Frankreich/CH/D 2014 · 124 min. · FSK: ab 6 Regie: Olivier Assayas Drehbuch: Olivier Assayas Kamera: Yorick Le Saux Darsteller: Juliette Binoche, Kristen Stewart, Chloë Grace Moretz, Lars Eidinger u.a. |
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Doppelbödig, aber niemals forciert |
Im Schweizer Oberengadin gelegen ist Sils Maria mit seiner von türkisblauen Seen durchzogenen unwirklichen Hochgebirgslandschaft ein abgelegener, mystischer Ort, der seit Friedrich Nietzsche ihn als den „lieblichsten Winkel der Erde“[1] anpries eine besondere Anziehung auf Schriftsteller, Philosophen und Wissenschaftler ausübt. Regisseur Olivier Assayas lässt seine beiden Hauptfiguren, die weltweit gefeierte Schauspielerin Maria Enders (Juliette Binoche) und ihre Privatassistentin Valentine (Kristen Stewart) gerade diese, mit der europäischen Hochkultur verwobene, Gemeinde in den Alpen aufsuchen, um für das Theaterstück „Moloja Snake“ zu proben, in dem Enders vor gut 20 Jahren die Rolle der verführerischen jungen Aufsteigerin Sigrid verkörperte, welche die mächtige Helena betört und schließlich ins Verderben stößt. Doch in der Neuinszenierung des Stückes soll Enders nicht mehr den sie einst berühmt machenden Part der Sigrid, sondern jenen der am Ende ihres Schaffens stehenden Helena geben. Dem blutjungen Hollywood-Starlet Jo-Ann Ellis (Chloë Grace Moretz) hat Theaterregisseur Klaus Diensterweg (Lars Eidinger) derweil die Rolle der Sigrid zugedacht. Ellis steht für eine neue Generation von medienerprobten Schauspielern, die auf Schritt und tritt von Paparazzi verfolgt werden, doch spiegelt sie zugleich auch mehr von dem einstigen karriereausgerichteten Ich von Maria Enders wider als dies der sich langsam ihres Alters bewusst werdenden Diva lieb sein kann.
Eingekesselt von den mächtigen Bergketten fangen verschiedene narrative und metaphorische Ebenen an sich zu überlagern – Theaterstück, Proben, filmische Realität sowie die realen Lebensläufe der Schauspieler scheinen einander wie Echos aus verschiedenen Parallelwelten zu beeinflussen und eröffnen interessante Lesarten der eigentlichen Handlung des von Assayas virtuos inszeniertem Künstlerdramas Die Wolken von Sils Maria.
»Dass der Werth der Welt in unserer Interpretation liegt ... – dies geht durch meine Schriften«[2]
In Die Wolken von Sils Maria muss die fiktive Gestalt der Maria Enders ihre vor zwanzig Jahren verkörperte Paraderolle der Sigrid loslassen, sie an eine andere Schauspielerin weiterreichen und sich stattdessen in die Rolle der Helena einfühlen. Dabei löst die Auseinandersetzung mit der Rolle der älteren Gegenspielerin Sigrids bei Enders ein neues Bewusstsein für ihren Alterungsprozess und die Veränderungen im Filmbusiness aus. Regisseur Olivier Assayas lässt, ähnlich wie schon in Irma Vep und Demonlover, auch in Die Wolken von Sils Maria reale sowie imaginäre Ebenen aufeinandertreffen und sich überkreuzen und macht auch vor der Verschränkung der realen Lebensläufe der Schauspieler mit ihren fiktiven Rollen nicht halt. Beispielsweise ist die Figur der durchtriebenen, auf ihren sozialen Aufstieg fixierten Sigrid nicht unähnlich der Rolle der Nina/Anne Larrieux in dem von André Téchiné und Assayas gemeinsam konzipierten Film Rendez-vous, deren Verkörperung Juliette Binoche einst zum Durchbruch verhalf. Doch nicht nur die Vergangenheit von Maria Enders scheint mit der von Binoche verknüpft, sondern auch die auf die angesehene Schauspielerin zukommende Frage wie man mit dem Älterwerden umgehen soll, wie man es verarbeiten soll, dass sich die angebotenen Rollen verändern und neue, jüngere Schauspielerinnen einem die Position streitig machen.
Die Narration von Die Wolken von Sils Maria erscheint trotz des doppelbödig- verkopften Konzeptes niemals forciert oder gezwungen, sondern hat vielmehr, wie schon in Assayas’ letztem Werk Die wilde Zeit, etwas beiläufig- fließendes an sich. Doch gerade die vor sich hintreibende Story eröffnet den drei zentralen Darstellerinnen die nötigen Freiräume um wahrlich zu glänzen. Insbesondere Binoche weiß alles aus der tragischen Figur der gefeierten Schauspieldiva herauszuholen und verleiht der, von einem Stimmungsextrem ins nächste schwankenden Figur der Maria Enders die nötigen Konturen.
Kristen Stewart gibt als taff- couragierte Val den Part der im Hintergrund der großen Actress alles arrangierenden Assistentin – die multitaskingerprobt immerzu mit zwei Telefonen in der Hand das Leben ihrer gefragten Chefin koordiniert – und kann dabei mit einer der stärksten Leistungen ihrer Karriere aufwarten. Ihr Zusammenspiel mit Binoche ist grandios, insbesondere weil die beiden Schauspielerinnen eine interessante Spannung zwischen den beiden Figuren im Wechsel von Anerkennung, Abhängigkeit und Abstoßung kreieren. Die ambivalente Beziehung zwischen einem 24/7-Arbeitsverhältnis, freundschaftlichen Untertönen, Begehren und Ablehnung tritt dabei besonders in den gemeinsamen Textproben zu dem Theaterstück „Moloja Snake“ zu Tage. Maria Enders Beziehung zu ihrer Assistentin Val spiegelt sich denn auch zusehends in den Rollenbildern von Sigrid und ihrer älteren Vorgesetzten Helena.
Chloë Grace Moretz gibt derweil den herrlich durchtrieben auf der Klaviatur der Medien spielenden Jungstar Jo-Ann Ellis mit augenzwinkerndem Humor und empfiehlt sich für größere Rollen weiter, die weitaus mehr als die Durchschlagskraft eines Hit-Girls (Kick-Ass) erfordern. Dabei ruft die Figur der fiktiven Schauspielerin Jo-Ann Ellis unweigerlich auch Assoziationen zu Kristin Stewarts beständigem Leben im Scheinwerferlicht, samt öffentlich ausgetragener Skandale und dem Wunsch als Schauspielerin ernst genommen zu werden, hervor. Die durchweg starken Darstellerleistungen hauchen dem facettenreichen Werk mit seinen mannigfaltigen, an den schroffen Engadiner Bergwänden widerhallenden Bedeutungsechos letztlich die nötige Lebendigkeit ein. Dabei gelingt es Assayas sowohl ironisch- sarkastische Seitenhiebe auf die Parallelwelt Hollywoods und den medialen Starkult auszuteilen als auch einen Generationskonflikt an den drei Frauengestalten durchzuspielen, in dem es vor allem um den Wandel des Kunstanspruchs und die Vereinbarkeit von Kunst und Unterhaltung geht.
[1] F. Nietzsche, Briefwechsel. In: KGB, Bd. III, S. 100.
[2] F. Nietzsche. In: KSA 12, S. 114.