Österreich 2018 · 92 min. · FSK: ab 0 Regie: Eva Spreitzhofer Drehbuch: Eva Spreitzhofer Kamera: Xiaosu Han, Andreas Thalhammer Darsteller: Caroline Peters, Chantal Zitzenbacher, Simon Schwarz, Emily Cox, Kida Khodr Ramadan u.a. |
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Im Burkini lässt sich’s schön provozieren |
»Womit haben wir das verdient?« werden sich viele Filmliebhaber fragen, hören sie, dass wieder eine Multikulti-Komödie aus dem deutschsprachigen Raum in die Kinos kommt. Dabei finden wir in Eva Spreitzhofers Spielfilmdebüt eine hintersinnige österreichische Familienkomödie, die den Humor zum Thema Glauben wohldosiert und den Islam aus einer differenzierten Sichtweise betrachtet.
Womit haben wir das verdient? erzählt vom Konflikt der liberalen Mutter Wanda mit ihrer 16-jährigen Tochter Nina, die online zum Islam konvertiert ist und nun ein Kopftuch trägt. Die vermeintlich freien Werte ihrer Patchwork-Familie treffen auf das rigide Regelsystem der Religion, an das sich die Tochter aus idealistischen Gründen hält, ohne es zu hinterfragen. Viele der Figuren haben einen doppelten Boden: ein erzkonservativer Imam entpuppt sich als notorischer Schwerenöter, eine scheinbar konservative muslimische Mutter ist ebenso für Frauenrechte wie Wanda, während deren toleranter Freund immer mehr Züge eines Patriarchen aufweist.
Die Regie- und Kameraarbeit ist einfach und dezent gehalten, richtet das Hauptaugenmerk auf die Figuren und die Handlung.
Caroline Peters spielt die verunsicherte, doch tatkräftige Patchwork-Mutter. Wanda, die Feministin, hält sich für das Maß der Dinge. Hier hat sie gleich zwei Männer mit ausgeprägter Wurschtigkeit an der Seite, ihren Freund und ihren Exmann. Letzteren Pantoffelhelden spielt Simon Schwarz mit oft herrlich verdutzter Mine. Humor kann viele Funktionen
haben. Hier bewirkt er letztendlich die Versöhnung aller ideologischen Positionen. Es rückt der Fokus auf die individuellen Schwächen der Menschen und weg von der jeweiligen Weltsicht.
Womit haben wir das verdient? tanzt auf zwei Hochzeiten, nach erstem Eindruck vielleicht auf einer islamischen und einer christlichen. Doch der Schein trügt. Es ist die Glaubenssatire und das Familiendrama, an dem Eva Spreitzhofer den Spagat versucht. Doch kann ein Film die Beine so breit machen? Er verschenkt dadurch zumindest viel komisches Potential. Wer frei von Fehlern ist, der werfe den ersten Stein, könnte die sympathische Botschaft der Familienkomödie lauten. Bei der Redewendung ist man dann schnell bei Life of Brian und denkt schmunzelnd an die Steinigungsszene (»Kann es sein, dass Weibsvolk anwesend ist?«). Dieser Film ging mit einer hohen Dichte an witzigen Szenen dem Wesen von Glauben und Religion nach. Wer lacht nicht bei der Szene, in der der unfreiwillige Messias auf der Flucht vor seinen Jüngern seine Sandale verliert, die diese gleich für ein heilige Botschaft von ihm deuten? Der geniale Monty Python Klassiker ist natürlich ein hoher Vergleich, doch zeigt er, wie witzig und böse man das Thema Religion und Glauben auf die Schippe nehmen kann.
Das war freilich nicht das Ziel von Drehbuchautorin Spreitzhofer.
Wäre der Film ein personifizierter Prediger, so würde er auf der Kanzel recht religionskonform verkünden, dass jeder Mensch Macken habe, man diese jedoch einschließlich seiner Meinung respektieren solle. Für ein dramatisches Werk ein ehrenwerter Grundsatz. Für beißende Komik taugt er allerdings nicht.
Der Film hat bald seine satirische Sandale verloren und humpelt eher durch die Steppe in dem tapferen Vorhaben, dabei niemandem auf die Füße zu treten und ohne mal auszuholen, um richtig zuzutreten. Wenn ausnahmsweise Kritik an der Haltung des Islams gegenüber Homosexualität oder an der Kirche wegen ihrer Position zur Abtreibung aufklingt, dann doch mit ernster Miene.
Wie gerne sinniert man nach dem Alle-liegen-sich-in-den-Armen-Ende hingegen über den Ausgang von Der Gott des Gemetzels nach. Die beiden Ehepaare gehen desillusioniert, zerstritten und besoffen auseinander. In unseren Köpfen klingt noch der Satz des sonst eher spießigen Ehemanns nach, der sich in der Mitte des Films outet: »Ja, Penelope, ich genieße es, hemmungslos widerwärtig zu sein!« Diesem programmatischen Ausspruch mag ein pessimistisches Menschenbild innewohnen, doch es ist ehrlich und leider sehr lustig. Die Autorin Yasmina Reza enttarnt gekonnt die bürgerliche Scheinheiligkeit mit beißender Komik, ohne sich um Tabus zu scheren, während Spreitzhofer sich nicht wirklich aufs offene Gelände wagt.
Schön ist hingegen die Szene, in der Nina in der Moschee ihre Mutter anschnauzt, sie gefälligst in Ruhe ihre Religion ausüben zu lassen. Die am Tisch sitzenden Musliminnen ermahnen sie, als gläubige Muslimin respektvoller mit ihrer Mutter umzugehen, worauf Nina sich reumütig entschuldigt. Hier zeigt sich die wahre Qualität des Films. Dessen Kern ist keine Komödie, sondern ein solides Familiendrama, das uns den Spiegel vorhält und dafür mit einigen unterhaltsamen Gags gewürzt wurde. Doch wir müssen uns am Ende fragen: funktioniert ein solcher Hybrid aus respektvoller, ernster Betrachtung und scharfer, entlarvender Satire? Oder sind es nicht vielmehr zwei komplette Gegenpole auf einer Skala? Sind wir in Zeiten von Stromberg, The Office, Borat, Ziemlich Beste Freunde zu sehr den schwarzen Humor gewöhnt, um uns bei sanfteren Pointen noch auf die Schenkel zu klopfen?
Fakt ist: Humor bedeutet immer auch Grenzüberschreitung. Und es sind die genussvollen Mit-dem-Fuß-Aufstampfer, nicht die Leisetreter, die uns ein Leben lang im Gedächtnis bleiben werden. Moralischer Aspekt hin oder her.
So schön es ist, in einer pluralistisch geprägten Gesellschaft zu leben, so schwierig ist es auch, sich für einen der vielen Wege zu entscheiden, die einem offen stehen. In der Phase der Pubertät werden nicht nur neue Verbindungen von Nervenzellen im Gehirn geknüpft, sondern auch der stetige Versuch unternommen, seinen Platz in der Welt zu finden. Dies passiert nicht selten durch bewusste Abgrenzung von den Eltern. Was aber, wenn man in einer weltoffenen, liebevollen Patchwork-Familie mit starker, emanzipierter Mutter aufwächst und Kiffen und Schulschwänzen diese nicht aus der Reserve locken können? Eine besonders drastische Möglichkeit wäre wohl, übers Internet zum Islam zu konvertieren, der aufgrund der öffentlichen Debatte sowieso in aller Munde scheint.
»Womit haben wir das verdient?« würde sich das ein oder andere Familienmitglied wahrscheinlich fragen. Eva Spreitzhofer hat diese eingängige Frage zum Titel genommen und lässt in ihrem neuen Film Nina, ein österreichisches Mädchen aus aufgeklärtem Hause, den Hidschab überwerfen. Damit erhofft sich diese, nicht nur ihren Platz in der Welt gefunden zu haben, sondern auch die Aufmerksamkeit ihrer Familie und der Gesellschaft, die sich leider häufig sehr islamfeindlich zeigt, zu erlangen.
Es kommt, wie es kommen muss. Ihre atheistische und feministische Mutter fällt angesichts des religiösen Symbols weiblicher Unterdrückung aus allen Wolken und versucht auf Teufel komm raus, ihre Tochter wieder in die Welt freiheitlicher Werterziehung und Selbstbestimmung, weg von religiöser, patriarchaler Determination und gesellschaftlichen Zwängen zu holen. Je vehementer sie dies versucht, desto sturer die Tochter.
Mit viel Feingefühl und Charme bringt die österreichische Regisseurin und erfolgreiche Drehbuchautorin einen Film auf die Leinwand, der es trotz heiklem Thema schafft, den Zuschauer bis zum Schluss mit viel Humor mitzureißen und gleichzeitig zum Nachdenken anzuregen, ohne dabei belehrend zu wirken. Nicht zuletzt ist es auch der schauspielerischen Raffinesse der hervorragenden Besetzung (u.a. Caroline Peters als überengagierte Mutter, Simon Schwarz als indifferent-hilfloser Vater und der jungen Chantal Zitzenbacher) zu verdanken, dass der Zuschauer sich gleichermaßen abgeholt wie hinreißend amüsiert fühlt.
Natürlich stellt sich die Frage: Darf man über Religion lachen? Eva Spreitzhofers Film Womit haben wir das verdient? beantwortet sie mit einem klaren »Ja«! Dabei vollzieht die Komödie eine gekonnte Gratwanderung zwischen humorvoller Verarbeitung von Vorurteilen und subtiler Gesellschaftskritik ohne platte Klischees. Die etwas verworrene Patchwork-Familiensituation: getrennte Eltern mit jeweils neuen Partnern, deren Kinder und ein Baby, das sich bei der neuen Freundin des Vaters ankündigt, verschafft dem Film eine weitere sympathische Chaos-Ebene. Mit vielen kleinen, aber feinen Momentaufnahmen gelingt es der Regisseurin beiläufig, Tiefe zu geben und Witz einzustreuen, ohne dabei das Komödiantische groß zu affichieren – eine Begabung, die man in vielen deutschen Komödien vergeblich sucht.
Allerdings, natürlich auch dem Genre der Komödie geschuldet, fehlt es an mancher Stelle ein wenig an Ernsthaftigkeit. Die Radikalisierung junger Frauen über das Internet, die ihr Heimatland verlassen, um sich dem islamischen Staat anzuschließen und die dort Grausames erleben, ist bittere Realität; die Debatte um Vollverschleierung ist wesentlich aufgeladener, als es die urkomische Szene einer Polizeikontrolle vermuten lässt.
Im französischen Pendant Voll verschleiert (2017) setzt die iranische Regisseurin Sou Abadi auf ähnlichen Humor, doch bleibt sie insgesamt düsterer als ihre österreichische Kollegin. Besonders eingängig ist bei Eva Spreitzhofer der Titelsong »Tango della Femminista« von Fortunato Sonnio, der den Film schwungvoll eröffnet und nostalgisch beendet.
Der Tango ist nicht nur ein Tanz, sondern auch ein stetes Machtspiel, ein Wechsel von Nähe und Distanz. Im Fall von Womit haben wir das verdient? sind es Mutter und Tochter, die einen solchen Tanz der Gefühle austragen. Das Hin und Her von Annäherung und erneutem Konflikt könnte nicht besser musikalisch ausgedrückt werden. »Tango della Femminista« ist eine Hymne feministischer Proteste für Gleichberechtigung und Frauenwahlrecht, passt aber genauso für die Emanzipationsbestrebungen einer Tochter gegenüber ihrer Mutter und dem Kampf einer selbstbestimmten Muslima für eine Islamreform 4.0: Es ist ein wahrer »Tango della ribbellion«!
Gleichzeitig ist Womit haben wir das verdient? ein Aufschrei gegen patriarchale und überkommene Strukturen unserer Gesellschaft und zeigt, dass diese vorhanden sind – egal, welcher Religion oder Gesellschaftsschicht man angehört. Um es mit den Worten der Regisseurin auszudrücken: »Rechte Nationalisten teilen das hinterwäldlerische Frauenbild der Islamisten. Keine gute Zeit für Wahlen, aber eine perfekte Zeit für eine Komödie, die sich dieser Themen annimmt.« Der »Tango della femminista« ist wohl noch lange nicht zu Ende getanzt. Alle sollten wir uns also diesem Konflikt, dem »Tango unserer Zeit« widmen. Und anstatt Unterschiede hervorzuheben und Distanz zu wahren, lieber Gemeinsamkeiten betonen und Nähe suchen, wie letztendlich auch die Protagonist*innen des Films; – denn gemeinsam lacht und tanzt sich’s doch am besten!
Ist das der Albtraum der Mutter von heute? Die Tochter, die man jahrelang feministisch erzogen hat, tritt plötzlich zum Islam über? Ein Phänomen, das gegenwärtig nicht unwahrscheinlich ist. Für Eva Spreitzhofer selbst ist dies das Schlimmste, was ihr als Mutter geschehen könnte, wie sie im Interview gesteht. Mit dem Worst Case Scenario vor Augen schafft sie es, diese Fragestellung grandios in eine Komödie umzusetzen, die sie passenderweise mit einem Klagespruch betitelt hat: Womit haben wir das verdient?
Schon die musikalische Untermalung der ersten Szene gibt den Rhythmus der Handlung an: Es handelt sich um den »Tango della femminista«. Den Takt nachempfindend tanzen Mutter Wanda (Caroline Peters, die derzeit auch in Der Vorname brilliert) und Tochter Nina alias Fatima (Jungschauspielerin Chantal Zitzenbacher) leidenschaftlich und mit gewisser Aggressivität um die Widersprüchlichkeiten des Islams und des Feminismus herum. Die österreichische Gemütlichkeit schwächt die ernsthafte Ekstase dieser tiefschürfenden Gegensätze ab und lässt einen außergewöhnlichen Humor entstehen. Dieser bringt die moralischen und ideologischen Gewissheiten stets zum Kippen, bis keiner mehr weiß, was gut, was schlecht, was angepasst und was pubertär ist. Diesen spürt man besonders durch die genialen, scharfsinnigen und kampflustigen Dialoge zwischen Wanda und Nina, sowie den anderen Protagonisten.
Als da wären: der gleichgültige Vater Harald (Simon Schwarz), der seine neue Lebensgefährtin Sissy (Hilde Dalik) heiraten wird, und zur Erziehung der gemeinsamen Tochter keine große Meinung hat, aber stets anwesend ist. Der verständnisvolle Lebensgefährte (Marcel Mohab) von Wanda sieht die freie Entfaltung seiner Stieftochter nicht ganz so schwarz und ist relativ tolerant. Um das Patchwork dieser vielfältigen Elternkonstellation perfekt zu machen, kommt auch die Adoptivschwester Klara (Anna Laimanee) dazu, die mit Nina einen kleinen Aufmerksamkeitskrieg führt. Den Gegensatz dazu stellt der Stiefbruder dar, dem der neue Spleen seiner Schwester völlig egal ist. Und für den kleinsten von den Geschwistern ist das Kopftuch seiner Stiefschwester bloß eine neue Verkleidung. Damit sind alle Reaktionsmöglichkeiten von diesem Kulturen-Clash zwischen strenger Glaubensrituale und atheistischem Liberalismus feministischer Prägung ausgeschöpft.
Jedoch hat Nina bei dieser pubertätsinduzierten Religions-Rebellion auch Unterstützung von ihrer türkischen Freundin Maryam, die zwar muslimisch ist, allerdings bis vor kurzem kein Kopftuch getragen hatte. Zusammen stehen sie für ihre Überzeugung gegenüber ihren Müttern ein. Dabei ist die muslimische Mutter von Maryam wie Wanda gegen das Kopftuch und die frauenverachtenden Regeln des Islams. Am Ende stehen zwei feministische Mütter, die ihre Töchter zur Vernunft bringen möchten und versuchen, diese jugendliche Selbsteinschränkung zu verstehen.
Neben der komödiantischen Hinwendung zum Islam wird aber auch auf einer ernsthaften Ebene diese Religion greifbar authentisch gemacht. Insbesondere die Aussprache der arabischen Redensarten sind von Nina sehr gut eingeübt: ein »Alhamdulillah« hier und das Gebet vor dem Abendessen dort gehören zu Ninas alltäglichem Sprachschatz. Das macht auch die Wucht des Kulturen-Clashs aus, denn der Übertritt greift tief in den Alltag der Familie ein: Nina betet fünf Mal am Tag, führt jeden Abend die strenge Reihenfolge der Waschrituale durch und natürlich stellt sie den Essensplan der Familie mit ihren neuen Vorgaben auf den Kopf. Das Amüsante an diesen strengen Entwicklungen entsteht durch die modernen Einflüsse im traditionellen Glauben. Man kann nämlich nicht nur in YouTube-Tutorials die Waschrituale lernen, sondern selbst der Religionsübertritt funktioniert via Internet. Auch der recht geduldige Umgang des familiären Umfelds macht den ulkigen Charakter dieser Religions-Komödie aus. Caroline Peters bringt es fertig, den Albtraum der heutigen Mutter mit Bravour zu meistern. Alles in allem ist der Film eine Lizenz zum Lachen über Erziehung, Werte und Religion, insbesondere über den Islam. Dabei geht es stets korrekt und respektvoll zu.