USA 2020 · 151 min. · FSK: ab 12 Regie: Patty Jenkins Drehbuch: Dave Callaham, Geoff Johns, Patty Jenkins Kamera: Matthew Jensen Darsteller: Gal Gadot, Chris Pine, Pedro Pascal, Connie Nielsen, Robin Wright u.a. |
||
Der Geist der Zeit und das kollektive Unbewusste... | ||
(Foto: Warner Bros.) |
80er Jahre-Mode, zwei Frauen kämpfen und ein Mann spielt mit einer Wunschmaschine – das ist die Konstellation bei der Fortsetzung des Superhelden-Blockbusters Wonder Woman. Als »der ungewöhnlichste Superheldenfilm seit Jahren« wurde Patty Jenkins' Wonder Woman beschrieben, als er vor
gut drei Jahren ins Kino kam. Es war der erste Superheldenfilm mit einer weiblichen Superheldin.
Die Israelin Gal Gadot spielte die Hauptrolle der ersten weiblichen Superheldin. Regie führte Patty Jenkins. Die drehte jetzt auch die Fortsetzung, Wonder Woman 1984 – der hätte eigentlich schon im Sommer in die Kinos kommen sollen. Pandemie-bedingt startet er erst jetzt, und im Stream bei Sky.
+ + +
»Mein Leben ist nicht so verlaufen, wie Sie vielleicht denken. Wir alle haben unsere Probleme.« – diese Feststellung der Heldin, recht früh in diesem Film, ist eine Untertreibung, wenn man bedenkt, dass Wonder Woman, die Heldin dieses Films, die mit – nun ja – bürgerlichem Namen Diana heißt, dass diese junge, unsterbliche Frau eigentlich aus der Antike stammt und dort ins mythische Reich der Amazonen hineingeboren wurde.
Das ist lange her und nun kommt sie mit einigen Zwischenstationen, von denen wir im ersten »Wonder Woman«-Film vor drei Jahren erfahren haben, in die frühen 80er Jahre hinein, genau gesagt ins Jahr 1984.
Ronald Reagan ist Präsident im Weißen Haus; Frankie Goes To Hollywood singt feinsinnig-beziehungsreich vom »Pleasuredome«; die Menschen hören außerdem noch Punk & Disco-Pop, glauben an »No Future« und fürchten den Atomtod. Dieses Szenario der absoluten Vernichtung im Atomkrieg ist der ernste dunkle Untergrund dieser ansonsten sehr comichaft und grell erzählten Geschichte von Wahnsinn und Gesellschaft.
Vor allem für die Ausstatter und Bühnenbildner dieses Films muss es ein Riesen-Spaß gewesen sein, in ihre Jugend zurückzureisen. Die Menschen hatten noch keine Handys, Computer waren Dinge, die so groß waren wie eine Mikrowelle; aber ansonsten gab es allerlei kuriose Technik und vor allem absurde Moden: Hosen aus Fallschirmseide, Jacken in Flamingo-Farben und sehr merkwürdige, wellige Frisuren.
Einem Zeitreisenden müssen dagegen erstmal die unglaublichen Grundprinzipien erklärt werden, zum Beispiel, was mittlerweile alles Kunst ist.
Der Film spielt vor allem in Washington, was in diesem Fall nicht nur die Hauptstadt der Weltmacht USA ist, sondern auch ein interessanter Ort mit allerlei ungewöhnlichen Gebäuden– wie dem Obelisk, der immer mal wieder ins Bild gerückt wird, wie dem Air & Space-Museum und dem Kunstmuseum Smithsonian Institute. Hier arbeitet Diana. Diana, die Wonder Woman, ist die Quintessenz der alleinstehenden Frau: Sie hat nichts außer ihrer Arbeit und den Träumen von früher, von der Kindheit im Amazonenland und vom Boyfriend, den sie mal im Ersten Weltkrieg hatte, sie betrinkt sich nicht, sie vernascht keine Praktikanten, sie hat keine Freunde, sie arbeitet als Mischung aus Archäologin und Anthropologin beim Smithsonian.
Und hier lernt sie eine Frau kennen, Barbara, die sich mit ihrer Hilfe ähnlich wie einst Catwoman bei Batman von einer grauen Maus in eine Vamp-hafte Raubkatze mit Superkräften verwandelt und zur gefährlichsten Gegenspielerin der Heldin wird – aber eben auch wie eine Liebende mit ihr durch perverse Wünsche sadomasochistisch verbunden.
Barbara verkörpert die weibliche Seite des Aufstiegs der Trash- und Vulgärkultur und die Rebellion des kleinbürgerlichen Ressentiments gegen eine bürgerliche Gesellschaft, die noch weiß, wo Oben und Unten ist: »Du hattest immer alles, während Leute wie ich gar nichts hatten. Aber jetzt bin ich dran. Gewöhn dich dran.« Der Aufstand der »Sklavenmoral« (Friedrich Nietzsche).
Die männliche Seite dieses vulgären Ressentiments verkörpert Maxwell Lord, ein Spekulant und
Showmaster und hierin prototypischer materialistischer Aufsteiger der 80er Jahre. Sein Bild der Zukunft fußt auf der Behauptung: »Das Leben ist gut, aber es kann besser sein. Warum auch nicht? Sie müssen es nur wollen. Stellen Sie sich vor, Sie besitzen endlich alles, was Sie schon immer haben wollten.«
Durch ein paar eher banale Winkelzüge kommt Lord in den Besitz einer geheimnisvollen Wunschmaschine, und dieses gefährliche Spielzeug muss dem gefährlichen großen Kind von der guten Seite der Macht, also der »Wonder Woman«, möglichst schnell wieder abgenommen werden. Oder eigentlich schlimmer noch: Er soll es freiwillig abgeben – eine Konstellation, wie aus dem Märchen, aus den Zeiten, als das Wünschen noch geholfen hat...
Wunsch-Mann gegen Wunder-Frau – das sentimentale Prinzip kämpft hier mit dem naiven; das Aufklärungs- und Neugier- und Götter-Herausforderungs-Prinzip des Prometheus, nach dem man immer mehr wünschen muss, mehr wollen muss und alles schaffen kann, wenn man nur will, und nach dem man als einzelnes Individuum sich seine Wünsche erfüllen darf, auch böse Wünsche, ungeliebte, amoralische Wünsche – dieses libidinöse Prinzip der Wunscherfüllung wird in diesem Film
gefesselt mit dem »Lasso der Wahrheit« der Wonder Woman.
Diese steht für Selbstbescheidung, aber auch für den Glauben an etwas Höheres, an die Götter; für die Demut gegenüber den Göttern – sie steht für das mythische Prinzip.
Ist das nun Popfeminismus? Eher nicht – es sei denn, dass Feminismus in der Praxis bedeutet: Auch Frauen haben das Recht, schlechtes, oberflächliches Spektakelkino zu machen.
Tatsächlich erzählt uns dieser Film vor allem eine ganze Menge vom derzeit herrschenden Zeitgeist, von einem identitären Fundamentalismus, der sich allzu gewiss ist, selber auf der guten Seite zu stehen und das Gute zu verkörpern.
Denn allenfalls geht es hier um den schlechten Rückfall, und zwar um Rückfall in längst überholt geglaubten schlechten Romantizismus, also nicht etwa um den Überschuss und die phantasievolle neugierige Infragestellung des Vernunft-Prinzips,
sondern um die Kolonisierung der Wüste des Realen; darum, dass diese Superheldin eine kleine spießige Ordnung schafft in unserer Welt und darum vor allem die Welt der kleinen Spießer rettet, eine Welt, der sie selbst nicht angehört – die Welt der amerikanischen Bürger der Reagan-Zeit.
+ + +
Superhelden-Filme sind angeblich harmlose und komplett sinnleere Vergnügungen. Doch diese Behauptung stimmte noch nie: Tatsächlich enthüllen Superhelden-Filme wie andere Massenunterhaltungsfilme exakt den Geist der Zeit und das kollektive Unbewusste. Sie enthüllen die Moral, die die Menschen sich geben möchten, und die Moral, die die Industrie für sie vorgesehen hat.
Dieser Film erzählt im Jahr von Fridays-for-Future und Corona: Hört auf, zu wünschen, zu konsumieren, hört auf mit den 80ern: Nur ein Gott kann uns retten.
Wonder Woman 1984 ist komplett ironiefrei. Und ohne Witz und Humor und die Relativierung des großen Pathos ist so ein Film aber nicht zu ertragen.
In einer Zeit, die Spaß und Eskapismus und ein bisschen Amoral braucht, ein bisschen weniger Gehorsam gegenüber Wasauchimmer, nicht nur den ermüdenden und ermüdend stupiden Pandemieeindämmungs-Maßnahmen, in solch einer Zeit erzählt uns dieser Film das Gegenteil: Vernünftig sein, nicht zuviel wünschen.
Wonder Woman 1984 ist lauwarm, er ist alles außer Exzess, er kratzt nie an den Rändern des Möglichen. Und beleidigt unsere Intelligenz.