USA/GB 2018 · 130 min. · FSK: ab 16 Regie: Steve McQueen Drehbuch: Gillian Flynn, Steve McQueen Kamera: Sean Bobbitt Darsteller: Viola Davis, Michelle Rodriguez, Elizabeth Debicki, Cynthia Erivo, Colin Farrell u.a. |
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Verfahrenes Gesellschaftskonstrukt |
Würde man versuchen die Filme des britischen Künstlers, Fotografen und Regisseurs Steve McQueen auf ihren identitären Kern zu reduzieren, bliebe wohl genau dieser Vorgang als Ergebnis stehen. Denn sowohl in Hunger (2008), Shame (2011) als auch in seinem Oscar-prämierten 12 Years a Slave (2013) folgt McQueen seinen Protagonisten – zuweilen gnadenlos analytisch – auf der Suche nach ihren Identitäten und den Möglichkeiten sie zu leben.
Nicht viel anders verhält es sich auch in McQueens neuem Film Widows, der auf der gleichnamigen TV-Miniserie aus dem Jahre 1983 basiert und die Geschichte einer Gruppe von Frauen erzählt, die nach dem Tod ihrer kriminellen Männer den unvollendeten letzten Job ihrer Männer übernehmen.
Zwar stellt der deutsche Verleih diesen Handlungsrahmen mit seiner Titel-Erweiterung: Widows – Tödliche Witwen ins Zentrum und dürfte damit Erwartungshaltungen an das Genre des klassischen »Heist-Movies«, also eines Thrillers mit zentralem Raubüberfall, schüren, doch für McQueen ist das Genre Heist-Movie tatsächlich nur ein Handlungsrahmen, in dem sich mehr Motive als jemals zuvor in seinen Filmen tummeln, und es wird schnell deutlich, dass es McQueen im Grunde um eine Anamnese unserer westlichen Gesellschaft geht. Aber nicht nur das: McQueen wirft sogar noch ein Medikament samt Beipackzettel mit ein; vielmehr geht wirklich nicht.
Wie gut diese komplexe Anordnung von Themen tut, ist nicht nur nach einem qualvollen Durchlauf einer Netflix-Serie wie der spanischen Heist-Serie HAus Des Geldes spürbar, in der der Raubüberfall mit all seinen Planungssequenzen- und auftretenden Realfehlern im Zentrum steht und man sich irgendwann bei all der inszenierten Spannung und wirrer Auftischung groteskester menschlicher Täter- und Opferstereotypen eigentlich nur noch langweilt.
Wie anders ist das bei McQueen.
Trotz eines hohen Rollenaufkommens – neben den Witwen werden in Rückblenden auch die verstorbenen Ehemänner und die Beziehungen schlaglichtartig porträtiert – liegt in Widows die sprichwörtliche Würze tatsächlich in der Kürze. Jedes Beziehungsmosaik ist Bestandteil des nächsten, jeder ins erzählerische Rampenlicht gerückte Charakter erzählt die Geschichte des Vorgängers weiter und verstrickt sich immer tiefer in die Misere unserer modernen Gesellschaften, vor allem der amerikanischen. So filigran entwickeln sich diese Geschichten, dass der Betrachter kaum merkt, wie viel Filme McQueen parallel laufen lässt und unmerklich miteinander verwebt.
Da ist natürlich immer der Raubzug mit all seinen Winkelzügen und einem überraschenden, subversiven Narrativ von Liebe und Verrat. Doch gerade dieser in seiner Tragik vor allem von Viola Davis als Veronica und Liam Neeson an ihrer Seite unheimlich differenziert ausgespielte Part ist gleichzeitig auch ein ernüchternder Kommentar zur Rassismusdebatte in den USA. Doch McQueen ist sich natürlich bewusst, dass Rassismus das Private immer durchdringt und sich auf der gesellschaftspolitischen Ebene spiegeln muss. Über ein überragendes Drehbuch gelingt es ihm nicht nur, die gegenseitige Spiegelung dieser beiden Ebenen vorzuführen, sondern tatsächlich auch noch die Verfilzung amerikanischer Politik mit banalster Kriminalität und rassistischer Attitüde transparent zu machen, ohne dabei auch nur im Ansatz Partei für eines der ethnischen Lager zu ergreifen.
Wenn McQueen überhaupt Partei ergreift, dann für seine weiblichen Protagonisten. Auch sie sind Spiegel unserer multi-ethnischen Gegenwart und verstehen sich alles andere als gut. Doch für ihr gemeinsames Projekt räumen sie das verfahrene Gesellschaftskonstrukt gleich mit auf und zeigen, wie transparent und offen nicht nur verschiedene Gesellschaftsschichten miteinander umgehen können, sondern auch, wie es sich anfühlt, den eigenen Rassismus einfach mal links liegen zu lassen.
Und noch etwas lässt McQueen links liegen, ohne dass es vielleicht gleich im ersten Moment auffallen mag. Doch mit jeder Filmminute wird es offensichtlicher, dass diese Frauen nicht wie die üblichen Hollywod-Darstellerinnen aussehen, sondern – man mag es kaum glauben – wie die Frauen von nebenan.