USA/CDN/GB 2017 · 107 min. · FSK: ab 16 Regie: Taylor Sheridan Drehbuch: Taylor Sheridan Kamera: Ben Richardson Darsteller: Elizabeth Olsen, Jeremy Renner, Kelsey Asbille, Jon Bernthal, Julia Jones u.a. |
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Rettung innerer und äußerer Freiheiten |
Was für eine Trilogie des Abgrunds, des Herantastens nicht nur an die geografischen Grenzen des modernen Amerikas! Zuerst Denis Villeneuves düstere Abrechnung mit der amerikanisch-mexikanischen Drogengewalt in Sicario (2015), dann David Mackenzies gnadenlose, mathematisch präzise Bestandsaufnahme über die Fragilität familiärer und wirtschaftlicher Bindungen im ländlichen Texas in Hell or High Water (2016) und nun - Wind River. Allen Filmen gemeinsam ist neben ihrer triptychonartigen Verbundenheit ihr Drehbuchautor, Taylor Sheridan, der in Wind River nun allerdings zum ersten Mal nicht nur für das Drehbuch verantwortlich ist, sondern auch für die Regie und damit innerhalb von etwas mehr als zehn Jahren eine erstaunliche Metamorphose vom Serienschauspieler in Veronica Mars bis zum Regisseur durchlaufen hat.
Ein Debüt also. Aber was für eins. Denn Sheridan gelingt es tatsächlich, die psychologische mit kathartischer Gewalt gepaarte Dichte von Sicario und Hell or High Water in Wind River nicht nur zu übertreffen, sondern seine Geschichte derart pointiert und brillant zu erzählen, dass man trotz aller hoffnungslosen, schwarzgrauen Düsternis dieses unkonventionellen Schnee-Neo-Westerns von euphorischem Glück regelrecht geflutet wird und den Kinosaal wie gereinigt wieder verlässt.
Dabei sieht es zuerst gar nicht danach aus, erinnert Sheridans Film in seiner Exposition eher an eine Verschränkung von Kenneth Lonergans Manchester by the Sea und Louise Erdrichs ebenfalls in einem Indianerreservat angesiedeltem, großen Roman »The Round House«. Denn auch Wind River handelt vordergründig davon, wie man nach unverarbeiteten, persönlichen Tragödien sein Leben weiterleben kann, bindet dann auf einer weiteren Ebene jedoch die unverarbeitete Tragödie der gescheiterten indianisch-amerikanischen Akkulturation mit ein.
In ruhigen, kontemplativen Bildern – und sehr ähnlich Lonergans Ansatz in Manchester by the Sea – beobachtet Sheridan den im Indianer-Reservat Wind River in Wyoming tätigen U.S.-Fish and Wildlife Service-Ranger Cory Lambert (Jeremy Renner). Es ist Winter, und Cory macht sich auf die Suche nach Pumas, die die Gegend unsicher machen. Wir erfahren, dass Cory einen Sohn (Teo Briones) hat und geschieden ist und dass seine Frau Wilma (Julia Jones) einem der umliegenden Stämme angehört. Statt der Pumas findet Lambert jedoch die Leiche der achtzehnjährigen Natalie Hanson, die unter ähnlichen Umständen gestorben ist, wie Lamberts Tochter drei Jahre zuvor. Lambert vermutet einen Zusammenhang und unterstützt die ortsunkundige FBI-Agentin Jane Banner (Elizabeth Olsen), die untersuchen soll, ob es sich bei dem Todesfall überhaupt um einen Mordfall handelt, so wie es Lambert vermutet.
Zwar evoziert Sheridan über die Todesfälle klassische Thrillermotive und lässt damit die ersten Gemeinsamkeiten zu Lonergans Trauma-Bewältigung hinter sich, macht jedoch gleichzeitig sehr schnell deutlich, dass es bei Weitem mehr ist als die Suche nach einem Mörder, die ihn interessiert. Denn statt auf Beschleunigung setzt Sheridan weiterhin auf Entschleunigung, auf ruhige Einstellungen, charakterisiert in präzisen, ausführlichen Strichen seine Handlungsträger, und bewegt sich durch sein behutsames Einbinden von indianischen Laiendarsteller – allesamt Bewohner des Reservats, in dem der Film entstand – auf immer wieder erschütternd und ernüchternd ethnografischem Boden. Fast nebenbei handelt er die Hierarchien zwischen »Tribal-Police« und auswärtigem FBI ab, ohne dabei jedoch die üblichen Ingredienzien klassischer Thriller-Elemente zu vernachlässigen.
Gleichzeitig verweigert sich Sheridan simplexen Stereotypen von Gut und Böse, wird auch der Alltag der wenigen Weißen, die im Reservat ihr Leben fristen, in fast schon lakonischer Brutalität porträtiert und angedeutet, dass Profitgier selbstverständlich vor Naturschutz rangiert und vor Menschlichkeit sowieso – ein Abgrund, den Sheridan bereits in Hell or High Water ausführlich skizzierte. Und ähnlich wie in Hell or High Water und Sicario hält Sheridan auch in Wind River keine nachhaltigen Lösungen, geschweige denn Hoffnung für die Abgehängten der amerikanischen Peripherie bereit, sind seine klassischen Westernthemen – in Hell or High Water Banküberfälle, in Wind River Auseinandersetzungen mit Indianern – weit mehr als genretypischer »Neo-Western«.
Zwar gibt es auch bei Sheridan den klassischen Showdown, doch schon im nächsten Augenblick ist klar, dass Sheridan mit seinem präzisen Skalpell damit nur einen weiteren der vielen Tumore bloßgelegt hat, die Amerika von innen zerfressen. Ein Amerika, in dem die »last frontiers« im Grunde jene sind, die schon vor 150 Jahren die »last frontiers« waren, und in dem damals wie heute nur »Gewalt als Therapie« bleibt, um die inneren und äußeren Freiheiten zu retten.
»Shouldn’t we wait for backup?« – »This isn’t the land for backup, Jane. This is the Land of: Your're on your own.«
Dialog in Wind River
Es ist Nacht. Eine Frau rennt durch den Schnee, wir sehen, dass sie barfuß ist. Sie stürzt auf den Boden, wir hören ihren inneren Monolog. Letzte Lebenszeichen einer Sterbenden, und trotzdem auch schöne Filmbilder. Ein irritierender Beginn...
Die zweite Einstellung zeigt eine herrliche, nahezu unberührte Schneelandschaft bei Tag: Ein Wald, malerische Berge, Vieh, ein Wolf. Er wird geschossen, und der Jäger zieht das tote Tier, eine lange Blutspur hinterlassend, durch den
Schnee.
Rot auf Weiß. Klare Farben, klare Kante, Gewalt und Idylle stehen nebeneinander in Wind River, einem modernen Western.
»Früher begann der Tag mit einer Schusswunde«, so hieß einst Wolf Wondratscheks schöner Gedichtband. Und in eine solche Welt der harten, ein bisschen archaischen Lebensverhältnisse, in eine Welt, wo Männer noch im klassischen Sinn Männer sind, und Frauen »ihren Mann stehen«, führt uns dieser Film.
Der Schauplatz ist originell und spannend: Wyoming, ein Indianereservat nahe der kanadischen Grenze (das dem Film den Titel gibt), abgelegene »Frontier«. Auch im frühen 21. Jahrhundert hat sich gegenüber dem späten 19. mit seinen Indianerkriegen nicht viel geändert.. Nur, dass sich die Menschen statt mit kräftigen Pferden meist mit schnellen Motorschlitten durch den Tiefschnee bewegen, bewaldete Berge hinaufdüsen wie sonst im Kino nur Willy Bogner im neuesten James-Bond-Film.
Die Hauptfigur ist ein Jäger: Cory lebt getrennt, mit seinem Sohn, einem »Halbblut«, fährt er übers Wochenende zu den indianischen Großeltern, nicht ohne zu kitschiger Musik ein paar Lebensweisheiten aus alten Zeiten zu verbreiten. Er selbst hat vor Ort zu tun, soll einen Puma schießen, der das Vieh wildert. Bald aber wird er etwas ganz anderes jagen, denn auf der Suche nach der Raubkatze findet er eine Frauen-Leiche, offenbar wurde sie zuvor mehrfach vergewaltigt.
Das FBI kann nur eine einzige Agentin schicken, Jane die mit Terrain und den Eigenheiten, den vielen ungeschriebenen Gesetzen des Reservats nicht vertraut ist. Aber sie ist ehrlich bemüht, und engagiert Cory, den Jäger, weil der sich als excellenter Spurenleser entpuppt. Später stellt sich heraus, dass auch er seine guten persönlichen Gründe hat, sich für den Fall zu engagieren.
Das Interessante an Wind River ist dieser spezielle Ort, die fast menschenfeindliche Natur, in der alle irgendwie Ausgesetzte sind. Es ist nicht zuletzt die spezielle Rechtslage im Reservat, die Spannungen zwischen der Jurisdiktion des Reservat mit ihrer eigenen Indianerpolizei und der bundesstaatlichen Gewalt des FBI. Sie hinterlassen Leerstellen, in die dann private Sicherheitstrupps treten, deren Wirken von dem der Kriminellen oft kaum zu unterscheiden ist. Die Tatsache, dass es im Nordwesten der USA und in Kanada tatsächlich zu Mord-Serien an jungen Indianerinnen gekommen ist, die nicht nur sexuelle, sondern auch rituelle archaische Hintergründe haben, bildet den bösen Hintergrund des Films.
Wind River ist vor allem straight inszeniertes Genrekino, dessen Handlung aus bekannten Formeln besteht: Es gibt das Spurenlesen, die Ermittlungen zweier ungleicher Ermittler, es gibt deren persönliche Befindlichkeiten, biographische Hintergründe, unverarbeitete Traumata bei Cory und die Initiation der jungen, unerfahrenen aber engagierten Ermittlerin.
Es gibt Verfolgungsjagden und undurchsichtige Verdächtige, dazwischen ein paar harte,
eisige Schießereien, schließlich Suspense und die Auflösung der Geheimnisse, sowie einen ziemlichen hässlichen, expliziten Rückblick auf den Gangrape, der dem Tod des Mädchen in der ersten Szene vorausging.
Es ist auch eingewoben in klassische Americana, die Erzählung eines Landes und einer Nation, der Melange aus zwei Seiten, den Indianern und den Weißen, dem Eis und dem Feuer. Terry Sheridan, in Hollywood bekannt als Schauspieler, hat sich zuletzt auch zum gefeierten Drehbuchautor gemausert, seit er die Scripts für Denis Villeneuves Sicario und Hell or High Water von David Mackenzie schrieb. Auch zu seinem ersten eigenen Film Wind River schrieb er das Drehbuch. Sheridans Regiedebüt lebt von den Gegensätzen seiner Geschichte. Sein Amerika hat Abgründe und viele Gesichter. Dies ist ein Film, in dem die Gewalt ein untrennbarer Teil Amerikas ist, und sich mit elementarer Wucht ereignet.
Am Ende dieses unbedingt sehenswerten Kinofilms gibt es noch einmal eine Schießerei, die sich mit unmittelbarer, fürs Hollywoodkino ungewöhnlicher Direktheit ereignet.
Früher starb man noch an einer Schusswunde – hier schießt man einfach weiter, hier geht es nicht so einfach. Für die Bösen nicht, und für die Guten schon gar nicht.