Kanada 2007 · 87 min. Regie: François Delisle Drehbuch: François Delisle Kamera: Sylvaine Dufaux Darsteller: Anne-Marie Cadieux, Laurent Lucas, Marc Béland, Raphaël Dury, Jean-François Casabonne u.a. |
||
Gespaltenes Leben |
Im kanadischen Film You (Toi) von François Delisle von 2007 hat Michèle (Anne-Marie Cadieux) es geschafft: sie hat ein Haus, Erfolg in einer gut laufenden eigenen Firma, ein tolles Kind mit einem perfekten Mann. Doch eines Tages taucht ein anderer auf, für den Michèle alles hinwirft. So allumfassend, dass sogar ihr Geliebter Thomas (Marc Béland), der hatte in der Aufzählung des perfekten Lebens noch gefehlt, in den Strudel hineingezogen zu werden droht.
Kaum hat Michèle den Schritt geschafft sich von ihrem Mann zu trennen, beginnen auch schon die Zweifel, ob sie das Richtige getan hat. Die Sorge um ihren Sohn Manu (Raphaël Dury) zerreißt sie innerlich zwischen dem alten Zuhause und ihrer neuen Beziehung. Der Suizidversuch ihres verzweifelten Mannes ist für den Neubeginn ebenfalls nicht förderlich.
Gespiegelt wird ihr Gespaltensein auf sprachlicher Ebene: Während die Rastlose auf ihrem Motorrad durch ihr französisch sprechendes Umfeld braust, überdenkt sie ihre Handlungen gemeinsam mit ihrer Freundin per Handy auf englisch. So gut das Zusammenspiel auch für den Betrachter dank der sich ständig anpassenden Sprache der Untertitel funktioniert, so erfolglos scheitert die junge Mutter daran, ihre unterschiedlichen Lebenswelten zu einem neuen harmonischen Ganzem zusammen zu fügen.
Man könnte Michèle als moderne Anna Karenina sehen, machte man es sich damit aber zu leicht. Denn die »Ehebrecherin« bricht ja nicht nur aus ihrer Beziehung, sondern aus ihrem ganzen Leben aus. Im Gegensatz zu Tolstois russischem Gesellschaftsportrait, scheint der neue Mann nicht der eigentliche Grund zu sein, der wiederum zu neuen Sorgen führt, sondern nur ein Symptom für ein Infragestellen des bisherigen Lebens. Denn wenn die junge Frau sich wünscht »für immer« in dem Hotelzimmer bleiben zu können, in das sie sich nach der Trennung von ihrem Mann geflüchtet hat, wird klar, dass sie gar nicht wirklich in ein neues Leben will – genauso wenig wie sie zurück könnte.
Wird in You (Toi) eine neue Form der weiblichen Midlifecrisis vorgestellt? Ist das ein Sog, der nun auch die emanzipierte Frau erfassen darf, da ihr Leben nicht mehr zwanghaft vorherbestimmt ist von Küche, Kirche, Kind? Hat, wer die Wahl hat, immer auch das Gefühl, sich »falsch« entschieden zu haben, weil man sich anders entscheiden hätte können?
»You’ve lost your sense of proportion«, wird sie am Telefon von ihrem Alter Ego, ihrer Freundin Christine (Lynne Adams), zurecht gewiesen. Auffällig ist vor allem, dass Michèle auf ihrem Weg eine Spur gebrochener Männerherzen hinterlässt. Und so blickt sie nach einem langen Streit irgendwann ihren Neuen an und träumt davon, einfach zu der Affäre, die sie früher hatte, zurück zu können.
Der Film bricht an dieser Stelle ab und trotz der beiden häufig angewendeten Sprachen, erscheint er in Erinnerung sprachlos.