Frankreich/Japan 2009 · 93 min. · FSK: ab 0 Regie: Hippolyte Girardot, Nobuhiro Suwa Drehbuch: Hippolyte Girardot, Nobuhiro Suwa Kamera: Josée Deshaies Darsteller: Noë Sampy, Arielle Moutel, Tsuyu Shimizu, Hippolyte Girardot, Marilyne Canto u.a. |
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Zwei Mädchen im magischen Weld |
Die allererste Szene zeigt Yuki mit ihrer Familie bei einem Picknick in einem Pariser Park. Ein alter Mann, vermutlich der Großvater, malt ein Bild. Ein Fuchs und eine Nachtigall sind darauf, und der Alte erklärt Yuki geduldig, warum er den Baum in Gelb gemalt hat – »weil er das Licht der Sonne reflektiert« – und warum der Fuchs nicht unbedingt böse ist, wenn er die Nachtigall fressen will. Eine Lektion übers Kino und übers Leben ist das also, die auch uns Zuschauern gilt. Man muss genau hinschauen, und es ist nie nur eine Seite, die recht hat.
Yuki, die mehr und mehr ins Zentrum rückt, wird das lernen im Laufe des Films. Sie ist die Hauptperson von Yuki & Nina. Eine bezaubernde Gemeinschaftsarbeit der Regisseure Nubohiro Suwa und Hippolyte Girardot (den wir als Schauspieler kennen), die ihre Premiere in der Quinzaine von Cannes hatte, eine intensive Erfahrung mit außerordentlicher Wirkung.
Nina ist Yukis beste Freundin. Beide sind acht Jahre alt, leben in Paris und zunächst sieht man sie, wie sie zusammen von der Schule zu Nina nach Haus kommen, reden. Vor allem Nina redet, viel und bestimmt. Yuki ist meist still. Eine Beobachterin mehr als eine Träumerin. Irgendein Geheimnis scheint sie zu umwehen, und vielleicht ist es ihre Herkunft aus zwei Kulturen, die ihr ein Gefühl des Andersseins, eine Distanz und zunächst kaum spürbare Zögerlichkeit gibt. Vielleicht ist sie auch nur einfach die Stillere der beiden. »Je suis comme ca«, »ich bin eben so« wird sie später mal sagen, als Nina sie später einmal fragt, warum sie immer so ängstlich ist.
Sehr bald erfährt sie, dass sich ihre Eltern trennen werden. Sie haben sich schon länger nicht mehr verstanden, Die Mutter will zurück nach Japan, Yuki soll mit. »Ich will nicht nach Japan«, sagt sie, und wir hören mit ihr ihren Eltern zu, die sich streiten: »Sie ist französisch«, sagt der Vater. »Sie ist nicht nur französisch«, die Mutter.
So entspinnt sich die Geschichte einer allmählichen Emanzipation der Kinder, die keineswegs ein »Abschied von den Eltern« ist, sondern eine Verteidigung der Kindheit. Was an Yuki & Nina wohl unter anderem so gut funktioniert, ist, dass man selbst mit den Erfahrungen der Mädchen zurückgerissen wird in die eigene Kindheit, in die Ohnmacht und die Fluchtbewegungen, die Ausbrüche, die universale Distanzierung von den Zumutungen der Eltern, die wohl ein Erwachsenwerden ist, aber auch einfach Hilflosigkeit.
Man sieht zunächst zwei Mädchen aus bürgerlichen Verhältnissen in ihrem Alltag zu – natürlich ist das insofern ein »typisch französischer« Film, als dass er einmal mehr in der Pariser Bourgoisie angesiedelt ist, ihren uns so wohlbekannten Verhaltensweisen entspricht, oft opulente Mahlzeiten zeigt und Kunstwerke, schöne Möbel und schöne Ausblicke. Man sieht, wie sie der Liebesfee einen Brief schreiben, mit den Eltern diskutieren. Vor allem mit Ninas Mutter, die bereits geschieden ist, und ihnen erklärt, dass das »Leben nicht immer so ist, wie wir es wollen.«, dass es ein »Ende der Liebe« gibt, und dann fragt: »Liebt ihr Euch denn immer?« Dann diskutieren sie untereinander: »Du hast keine Ideen. Was tust Du?«, regt Nina sich auf, und Yuki sagt mal wieder nichts. Das ist auch immer wieder lustig, gerade weil der Film sich nie anbiedert, die Erfahrungen und Erlebnisweise der Kinder ernst nimmt; und auch, weil immer klar ist: Nichts ist perfekt in diesen Leben, weder bei den Erwachsenen, noch bei den Kindern.
Dann als klar ist, dass Yuki wohl nach Japan muss, sieht man lauter letzte Tage. »J'irais pas au Japon.« (»Ich werde nicht nach Japan gehen«), sagt Yuki. Und dann, gerade als der Film scheinbar kurz auf der Stelle tritt, nimmt der Film eine wunderbare Wendung: Die Mädchen hauen einfach zusammen ab. Zuerst sieht man sie sich in der Stadt bewegen, dann geht es ins Landhaus von Ninas Vater, sie zelten im Wohnzimmer, reden sie über Feen und Goblins, doch als sie auch da nicht bleiben können, gehen sie in den Wald. Der ist gar nicht französisch, nicht zivilisiert, sondern sehr wild und japanisch: Ein Ort der Geborgenheit, ein Zurück zur Natur. Elfen und Geister gibt es hier wohl auch, aber sie sind nicht gefährlich. Die Kamera betont das Geheimnis. Sie zeigt das Licht der Sonne auf dem Farn und plötzlich sieht alles ganz gelb aus, dann wieder dunkel. Zwischendurch sind wir mit Yuki auch plötzlich schon mal in Japan, da verlässt der Film die realistische Ebene, wird spirituell, und das Können der Regisseure zeigt sich darin, dass wir das schon klar sehen können, bevor wir es erfahren.
Sehr gut erzählt ist alles, in stillen, intensiven Bildern, die immer mehr zeigen, als sie abbilden. Und man denkt bei diesem Weg in den Wald, bei der Transformation Yukis auch an den Film The Mourning Forest von Naomi Kawase. Wie dort gehen Traum und Wirklichkeit zwischendurch ineinander über.
Eine Geschichte, ein Märchen fast also über Fremdheit und Grenzüberschreitung. Tatsächlich geht es auch in dem Film um französisch-japanische oder europäisch-ostasiatische Nähe und Ferne, aber so wenig didaktisch, so fern von aller Identitätshuberei, wie nur denkbar ist. Ein Film, dem das Kunststück gelingt, ganz aus Kindersicht zu erzählen und diese Perspektive vom ersten bis zum letzten Bild durchzuhalten. Aus Kindersicht, das heißt auch, dass es hier tatsächlich immer wirkliche Kinder sind, um die es geht, nie kleine Erwachsene. Wenn der Film eine Moral hat, dann, die Kinder und ihre Erfahrungen erst zu nehmen, nicht zu verkindlichen, und die, dass Kinder sich trennen müssen von Eltern, auch um derentwillen. »Bist Du glücklich hier zu sein?« fragt die Mutter, »Ja«, sagt Yuki, und wir glauben, dass sie nicht nur lügt in diesem Moment. Und der Refrain des Liedes, das dann aus dem Off kommt, heißt: »My parents depend on me.«