier Gestalten, die ganz in Rot gekleidet sind und sonst genauso aussehen wie Adelaide und ihre Familie. Genauso! Identisch!! Doppelgänger!!!
Sie sind, das ist schnell klar, gekommen, um zu bleiben, sie nehmen sich Zeit, sie drohen, sie morden. Und es gibt viele mehr.
Auch anderen Familien begegnen in dieser Nacht ihre Doppelgänger, die sich selbst »Schatten« nennen, und die sich offenbar an ihrer Lichtseite rächen wollen. Sie werden, was Freud »unheimliche Vorboten des Todes« nennt.
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Rational erklärbar ist das alles nicht, objektiven Sinn macht es aber durchaus, den Horrorstoffe in Literatur und Film sind schon immer Ausdruck des Irrationalen gewesen, Metaphern für Verdrängtes, Unbewusstes, Symbole für Ängste, Wünsche, Träume und Albträume.
Und sehr unterhaltsam und wunderbar inszeniert dazu. Denn »Us«, wie dieser Film im Original heißt, hat von den großen Meistern gelernt: Michael Hanekes Funny Games wird ebenso offen zitiert wie Stanley Kubricks Shining und Clockwork Orange, wie Filme von John Carpenter und Wes Craven.
Wer tiefere Bedeutung sucht, und Gedanken, die man mit aus dem Kino nehmen kann, wird hier ebenfalls fündig: Amerikakritik, klar – das ist in Zeiten von Donald Trump fast selbstverständlich.
Vor allem aber ist dies ein Film über Rassismus voller diverser Verweise auf schwarze Kultur: Ob ein T-Shirt mit dem Motiv von Michael-Jacksons »Thriller«, oder der Song »Fleurs« der tollen Minnie Ripperton, einer heute ein wenig vergessenen Figur früheren »Empowerments«.
Zugleich macht der Film klar: Die Schwarzen hier sind eben auch »America«. Sie haben all die Traumata, all die Perversionen in sich, die das Kino dem amerikanischen weißen Mittelstand aus Suburbia seit jeher diagnostiziert.
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Originell wird mit Musik gearbeitet: Als eine weiße Mittelstandsfamilie von den Rotwesten heimgesucht wird, wird der – sehr sehr »weiße« – Beach Boys-Song: »Good Vibrations« zum Horror Song.
In Szenen wie dieser schießt der Film zugleich über sich selbst hinaus, und spiegelt einfach den Rassismus der Weißen.
So wie auch in der Entmächtigung des Mannes dieser Familie durch eine übermächtige Frau ein triumphales Moment liegt, ein Stück Feier einer Unterdrückung,
die ausnahmsweise einmal in die entgegengesetzte Richtung läuft. Dieser Film ist kein Plädoyer für Kompromiss und ein wirklich anderes Zusammenleben. Hass betäubt den Schmerz.
In diesem Aufstand der Erniedrigten und Beleidigten wehrt sich das zumindest (in seiner Selbstwahrnehmung) »gedemütigte« Amerika.
Am Ende führt ein großartig designter surrealer Showdown dann mit einer Rolltreppe in einen Keller, eine Unterwelt, die auch wie eine Galerie der Performance-Art und des modern Dance wirkt. Da sind die Frauen unter sich.
Der Film selbst aber nimmt Partei für Jugendkultur gegen den Moralismus der Erwachsenen.
Alles ist sehr spannend und schön.