Japan 2016 · 111 min. · FSK: ab 6 Regie: Makoto Shinkai Drehbuch: Makoto Shinkai Musik: Radwimps Schnitt: Makoto Shinkai |
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Moderne vs. Tradition, Mann vs. Frau |
Nun hat es auch Deutschland getroffen. Eigentlich nur für Screenings an zwei Tagen in 150 Kinos deutschlandweit angesetzt, wird der Verleih nach 20.000 Zuschauern am ersten Tag umdisponieren und weitere Vorführungen für die erfolgreichste japanische Anime aller Zeiten, Makoto Shinkais Your Name, ansetzen. In Deutschland ist das tatsächlich sensationell, waren doch selbst die Animes aus dem Hause Ghibli stets reine Nische – selbst »Großkunstwerke« wie Ghiblis Die Legende der Prinzessin Kaguya oder Erinnerungen an Marnie liefen allenfalls zwei Wochen in einem Kinosaal Münchens.
Das überrascht, denn Your Name unterscheidet sich auf den ersten Blick kaum von Ghiblis ambitionierten Werken, die sich auch dadurch auszeichneten, nicht nur Kindersehnsüchte zu bedienen, sondern immer wieder auch den für deutsche Sehgewohnheit ungewohnten Weg gingen, erwachsene Themen animiert zu erzählen: etwa ein Blick auf Kobe in den letzten Monaten des zweiten Weltkriegs in Isao Takahatas Die letzten Glühwürmchen oder die Kombination vom »Erwachsenwerden« Tokios vor den olympischen Spielen 1964 und das der 16-jährigen Umi Matsuzaki in Gorō Miyazakis Der Mohnblumenberg.
Ähnlich wie Ghiblis Der Mohnblumenberg und Erinnerungen an Marnie verhandelt auch Your Name vordergründig eine klassische Coming-of-Age-Geschichte; wird vor dem Hintergrund eines Kometeneinschlags in der japanischen Kleinstadt Itomori der Alltag der in Itomori lebenden Oberschülerin Mitshuha und des in Tokio lebenden Oberschülers Taki erzählt. Stadt wird neben Land, Moderne neben Tradition gestellt und wie auch in Erinnerungen an Marnie wohnt dieser Gegenüberstellung eine zarte, subtile Kritik inne, wird deutlich aufgezeigt, was mit der Moderne verloren ging.
Your Name greift diesen Diskurs allerdings radikaler auf, als es Ghibli je getan hat. Denn statt des melancholischen, kunstvollen Vergehens einer Epoche stellt Makoto Shinkai in Your Name einen für japanische Verhältnisse ungewohnten Widerstand in den Raum. Er ist zwar immer noch zart formuliert und dementsprechend animiert, doch was Shinkai sagt, ist eindeutig: das alte Japan, symbolisch auf Itomori projiziert, ist unwiderbringlich zerstört. Und die einzige Hoffnung ist: sich in diese Vergangenheit zu »verlieben« und sie damit in sich zu tragen und in die Moderne zu überführen, um diese wieder lebenswerter zu gestalten.
Your Name formuliert diese »Liebe« komplex choreografiert. Shinkai erzählt seine Geschichte nicht nur intelligent verschachtelt und zeitlich immer wieder erfrischend asynchron, sondern verwebt auch einen zweiten, für seinen Erfolg nicht unwesentlichen Faktor in diese Geschichte zweier Jugendlicher, die untergründig auch als die universelle Geschichte unserer »jugendlichen« Moderne gelesen werden muss. Diese zweite Ebene erzählt neben dem Verschwinden der Tradition von einer zweiten Auslöschung – der unserer klassischen Geschlechterverhältnisse. Denn Mitshuha und Taki wachen plötzlich im Körper des jeweils anderen auf, erleben den genderspezifischen Alltag des anderen als »Fremde«, machen Fehler, die sie gern vermieden hätten, versuchen jedoch gleichzeitig auch die Geschlechterdifferenzen neu zu positionieren, auch wenn sie damit im gesellschaftlichen Umfeld des jeweils Anderen, Befremden auslösen.
Your Name ist damit gar nicht so weit von dem momentan so aktuellen Bemühen entfernt, die hierarchischen Verhältnisse zwischen den Geschlechtern nicht nur zu thematisieren, sondern sie auch zu verändern, allerdings auf eine dann doch sehr andere, sehr romantische Art und Weise. Begriffe wie Gender-Switch und Gender-Bender beschreiben die hier dargestellten Prozesse zwar akkurat, doch eigentlich sehen wir hier einer Schulung in Empathie zu, die letztlich dazu führt, dass nicht nur Geschlechtsunterschiede und monosexuelle Engstirnigkeit in Ansätzen überwunden werden, sondern sogar eine neue Perspektive bezüglich historischer Tradition und Moderne manifestiert wird.
Trotz dieser gewaltigen Bandbreite assoziativer Möglichkeiten erstaunt der Erfolg, den Your Name nicht nur in Japan, sondern auch in den USA und nun in Deutschland hat. Muss es tatsächlich Shinkais Verquickung von Gender-Fokussierung mit den Problemen, die unsere gegenwärtigen, global zerfledderten Gesellschaften mit ihren Traditionen haben, sein, die einen Nerv getroffen hat. Denn gemessen an den thematisch ähnlichen, aber einseitiger besetzten Ghibli-Produktionen fällt Your Name qualitativ stark ab. Trotz der delikaten, emotionalen Animationen gibt es etwa kaum einen Moment, wo ich tatsächlich berührt wurde, in denen ich dieses sogartige Flimmern unerreichter, melancholischer Sehnsucht spürte, dieses Überwältigtsein von großartiger Kunst, dass für viele von Ghiblis Produktionen symptomatisch ist. Das dürfte vor allem daran liegen, dass vielen Dialogen in Your Name der letzte Schliff fehlt, es seltsame – ungewollte – Brüche gibt; es der Geschichte einfach immer wieder an erzählerischer Kohärenz mangelt.