Deutschland/Ö/F 2009 · 100 min. · FSK: ab 12 Regie: Shirin Neshat, Shoja Azari Drehbuch: Shoja Azari, Shirin Neshat Kamera: Martin Gschlacht Darsteller: Pegah Ferydoni, Arita Shahrzad, Shabnam Toloui, Orsolya Tóth, Navíd Akhavan u.a. |
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Kunstvoll in Szene gesetzt |
Ein Klagen über das Leben in Gefangenschaft, gefangen von Männern, gefangen in der Tradition, gefangen im politischen System. Shirin Neshats Women Without Men ist ein mystisch-tragender Film über vier iranische Frauen, die versuchen auszubrechen aus ihrem engen Leben. Sie treffen sich in einem verwunschenen Garten außerhalb Teherans und erleben einen Moment von Freiheit und Frieden.
Der Imam ruft zum Gebet, eine schwarz verschleierte Frau sitzt auf dem Dach eines weißen Hauses und blickt in den blauen Himmel. Munis (Shabnam Toloui) ist verzweifelt. Sie wird von ihrem Bruder gegängelt, kann ihren Freiheitsdrang und ihr politisches Engagement nicht ausleben. Munis ist eine der vier Frauen, die vor dem Hintergrund des Militärputsches von 1953, bei dem der Premierminister Mohammad Mossadegh gestürzt wurde und der Schah zurück an die Macht kehrte, mit ihrem fremdbestimmten Leben hadern. Munis, Fakhri, die desillusionierte Frau eines Offiziers (Arita Shahrzad), die bis auf die Knochen abgemagerte Prostituierte Zarin (Orsolya Tóth) und Munis' Freundin Faezeh (Pegah Ferydoni) finden Zuflucht in einem paradiesischen Garten fernab ihrer alltäglichen Leben. »Vom Schmerz ist man nur befreit, wenn man sich von der Welt befreit«, so spricht die persische Erzählerin Munis' Gedanken im Prolog aus.
In verschiedenen Erzählsträngen begleiten wir die Frauen auf ihrem Weg in den Garten, bei ihrer Emanzipation, bildlich verkörpert durch eine scheinbar endlose Schotterstraße zum Horizont. Wie ihre Installation »Rapture« von 1999, so wurde auch Women Without Men in Marokko gedreht. Die Bilder sind von bestechender Schönheit, die Atmosphäre der 1950er Jahre liebevoll inszeniert.
Inspiriert vom gleichnamigen Roman der iranischen Exilautorin Shahrnush Parsipur ist der international renommierten Foto- und Videokünstlerin mit Women Without Men ein wunderbarer Debütfilm gelungen, der den Zuschauer mit kraftvollen und pathetischen Bildern verzaubert. Aber nur den, der sich darauf einlässt, der die fließenden Grenzen zwischen Realität und Traum, zwischen Leben und Tod annehmen kann. Der magisch-mystische Charakter des Films wird durch den für europäische Ohren fremd anmutenden Klang der persischen Sprache untermalt. In der deutschen Synchronfassung geht diese Komponente gänzlich verloren. Vor allem die Stimme der Erzählerin wirkt beinahe weichgespült und verliert ihre Ausdruckskraft.
Wer Neshats Installationen kennt, erkennt ihre Handschrift auch in diesem Spielfilm wieder. Die Inszenierung von Menschenmengen, von Schwarz-Weiß-Gegensätzen und mystischen Landschaften prägen auch Women Without Men. Jede Szene ist ästhetisch durchkomponiert und für sich ein Kunstwerk. Aus den stilisierten Bildern spricht die Fotografin und Installationskünstlerin Shirin Neshat. Die starke Symbolik wirkt manchmal bedrohlich, zum Beispiel wenn Zarin nur mit einem Bettlaken verschleiert in einen Kreis schwarz verhüllter Frauen gelangt oder in einer Moschee vor betenden Männern wie versteinert verharrt oder sich nach ihrer Flucht aus dem Bordell solange wäscht, bis sie blutet.
Dem Film kommt zugute, dass Iran und die dortigen Verhältnisse sehr präsent sind in der deutschen Öffentlichkeit. Die angespannte politische Lage, die internationalen Konflikte um das iranische Atomprogramm und die repressive Politik Mahmud Ahmadinedschads lassen Iran nicht aus den Zeitungen verschwinden. Gleichzeitig wird jedoch auch die iranische Kulturszene wahrgenommen. So hat das Münchner Filmfest jüngst den bedeutenden iranischen Regisseur Abbas Kiarostami mit einer Retrospektive geehrt und auf der diesjährigen Berlinale lief Rafi Pitts' Zeit des Zorns im Wettbewerb. Auch ältere Werke wie Das Haus ist schwarz von Forough Farrokhzad, das 1963 den Großen Preis des Dokumentarfilms bei den Internationalen Kurzfilmtagen in Oberhausen erhielt, werden immer wieder gezeigt.
Sie alle verbindet ein oftmals zwiespältiges Verhältnis zur Heimat. Sie alle thematisieren immer wieder ihr Land. Marjane Satrapi, ebenfalls in jungen Jahren aus dem Iran ausgewandert und jetzt in Frankreich lebend, verfolgt einen völlig anderen Zugang als Shirin Neshat. Auch sie thematisiert die Situation der Frauen im Iran, beschreibt die politischen Probleme, jedoch auf eine sehr humorvolle und oftmals ironisch anmutende Weise. Ihre Comic-Autobiographie und der dazugehörige Animationsfilm Persepolis ermöglichen tiefe Einblicke in den Alltag eines jungen Mädchens im Iran der 1970er Jahre, begleiten es zu geheimen Parties, zu Freundinnen, zur Großmutter. Solche lebensnahen Details erfahren wir in Women Without Men kaum. Im Vordergrund steht die visuelle Inszenierung. Der Film hat kaum Dialoge, die Stimmen verschwimmen oft zu einem unverständlichen Summen und werden so zu Hintergrundgeräuschen der kraftvollen Bilder. Wirkungsvoll eingesetzte Musik verstärkt den Kunstcharakter der Bilder.
Trotz der in den 1950ern angesiedelten Handlung ist Women Without Men äußerst aktuell und kann auch als Kommentar zu den aktuellen Entwicklungen im Iran gelesen werden. Obwohl, das hat Shirin Neshat jüngst in einem Interview mit der »Süddeutschen Zeitung« betont, der Film vor den Demonstrationen im Iran zu Beginn des Jahres 2009 fertiggestellt war. Sieben Jahre hat die Regisseurin an ihrem Film gearbeitet. Dass Women Without Men dennoch als Stimme in der aktuellen Debatte wahrgenommen werden will, macht die Widmung zum Ende deutlich: »Dieser Film ist dem Andenken aller Menschen gewidmet, die im Kampf für Freiheit und Demokratie im Iran ihr Leben ließen – von der Konstitutionellen Revolution 1906 bis zur Grünen Bewegung von 2009.« Eine weiße Leinwand untermalt von melancholischen Klängen, die den Zuschauer ohne den gewohnten Abspann nach Hause schickt, intensiviert die mahnende Wirkung dieser letzten Worte.
Shirin Neshats Film ist ein sehr eindrückliches Plädoyer für ein freieres Leben, ein Leben ohne die Unterdrückung, die vor allem Frauen im Iran und anderen islamisch geprägten Gesellschaften immer wieder erfahren müssen. Neben dem Silbernen Löwen von Venedig erhielt sie 2009 den Cinema for Peace Award sowie soeben den Friedenspreis des Deutschen Films und renommierte Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch oder Amnesty International unterstützen ihren Film. Einen Film, der trotz der teils etwas pathetischen Symbolsprache ein lohnenswerter Ausflug ist in eine in jeder Hinsicht andere Welt.