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Marokko 2006 · 99 min. · FSK: ab 12
Regie: Faouzi Bensaïdi
Drehbuch:
Kamera: Gordon Spooner
Darsteller: Faouzi Bensaïdi, Nezha Rahil, Fatima Attif, Hajar Masdouki u.a.
Choreographie der Straße

Ballsaal Casablanca

Ein Film wie ein Tanz, und zwar von Schlaf­wand­lern. Das ist ja nicht ganz unge­wöhn­lich in arabi­schen Filmen, diese Somnam­bulen Sequenzen, die sich durch viele Filme ziehen. Der marok­ka­ni­sche Regisseur Faouzi Bensaïdi hat hier in seinem zweiten Spielfilm ein Bild des modernen Marokko geschaffen, das in seinen Hoch­haus­schluchten aber immer noch Platz für Mystik und dem Gefühl für Hoffnung und Freiheit lässt.

Kenza (Neza Rahil) ist Verkehrs­po­li­zistin in Casablanca, das muss man sich ja schon als recht gott­ver­las­senen Job vorstellen, inmitten eines großen Platzes stun­den­lang in der Hitze dieser Stadt stehen zu müssen und dann die Auto­ab­gase ins Gesicht geblasen zu bekommen. Vom Lärm ganz zu schweigen. Aber in diesem Film geht es eher leise zu, und auch die Kamera schaut gerne aus der Distanz, und am liebsten von oben, zu. So kann man gut die elegante Choreo­gra­phie von Kenza beob­achten, die Autos und andere Verkehrs­teil­nehmer wie eine Diri­gentin leitet.

Außerdem verleiht sie geschäfts­mäßig ihr Handy an Personen, die sich kein Telefon leisten können. Eine davon ist Souad (Fatima Attif), die als Putzfrau ihr Geld verdient und nebenbei noch als Prosti­tu­ierte arbeitet. Letzteres scheint aber eher eigenem Hormon­haus­halt zu dienen als dem Porte­mon­naie. Und wenn Kunden ihrem Lust­an­spruch nicht genügen sollten, kann sie Mann ja immer noch um den Verstand tanzen – und in den Schlaf. Der Lieb­lings­kunde von ihr ist Kamel (Faouzi Bensaïdi selbst), ein Auftrags­killer, der über den Dächern von Casablanca ein Appar­te­ment hat und seine Aufträge via Internet erhält. Das wiederum bringt noch den jungen Hicham (Hajar Masdouki) ins Spiel, der sich scheinbar zufällig bei Kamel einge­hackt hat, und nun dessen Spur verfolgt. Überhaupt verfolgen sich hier die Poli­zistin und Kamel beruflich und privat (großartig auch eine Szene in einem Lift, in der Kenza auf Kamel trifft, der sich als Frau verkleidet hat und verwirrt über die plötzlich auftre­tenden Gefühle stumm neben ihr/ihm steht).

Der junge Hicham ist seiner­seits als Bote für seinen gelähmten Vater tätig, der ihn wiederum unter­s­tützt, um sich seinen Traum vom besseren Leben in Europa erfüllen zu können. Nirgendwo ist Afrika geogra­fisch dem Nach­bar­kon­ti­nent so nah wie in Marokko, das nur die enge Straße von Gibraltar von Europa trennt. Der dennoch so ferne Kontinent kommt im Film aber nur als Hinter­grund­ta­pete für Foto­auf­nahmen vor – und als nächt­li­chen Kulisse, als auf hoher See sich die Wege des Flücht­lings­boots mit einem Kreuz­fahrt­schiff kreuzen. Sehr bizarr. Wie so oft, tänzelt der Film dabei unter­haltsam zwischen Komik und Tragik. Eine Szene von Hicham, die in einem Konsulat spielt und ihn in eine Schlä­gerei mit Poli­zisten verwi­ckelt, erinnert gar an eine Tanz­per­fo­mance, so als wär man plötzlich in einem Musical gelandet. Das sind aber nur Neben­stränge, denn als Kenza einmal ein Gespräch ihrer Freundin Souad annimmt, ist dessen Kunde Kamel am Apparat und sie verwi­ckeln sich in ein Gespräch, das sie augen­schein­lich beide fürein­ander verfallen lässt. Noch weiß sie nicht, dass es sich bei dem Anrufer um den Mann handelt, den sie immer von ihrem Arbeits­platz auf der Verkehrs­insel sehen kann und sich bereits in ihn verliebt hat. Kamel selbst beob­achtet sie dabei selber oft von seinem Café am Platz aus, versteckt hinter seiner Sonnen­brille, würde er seine Identität wohl auch niemals von selbst zu erkennen geben, von Gefühlen ganz zu schweigen. Diese Coolness treibt Regisseur Bensaidi auch einmal ironisch auf die Spitze, indem er einen Exeku­tions-Auftrag in einen schwarz-weiß Comic verwan­delt.

So hat Kamel weiter nur ihre Stimme und Kenza scheint sich in zwei Personen zu verlieben. Als Zuschauer weiß man ihre prophe­ti­schen Worte zu deuten, die immer wieder­kehren: »…alles, was ich berühre, zerfällt zu Asche, so ist es besser du hältst dich von mir fern«. Erst gegen Endes Films treffen sie zum ersten Mal bewusst aufein­ander, was zu einem furiosen Finale führt.