USA/GB 2009 · 104 min. · FSK: ab 0 Regie: Jean-Marc Vallée Drehbuch: Julian Fellowes Kamera: Hagen Bogdanski Darsteller: Emily Blunt, Rupert Friend, Paul Bettany, Miranda Richardson, Jim Broadbent u.a. |
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Spitzenkleidchen vor Baumspitzchen |
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne – das gilt womöglich sogar für die Mädchenjahre jener Königin, die dem prüden Viktorianischen Zeitalter ihren Namen gab und 63 Jahre lang Großbritannien regierte. Der kanadische Regisseur Jean-Marc Vallée versucht in Young Victoria, den Zauber dieses Anfangs zu fassen. Schon dies, das Drama einer gerade mal Achtzehnjährigen, die sich erst selbst finden muss und ein bisschen keck und bockig, aber doch im Innersten unsicher im Geflecht aus Intrigen, Machtkämpfen, Staatsräson und dem engen Korsett des höfischen Rituals ihren Weg sucht, entspricht so gar nicht unserem Bild einer starken Herrscherin, die über allen Parteien unangefochten den Höhepunkt britischer Macht und irgendwann das Empire selbst zu verkörpern schien.
Auch äußerlich widerspricht die Hauptdarstellerin Emily Blunt völlig jener älteren, matronenhaften Erscheinung in Witwenkleidung, der »Großmutter Europas« – auf den ersten Blick ist Blunts Ausstrahlung ganz ruhig, auf den zweiten zeigen sich noch ganz andere Facetten, so dass man ihr nicht nur die romantische Verliebtheit in ihren deutschen Cousin Prinz Albert von Sachsen-Coburg und Gotha abnimmt, sondern sogar eine Affäre mit ihrem so feschen wie klugen Premierminister Lord Melbourne für möglich hält – im Film, wie gesagt, denn im wirklichen Leben war der Mann gut vierzig Jahre älter.
Beides, Film und wirkliches Leben, sollte man hier aber keinesfalls verwechseln. Die historischen Fakten sind für Vallée das Material, das er zu einer geschönten Story aus Kolportage und Sentimentalität verknetet, die ohne Frage in jeder Hinsicht geschmackvoller ist als die deutschen Sissi-Filme, aber kaum weniger bieder und verlogen. Der Film schildert das Dasein im goldenen Käfig, die Loslösung von der dominanten Mutter, dann vom durchaus hilfreichen, aber nicht ganz selbstlosen Ratgeber Melbourne und vor allem die Liebesheirat mit Albert und die erste, nicht völlig konfliktfreie Ehezeit. Mädchenjahre einer Königin.
So vorhersehbar die Handlung, so schön anzusehen sind die originellen, intelligenten Bilder des Deutschen Hagen Bogdanski, die den Film über den Durchschnitt derartiger Königsromanzen hinausheben. Es hat aber schon seinen guten Grund, dass der Film bei den Oscars am Ende nur jenen für Kostüme gewann, den allerdings verdient. Für versteckte Bezüge zum heutigen England interessiert sich der Film allerdings leider gar nicht und präsentiert stattdessen den unvermittelten Widerspruch jeder Monarchie: Dass die Könige einerseits ungemein ungewöhnliche und völlig außerdurchnittliche Menschen seien, voller Selbstlosigkeit und Opferbereitschaft nur im Dienste von Volk und Nation stehen, andererseits, dass es sich hier doch um ganz gewöhnliche Menschen handle. Rosamunde Pilcher lässt grüßen.