Deutschland 2021 · 132 min. · FSK: ab 6 Regie: Karoline Herfurth Drehbuch: Karoline Herfurth, Lena Stahl, Monika Fäßler Kamera: Daniel Gottschalk Darsteller: Emilia Schüle, Martina Gedeck, Nora Tschirner, Joachim Król, Friedrich Mücke u.a. |
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Die allseitig reduzierte Persönlichkeit... | ||
(Foto: Warner Bros.) |
Man kann Karoline Herfurths Tragikomödie eine Menge Vorwürfe machen: plakative Schwarz-Weiß-Malerei bestehender Genderverhältnisse, ein bis in den derbesten Klamauk gehenden, allzu platten Humor und eine Gratwanderung in der Darstellung von Körperlichkeit, die zwar der „Sache“ dient, aber dann doch auch wieder die Grenzen der Kritik, etwa am Body-Shaming, so überraschend wie fragwürdig überschreitet, um sich plötzlich im Assoziationsraum des Body-Horrors wiederzufinden. Denn wie die von zwei Schwangerschaften gezeichnete Sonja (Karoline Herfurth) ihre Milch abpumpt oder von Schwangerschaftsstreifen gezeichnet auf dem Boden entlangrobbt, sieht sich nicht viel anders an, als die destruktive „Maschinenschwangerschaft“ und ihre Folgen in Julia Ducournaus Titane.
Aber gerade diese Grenzüberschreitungen und Vorwürfe machen Wunderschön eigentlich erst wirklich sehenswert, auch weil sie die ganze Wut und die Verzweiflung darüber ausdrücken, dass wir nach all den feministischen Wellen irgendwie immer noch am Anfang stehen. Herfurth erlaubt sich, was sich viele deutsche Komödien, die Geschlechterverhältnisse thematisieren wie z.B. Generation Beziehungsunfähig oder Es ist nur eine Phase, Hase, nicht trauen. Herfurth dekonstruiert den Körper zu einem Schlachtfeld und nutzt dieses Schlachtfeld dann, um erneut zum Kampf aufzurufen.
Diesen Kampf ruft sie allerdings generationsübergreifend auf, amalgamiert in ihren Episoden, die im Lauf des Films erzählerisch mehr und mehr über persönliche und familiäre Verhältnisse zusammenfinden, Frauenschicksale aus allen Generationen, von der Schülerin bis zur kurz vor der Rente stehenden, frustrierten Ehefrau, und forciert mit jedem neuen Teilstück ihrer Erzählung das Tempo, in dem nicht nur die Geschlechterverhältnisse unter die Räder kommen, sondern auch Freundschaftsbeziehungen und Familienverhältnisse zwischen Müttern und Töchtern.
Gerade hier findet sich dann auch die Handschrift von Lena Stahl, die erst kürzlich mit ihrem Mutter-Sohn-Identifikationsdrama Mein Sohn auf sich aufmerksam gemacht hat und mit Herfurth am Drehbuch beteiligt war. Gleichzeitig schreibt Herfurth auch ihre Filmografie damit konsequent weiter, die mit der überzeugenden, aber eher konventionellen romantischen Komödie SMS für Dich 2016 startete und bereits mit Herfurths zweitem und letzten Film Sweethearts (2019) eine Fokussierung auf die Rolle der Frau in unserer Gesellschaft einnahm. Damit emanzipiert sich Herfurth auch wohltuend von ihren Rollen als Schauspielerin großer Mainstream-Produktionen wie Das perfekte Geheimnis oder Die kleine Hexe.
Denn wie Herfurth mit ihrem überragenden weiblichen Ensemble (Emilia Schüle, Martina Gedeck, Nora Tschirner, Dilara Aylin Ziem) gegenwärtige Weiblichkeit nicht nur hinterfragt, sondern gleichzeitig so fordernd wie aggressiv Lösungen mit starkem körperlichen (und schauspielerischen) Einsatz anbietet, macht nicht nur Spaß, sondern überrascht auch. Denn sie widerlegt damit auch einen Kommentar in Susanne Heinrichs Das melancholische Mädchen: »Ich habe neulich einen Film von Helke Sander gesehen. Die Frauen darin waren aufgeklärter, weniger unterdrückt und irgendwie nicht so blutleer wie wir.«
Denn das „Wir“ in Herfurths Film ist durchaus auf der Höhe von Helke Sander (die übrigens dieser Tage 85 Jahre alt geworden ist und der wir herzlich gratulieren!) und ihren Filmen, etwa ihrem großartigen, 1978 auf der Berlinale im Forum gezeigten, ebenfalls sehr episodischem, multiperspektivischem Film, in dem Sander so wie jetzt Herfurth in ihrem Film auch eine Hauptrolle spielt. Doch anders als in Helke Sanders Die allseitig reduzierte Persönlichkeit – Redupers, in dem Sander eine Art von Decolonising the Mind nach Ngũgĩ wa Thiong’o für die Frau fordert, steht in Herfurths Film die „Dekolonialisierung des Körpers“ im Vordergrund.
Und das so explizit und überzeugend, dass man nur hoffen kann, dass in weiteren 44 Jahren nicht noch einmal solch ein Film gemacht werden muss, um die bestehenden Verhältnisse herauszufordern. Und es dann hoffentlich auch nicht mehr nötig sein wird, die ewige, peinvolle Leier der geschlechtsspezifischen Sozialisation wieder und wieder zu wiederholen, mit der wir ja, wie die Sozialpsychologin Helga Bilden fast schon ermüdend 1980 im Handbuch der Sozialisationsforschung betonte, den ganzen Schlamassel erneut reproduzieren: »Die Frage nach geschlechtsspezifischer Sozialisation bedeutet, nach geschlechtsdifferenzierenden ›typischen‹ Sozialisationsbedingungen und nach Geschlechtsunterschieden im Verhalten, Denken, Fühlen zu fragen. Solche Fragen laufen fast zwangsläufig auf die Konstruktion eines männlichen und eines weiblichen Sozialcharakters hinaus. Damit vollziehen wir die polarisierende gesellschaftliche Konstruktion der zwei Geschlechter einfach nach und reproduzieren den schematisierenden Dualismus von männlich-weiblich.«
Zum Glück sieht die jüngste Gegenwart inzwischen ein wenig anders aus, nehmen sich auch die jungen deutschen Kinder- und Jugendfilmmacher dieser Thematik an und produzieren in Filmen wie die Königin von Niendorf, Invisible Sue, Madison – ungebremste Girlpower, oder selbst einem Blockbuster wie Die Pfefferkörner und der Fluch des schwarzen Königs Rollenmodelle für Jungen und Mädchen, die weit von dem entfernt sind, was in Wunderschön noch bitterer Alltag ist.