Mexiko/USA 2001 · 105 min. · FSK: ab 16 Regie: Alfonso Cuarón Drehbuch: Alfonso Cuarón, Carlos Cuarón Kamera: Emmanuel Lubezki Darsteller: Maribel Verdú, Gael García Bernal, Diego Luna, Marta Aura u.a. |
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Trügerisches Urlaubsidyll |
Ein oft übersehener Teilaspekt der Diskussion über Sinn, Unsinn und den Schwierigkeiten der Synchronisation von Filmen ist die vernünftige Übersetzung bzw. Änderung des Originaltitels.
Mag dies manchen auch als lächerliche Kleinigkeit erscheinen, so ist der Titel eines Films doch auch sein Aushängeschild, das die Entscheidung für oder gegen einen Kinobesuch durchaus beeinflussen kann und das zudem eine gewisse Erwartungshaltung beim Zuschauer weckt. Wie wichtig
einem Regisseur der Titel sein kann, bewies z.B. Stanley Kubrick mit seiner Anweisung, dass sein letztes Werk auf der ganzen Welt unter dem Originaltitel Eyes Wide Shut anlaufen sollte (was prompt zu hitzigen Diskussionen in Frankreich führte, da man dort den Titel trotzdem ins Französische übertragen wollte).
Die möglichen Probleme einer Titeländerung kann man nun exemplarisch an dem mexikanischen Film Y tu mama tambien, der bei uns als Lust For Life ins Kino kommt, studieren.
Warum der Verleih eine einfache Übersetzung des Titels ins Deutsche (was »Und deine Mutter auch« bedeuten würde) nicht für sinnvoll hielt, kann man nur vermuten.
Warum man stattdessen dann aber auf den englischen Titel Lust For Life
verfiel, ist absolut unverständlich und zeigt zugleich, wie wenig Gedanken sich die Verantwortlichen hier über die passende Namensgebung gemacht haben.
Ganz offensichtlich zielt der englische Titel auf das gewünschte jugendliche Publikum, wobei dahingestellt sei, ob auch ein Bezug zu Iggy Pops gleichnamigen Song (und damit möglicherweise auch an die Anfangsszene aus Trainspotting)
hergestellt werden soll.
Fest steht, dass man bei einem mexikanischen Film mit dem Titel Lust For Life unweigerlich an eine fröhlich muntere Komödie, voller klischeehafter lateinamerikanischer Lebensfreunde denkt. Jeder, der mit dieser Erwartung in Y tu mama tambien geht, wird vermutlich enttäuscht werden. Jeder unbefangene Zuschauer kann dagegen einen zu gleichen Teilen beeindruckenden, intelligenten, tragischen, komischen
und kritischen Film entdecken.
Dabei entspricht der Film in den ersten Minuten durchaus seinem einfältigen neuen Titel.
Die beiden Jugendlichen Tenoch (Diego Luna) und Julio (Gael Garcia Bernal) gehören mehr oder weniger (Tenoch mehr, Julio weniger) zur mexikanischen Oberschicht und gehen in ihrer Heimatstadt Mexico City relativ sorglos den typischen Aktivitäten von 17jährigen Jungs nach; d.h. Partys feiern, rumhängen und -albern, Drogen nehmen und natürlich Sex. Da ihre Freundinnen im Ausland sind, geben sie
sich auch gerne ausgiebigen Masturbationsorgien hin, doch am wichtigsten ist ohnehin das endlose Reden über alle Aspekte des männlichen Geschlechtstriebs.
Das alles bewegt sich so 20 Minuten lang auf bekanntem Eis am Stiel-Niveau und man würde wohl bald gelangweilt das Kino verlassen, wenn da nicht immer wieder die abrupten Aussetzer der Tonspur wären und eine ruhige Stimme aus dem Off, mit beinahe dokumentarischer Sachlichkeit, präzise
Erläuterungen über die Lebensumstände der Personen abgeben würde.
Wie bei einem guten Dokumentarfilm enthalten diese Informationen keine moralische Wertung, sondern vermitteln den Zuschauer einfach die Fakten, die er braucht, um sich selber ein Bild von den einzelnen Figuren und Beziehungen machen zu können.
So erkennt man schnell, dass Tenochs und Julios Leben keineswegs so unbeschwert und eindimensional ist, wie ihre pubertären Aktivitäten glauben machen wollen und dass man es bei diesem Film auch nicht mit einem Latino-American Pie zu tun hat.
Als sich die beiden mit Tenochs angeheirateter Cousine, der attraktiven Spanierin Luisa (Maribel Verdu), zu einer spontanen Spritztour ans Meer aufmachen, ahnt man schon, dass ihre jugendliche Coolness, ihr prahlerischer Machismo und ihre unzertrennliche Freundschaft oft nur Fassade sind. Nichts von diesem Gehabe wird schlußendlich die Reise heil überstehen.
Der Regisseur Alfonso Cuaron macht aus ihrer Fahrt ins ungewisse Hinterland Mexikos nun keine Reise ins Herz der Finsternis, dieses von Krisen geschüttelten Landes. Anstatt die herrschende Armut, das starre Klassensystem, die Korruption oder die allgegenwärtige Gewalt in der Vordergrund zu stellen und mit erhobenem Zeigefinger zu kritisieren, zeigt er die Probleme nur am Rande und ganz beiläufig und verunsichert damit den Zuschauer nachhaltig.
Wenn die drei Reisenden etwa
ihre lächerliche Diskussion über sexuelle Praktiken nicht eine Sekunde unterbrechen, obwohl am Straßenrand schwer bewaffnete Soldaten wie im Kriegsgebiet Passanten kontrollieren, dann verwirrt einen diese Diskrepanz und zwangsläufig macht man sich so seine Gedanken, um diesen Widerspruch auflösen zu können.
Trotzdem behält der Film seine positive Grundstimmung bei und immer wieder kann man amüsiert über die (zum Teil ungewohnt expliziten) Erlebnisse der drei lachen.
Beinahe unbemerkt schleicht sich aber eine leichte Melancholie in den Film und mit jedem weiteren Mal, mit dem die tonlose, allwissende Stimme aus dem Off scheinbar zusammenhanglos von Zufällen, Rückblicken und Vorausschauen erzählt, mit jeder weiteren Geschichte von verunglückten Hühnertransporten und glücklichen Fischern, die zu traurigem Putzpersonal werden, erkennt man auch die Probleme der drei Hauptfiguren, die beispielhaft für die Probleme der ganzen mexikanischen Gesellschaft sind. So endet der Film dann auch nachdenklich (aber nicht tragisch) und ironisch (aber nicht zynisch) und der aufgesetzte Titel Lust For Life wird vollends zur Farce.
Während des gesamten Films bewegt sich der Regisseur Cuaron dabei auf einem schmalen Grat. In jedem Moment könnte der Film kippen und zur zotigen Klamotte oder zur belehrenden Gesellschaftskritik oder zur drögen Beziehungskiste werden. Dass es nicht so weit kommt, liegt an den drei hervorragenden Hauptdarstellern, die erstaunlich unbefangen aber zugleich äußerst präzise spielen, liegt an dem sehr durchdachten und hintersinnigen Drehbuch, liegt an einer erstaunlich einfallsreichen und teilweise malerisch schönen visuellen Umsetzung und liegt allem voran an der gekonnten Inszenierung von Alfonso Cuaron, der den konventionellen Erzählstil, mit dem er Große Erwartungen (mit Gwyneth Paltrow und Ethan Hawke) gediegen aber auch langweilig in Szene gesetzt hat, vergessen läßt.
Nach Amores perros (in dem G. G. Bernal bereits eindrucksvoll sein Talent bewiesen hat) kommt mit Y tu mama tambien nun schon das zweite sehenswerte Beispiel für das kreative Potential des Filmlandes Mexiko in unsere Kinos. Die Filmmaschinerie, die wenige Autostunden nördlich von Mexiko ihre gefällige Massenware produziert, sollte schnell ihre gewohnten Stereotypen vergessen und erkennen, dass der Nachbar im Süden weit mehr ist, als ein im Tequila schwimmendes Ausflugsziel oder die Endstation für fliehenden Gangster.