Deutschland/I 2016 · 104 min. · FSK: ab 16 Regie: M.X. Oberg Drehbuch: M.X. Oberg Kamera: Ralf M. Mendle Darsteller: Ruby O. Fee, Paul Boche, Petra van de Voort, Philippe Brenninkmeyer, Olivia Burkhart u.a. |
||
Humpty Dumpty, Lolita |
Im Jahre 2005 erweckte der deutsche Regisseur Matthias X. Oberg mit dem Mystery-Thriller Stratosphere Girl einiges Aufsehen unter Cinephilen. Der in Tokio angesiedelte Film um eine deutsche Manga-Zeichnerin verzauberte seine Zuschauer mit genau der schwerelosen Verträumtheit, die sein Titel suggeriert. Auch Obergs neuer Film Zazy dreht sich um eine junge und sexy deutsche Protagonistin, die es (zumindest zu Anfang) an einen exotischen Sehnsuchtsort verschlägt. Doch in diesem Fall handelt es sich dabei nicht um das von Neonlichtern hell erleuchtete und vor Leben pulsierende nächtliche Tokio, sondern um ein sonnendurchflutetes aber verschlafenes italienisches Städtchen am Gardasee. Auch träumt die verführerische Protagonistin nicht von fernen Mangawelten, sondern ausgerechnet von einer Karriere beim deutschen Fernsehen.
Während Stratosphere Girl Assoziationen an David Lynchs düsteres surreales Neo-Noir-Meisterwerk Blue Velvet weckte, erinnert Zazy bestenfalls an die späteren – und weniger aufregenden – Filme von Claude Chabrol. Die böse Bourgeoisie tritt hier auf in Gestalt von Marianna (Petra Hultgren). Diese ist die Frau des erfolgreichen deutschen TV-Moderators Maximilian Berg (Philippe Brenninkmeyer). Als Marianna von ihrem viel beschäftigten Gatten alleine mit den Kindern zum Urlaub an den Gardasee geschickt wird, bändelt diese dort mit einem charmanten Italiener an. Zufälligerweise handelt es sich bei dem südländischen Charmeur ausgerechnet um den Schneidermeister, bei dem Zazy (Ruby O. Fee) gerade eine Lehre macht. Und wie das Leben eben so spielt, verunglückt dieser Schneider auch noch ausgerechnet bei einem Spaziergang zusammen mit Marianna tödlich – was außerdem zu allem Überfluss von Zazy beobachtet wird.
Zazy wirkt wie ein Versprechen, das niemals wirklich eingelöst wird. Am Anfang sorgt die für einen deutschen Film eher ungewohnte mediterrane Umgebung im Zusammenspiel mit der souveränen Kameraarbeit von Ralf M. Mendele (Snowman’s Land) dafür, dass Zazy deutlich mehr Atmosphäre verströmt, als man es vom heimatlichen Kino ansonsten gewöhnt ist. Doch was südländisch verträumt am Gardasee beginnt, endet denkbar profan bei einem Kölner Fernsehsender. Wie Dieter Bohlen ist auch der Moderator Maximilian Berg ein Pferdenarr mit blondem Haar und einem süffisanten Grinsen. Im Gegensatz zu dem schlagfertigen Bohlen ist Berg jedoch ein heimlicher Spießer und ein Weichei, der sich weder der blutjunge Zazy noch deren halbstarken Freund Tomek erwehren kann.
Doch im Vergleich zu seiner ausgesucht blassen Gattin Marianna, ist Maximilian ein absoluter Charismatiker. Und in seinen besseren Momenten kann Max selbst Zazy den ein oder anderen banalen, aber wertvollen Karrieretyp geben. Dies wirkt so unausgegoren, wie so vieles in diesem Film. Die interessanteste Figur ist Tomek, der zu Beginn noch liebenswürdig versponnen wirkt, sich dann aber immer stärker zu einem im Zweifelsfall selbst über das Leben armer unschuldiger Hündchen gehenden Psychopathen entwickelt. Auch Zazy gewinnt gegen Ende zunehmend an Profil, wenn sie sich von einer halbherzigen Verführerin zu einer über Leichen gehenden Karrieristin mausert. Trotzdem fehlen Zazy – und damit auch dem Film – die innere Weite und die Schwerelosigkeit von Angela aus Stratosphere Girl. Denn im Herzen bleibt Zazy bis zum Schluss ein spießiges kleines Mädchen, das nur beim Fernsehen arbeiten, mit ihrem Hündchen kuscheln und die Briefe von kindlichen Fans lesen will. Zazy ist eine Knäckebrot-Lolita.