Deutschland 2004 · 86 min. · FSK: ab 12 Regie: Tobi Baumann Drehbuch: Oliver Kalkofe, Oliver Welke, Bastian Pastewka Kamera: Gerhard Schirlo Darsteller: Oliver Kalkofe, Bastian Pastewka, Anke Engelke, Wolfgang Völz u.a. |
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In der Höhle des Bösen |
»Papas Kino ist tot!« – ungefähr zur gleichen Zeit, 1962, als sich unter diesem Slogan der deutsche Film neu erschuf, rollte die Wallace-Welle, und strafte ihn schon Lügen. In der deutschen Kultur des 20. Jahrhunderts gehört das Nachkriegskino zu den merkwürdigsten und nach wie vor erklärungsbedürftigsten Phänomenen. Besonders zwei, seinerzeit in hohen Stückzahlen aufgelegte Gattungen, der Karl May-Film und der Edgar Wallace-Film werfen zahlreiche Rätsel auf, und das deshalb doppelt, weil ausgerechnet jene beiden Genres eine derzeit eine überraschende Renaissance erfahren.
Als Bully Herbig 2001 mit Der Schuh des Manitu die Karl-May-Filme zu einer flotten, wenn auch gedankenarmen Parodie verwurschtelte, wurde daraus mit über 12 Millionen Zuschauern einer der erfolgreichsten deutschen Filme aller Zeiten. Das Interessanteste an dem Film war, wie schon bei den entsprechenden Vorbildern, der Erfolg selbst: Welche Sehnsucht wird hier eigentlich befriedigt? Etwas einfacher ist das beim plötzlichen Wallace-Boom der 60er, der erfolgreichsten deutschen Filmreihe aller Zeiten, zu beantworten. Hierbei handelte es sich übrigens keineswegs um die ersten Verfilmungen von Stoffen des populären britischen Vielschreibers (1875-1932). Der erste Wallace-Verfilmung stammt aus dem Jahr 1915, und als 1959 mit Harald Reinls Der Frosch Mit Der Maske der erste von insgesamt 27 deutschen Wallace-Verfilmungen in den nächsten nur 12 Jahren ins Kino kam, gab es bereits über 80 Wallace-Filme.
Nun imaginierte sich das Wirtschaftswunderland der Sechziger in eine andere Traumwelt, als in den zeitgleichen Winnetoufilmen. Im Gegensatz zu jenen trug sie noch ein paar visuelle Lumpen des Expressionismus und des Film Noir, in ihren schwarzweißen Schattenspielen ebenso wie in den Gangstercharakteren, die mit ihren Weltherrschaftsträumen, ihren übersinnlichen Fähigkeiten und ihrer häufigen körperlich Versehrtheit wie ein zumindest fernes Echo jener Mabuses und Caligaris der Stummfilmzeit wirkten. Damit fand die westdeutsche Republik in einem Nacht-und-Nebel-London, das es so nie gab, auch ein Stück ihrer eigenen Vergangenheit, in den braven Bobbys und Detektiven die die Fälle dann aufklärten, Repräsentanten von Staatsmacht und Ordnung, die unbelastet von jeder bösen Erinnerung waren – ebenso wie einen guten Staat.
All das, die frühen Träume von einem »reinen« Unterhaltungskino, die damals so dumm und vor allem verlogen, waren, wie heute, aber auch die naive Hoffnung auf eine populäre Mythologie, die sich aus Geschichte und Heimat herauslösen und in einen isolierten Imaginationsraum flüchten könnte, muss zwangsläufig mit in Blick geraten, wenn nun die Wallace-Filme zum Gegenstand einer Parodie werden.
Der Wixxer, dies einmal vorweg, gelingt und unterhält, wenn auch in denkbar bescheidenem Rahmen. Die Story ist hier das Unwichtigste und dient eher als Startrampe für ein halbwegs flottes Spiel mit dem Wallace-Touch. Handlungsklischees, vertraute Requisiten und Inszenierungsweisen sollen für nostalgischen Wiedererkennungswert sorgen. Zweifellos hofft man beim Schweizer Verleih insgeheim auf einen Publikumserfolg a la Schuh des Manitu. Daher ist auch das Basisrezept ähnlich: Man lehnt sich visuell und im Production Design stark ans Vorbild an, zugleich wird dieses veralbert, was das Zeug hält. Geringes Budget wie darstellerische Schwächen gelten in diesem Fall plötzlich als charmant, weil »der Film sich ja nicht ernst nimmt« und man angeblich die Liebe aller Beteiligten zum Vorbild spürt. Regie führt Tobi Baumann, zum ersten Mal fürs Kino. Bisher war er nur für die TV-Serien Ohne Worte und Ladykracher verantwortlich. Das Drehbuch stammt von den Comedy-Schauspielern Oliver Kalkhofe und Bastian Pastewka, die auch die beiden Hauptrollen übernehmen: Chiefinspector Even Longer und Inspector Very Long (ein Art Ersatz-Eddi-Arent) – Namensspielchen wie diese verweisen bereits auf die eher schlichte Witzebene. Auch der Rest des Ensembles besteht aus den üblichen Hauptverdächtigen der gegenwärtigen bundesrepublikanischen Comedy-Landschaft: Anke Engelke und Olli Dittrich, sowie einigen Altstars wie dem 74jährigen Wolfgang Völz, der einst schon in Original-Wallace-Krimis mitspielte, oder dem 60jährigen Thomas Fritsch. Letzterer spielt den Earl of Cockwood, den einen Schurken der Geschichte, der auf »Blackwhite«-Castle sinistre Pläne hegt, es allerdings bald mit dem zweiten Bösewicht, dem titelgebenden »Wixxer« zu tun bekommt, einen Serienmörder, der es auf Gangster abgesehen hat.
Einziger Zweck des Ganzen sind Retro-»Kult« und Parodie. Einzelne Gags zünden dabei prächtig, auch gibt es allerlei hübsche Anspielungen auf andere Filme. Besonders begeistert Lars Rudolph' Kinski-Parodie. Insofern erfüllt Der Wixxer seinen Hauptzweck der Unterhaltung recht unangestrengt. Ganz überzeugend spielt der Film dabei auch mit der Absurdität, die fast allen Wallace-Plots innewohnt: Ob es die kurios-seltenen Mordinstrumente sind, oder die an den Haaren herbeigezogenen Leiden und Lebensweisen der britischen Aristokratie.
Trotzdem bleibt die Frage, welche Art von Humor hier eigentlich dominiert? Es sind durchweg eher sanfte Scherze, im Prinzip braver Schülerzeitungshumor mit Abstürzen ins Pubertäre und Geschmacklose. Dagegen keinerlei Abgründigkeit. Auch sucht man alles Subversive, jede Ironie, allen komödiantischen Biss vergebens. Vielleicht ist das für eine gewöhnliche Massenkomödie einfach zuviel verlangt. Aber ein wenig kann man darin trotzdem auch ein Indiz sehen, dass unsere Zeit wieder regrediert, zurück in die Infantilismen der Nachkriegsära – aber ohne ihr Peinlichkeitsempfinden. Dazu passt auch die Figur des Butlers Hutler, der auch von seinem Schnauzbart und hochzuckendem rechten Arm abgesehen, vor Anspielungen auf den deutschen »Führer« nur so strotzt.
Da Filme immer auch Wunscherfüllung und Angstabwehr sind, kann man in Der Wixxer ebenso wie im Schuh des Manitu auch verborgenere Sehnsüchte entdecken: nach einer eigenen nicht-amerikanischen Phantasiewelt, nach einer Unschuld des Erzählens, Denkens und Empfindens, einer Zeit, in der die Bilder selbst noch unschuldig zu sein schienen. Vor allem aber die Sehnsucht nach einer Tradition, auf die man sich beziehen, und mit der man sich versöhnen kann – also nach allem, was dem deutschen Kino fehlt. Und so ersteht Papas Kino dann doch wieder auf – als Farce.