USA 2012 · 157 min. · FSK: ab 16 Regie: Kathryn Bigelow Drehbuch: Mark Boal Kamera: Greig Fraser Darsteller: Jason Clarke, Reda Kateb, Jessica Chastain, Kyle Chandler, Jennifer Ehle u.a. |
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Großartige Kunst und reaktionäres Manifest |
Anatomie eines Mordes: Eine schwarze Aura geht von diesem Film aus, ein düsterer Schein. Und dieses dunkle, düstere Hollywood ist seit jeher das beste gewesen: Das des Film-Noir, und seiner Nachfolger, des Brian de Palma, David Fincher, und eben Kathryn Bigelow. In Zero Dark Thirty erzählt sie von der Jagd nach »OBL«, wie sie Osama Bin Laden beim US-Militär nur noch nannten. Wie diese Jagd mündet der Film in jene Nacht vom 1. zum, 2. Mai 2011, als um 0.30 – Zero Dark Thirty im Militärjargon – High Noon begann: Der Sturm auf Osama bin Ladens Unterschlupf im pakistanischen Abottabad. Wie Tarantinos Django Unchained ist dies ein Rachefilm. Aber dies ist auch, vor allem in der letzten Stunde, ein Thriller. Diese letzte Stunde des Films ist grandios, Bewegung pur, kinetisches, dichtes, dynamisches Hochspannungs-Kino. Denn auch wenn man weiß, was passiert, wenn man sich den Wahnsinnsaugenblick vorgestellt hat, in dem einer der beiden Helikopter plötzlich kurz vor der Landung abstürzt und zerstört ist, und wenn man gelesen hat, wie Osama Bin Laden dann zur Strecke gebracht wurde, möchte man doch einmal dabei gewesen sein...
Eine Handvoll Hubschrauber gleitet über ein Gebirge. Es ist Nacht, die Maschinen fliegen fast lautlos, nur aus dem Off klingt Musik: Hämmernd und irgendwie unheimlich, bedrohlich, böse. Die Maschinen fliegen beängstigend knapp über dem Boden, huschen katzengleich zwischen den Felsen hindurch. Man weiß schon: Das tun sie, um fürs Radar unsichtbar zu sein. Denn die Soldaten, die in diesen Hubschraubern sitzen und sich zur Attacke bereit machen wie eine Kavallerie des 21. Jahrhunderts, sind umgeben von Feinden und sie befinden sich auf einer streng geheimen Mission. Ein paar Minuten später werden sie das Versteck von Osama Bin Laden stürmen und jenen meistgesuchten Menschen der Welt erschießen.
In diesen Minuten ist Zero Dark Thirty schon über zwei Stunden alt, doch in gewisser Weise geht der Film jetzt noch einmal ganz von vorne los. Was man zuvor gesehen hat, war harte Arbeit, auch für den Zuschauer: Ermittler des US-Geheimdienstes und des Militärs an immer neuen Schreibtischen, in immer neuen Folterkellern, Geheimgefängnissen, fremden Ländern, bei Verhören immer neuer Gefangener, bei Treffen mit Informanten, im Gespräch miteinander und gelegentlich mit ihren Vorgesetzten, denen sie beschämt Rapport erstatten, und die sie laut und unfreundlich, mit markigen Worten zusammenfalten: Wieder nichts; eine weitere falsche Fährte; immer noch keine Spur von dem Gesuchten.
»I wanna make something absolutely clear: If you thought, there was some working-group coming to rescue – I want you to know, that you are wrong. This is it. There is nobody else coming hiding away on some other floor. There is no cavalry. It is just us. We are failing. We are spending millions of dollars. We're still no closer in defeating our enemy.« (O-Ton, Zero Dark Thirty)
Kleine Indizien werden verbunden, zusammengehalten durch einen Leim aus Vermutung und Instinkt, Puzzlesteine, von denen immer wieder einer nicht passt, oder einfach fehlt. Nicht nur Politik, auch Ermittlungsarbeit ist jenes »langsame Bohren dicker Bretter«, als die es Max Weber einmal beschrieben hat. Sie ist zäh und mühsam, und dabei zuzuschauen, ist manchmal auch recht ermüdend, zumal die Dinge sich zunehmend gleichen, und wenig voran geht.
Kathryn Bigelow weiß um diese Mühe, sie kostet sie geradezu aus, denn sie will uns, den Zuschauern, eine Ahnung geben, uns spüren lassen, wie hoch der Preis ist, den der »Krieg gegen den Terror« kostet, dass dieser mehr ist, als ein kurzer sauberer Hieb, die kurze Triumphgeste am Ende, will deutlich machen, was ihm vorausgeht. Der »Krieg gegen den Terror«, jedenfalls der, den Bigelow uns zeigt, ist heroisch, aber sein Heroismus liegt im Aushalten, Ertragen und Überstehen.
Dies ist eine Männerwelt. Es da gibt eine bemerkenswerte und wichtige Zeichenebene in diesem Film: Die amerikanischen Männer, die man auf der Leinwand sieht, sind fast ausnahmslos Weiße. Außer Obama im Fernsehen gibt es einen einzigen (Alibi-)Schwarzen, der ein paar mal Dokumente reichen und sonstwie hilfreich wirken darf, sonst niemanden, der nicht »caucasian« ist. Kein Asiate, kein Latino. Und diese Weißen sind noch einmal in sich differenziert. Die »guten« Weißen tragen Bärte und Kampfanzug. Sie sind Tatmenschen. Die, die stören, behindern, denen der Film indirekt die Schuld daran gibt, dass es so lange gedauert hat, Bin Laden zu finden, sind glattrasierte Anzugträger. Karrieristen. Bigelow war schon immer eine Regisseurin, die diese Welten harter Männer, der Muskeln, Waffen und Maschinen geliebt und dargestellt hat, die Welten von perfekten Handwerkern: In dem Surferfilm Point Break, in dem Polizeidrama Blue Steel, in dem Kriegsfilm The Hurt Locker, für den sie vor drei Jahren als erste Frau überhaupt den Regie-Oscar gewann.
Die wenigen Frauen, die es in dieser Männer-Fahnder-Welt aushalten, sind burschikos und tragen Hosen, sie haben ihr Haar nach hinten gebunden, was sicher praktisch ist, aber auch einen strengen Eindruck macht. Die, die am zerbrechlichsten wirkt, ist die Zäheste: Maya, so der kaum grundlos rätselhafte Name dieser »Targeterin«, über die einer ihrer Vorgesetzten sagt: »Sie ist ein Killer.« Gespielt wird sie von Jessica Chastain, dem neuen »golden girl« Hollywoods. Chastain darf zur Zeit spielen, was sie will, und man kann sicher sein, dass sie in ein paar Wochen für diese Rolle einen Oscar gewinnt, auch wenn Chastain in ihr vielleicht ein bisschen sehr auf Julia Roberts macht. Und es ist offenkundig, dass sich Bigelow mit ihr identifiziert: Mit einer Frau in der Männerwelt, von Frau zu Frau.
Maya ist ausschließlich durch ihre Arbeit definiert. Sie hat keine privaten Seiten, hat eher asoziale und autistische Züge, einen leicht geistesabwesenden Zug, und eine grundsätzliche Besessenheit. Eine rechthaberische, letztendlich unsympathische Figur. Eine sonderbare Heldin. Sie funktioniert. Aus Überzeugung. Sieht nicht nach links und rechts, hat kein Privatleben. Eine Frau ohne Eigenschaften. Kein Mitgefühl, Empathie. überhaupt Gefühl. Der Preis dafür ist Einsamkeit. Sie weint zum Schluß nicht aus Erleichterung, nicht aus Erschöpfung, sondern weil sie nun vor dem Nichts steht. Im Bauch des Wahls, wie Philip Stadlmeier in einem der besten deutschen Texte zu dem Film schrieb. Und eine, die vor Machosprüchen geradezu birst: »I’m the motherfucker who found that place.« Und: »It’s a 100 percent. I know, certainty freaks you guys out, but its a 100.« Sind das die neuen starken Frauen, die mit allen Männern, auch mit den Brüderles dieser Welt, kurzen Prozess machen?
Es gibt Opfer. Klarerweise. Denn immer wieder werden die amerikanischen Bin-Laden-Jäger selbst zu Gejagten. Zwischen dem Grau in Grau auf der Stelle tretender Ermittlungstätigkeit gibt es ein paar Anschläge auf die Amerikaner. Während fast alle diese Momente mit einer gefühlt fünfminütigen Vorankündigung geschehen – immer wenn Amerikaner nette Worte mit Einheimischen wechseln, oder gerade zu gute Laune haben, darf man drauf wetten, dass es gleich irgendwo scheppert –, gibt es einen einzigen dieser Anschläge, der wirklich gut gemacht ist: der Mariott Anschlag von 2008. Einfach ein lautes Boff!! gegen das der Zuschauer genauso hilflos ist, wie die Protagonisten.
Auch das zeigt Bigelow, denn die Regisseurin will sich in ihrem Film möglichst eng an die bekannten Fakten halten. Ganz zu Beginn zeigte sie auch bereits diejenigen Opfer, die das alles überhaupt auslösten und zur Rechtfertigung dienten: Der Film imitiert etwas, das der Mexikaner Alejandro González Iñárritu bereits vor über 10 Jahren gemacht hatte, in dem Kompilationsfilm 11'09''01 und setzt mit schwarzer Leinwand ein, während der man Panik hört, Schluchzen und endgültige Abschiede. Dies sind echte telefonische Notrufe von Menschen im brennenden World Trade Center. Wir können vermuten, dass sie alle tot sind, und alles was ihren letzten Anrufen folgt, muss sich an ihnen Messen: Die Opfer und die Strafe.
Wie der großartige und ebenfalls überaus detaillierte Gerichtsthriller Anatomy of a Murder von Otto Preminger, auch so einem Regisseur mit kaltem Herz, ist dies hier eine Anatomie, eine Körperschau, die mit der sorgfältigen Untersuchung und Freilegung der Strukturen, der Organe, der Zellen und Fasern, einfach aller Bestandteile des Körpers einhergeht. »Anatomie einer Spur«, so war ein Memo betitelt, das das reale Vorbild für Maya irgendwann einmal geschrieben hat. Es führte auf die richtige Fährte.
Zero Dark Thirty, dessen rätselhafter Titel in der Militärsprache »30 Minuten nach Mitternacht« bedeutet, ist ein hervorragender Thriller: die Anatomie einer Jagd und der Aktion, in der das gejagte Wild schließlich zur Strecke gebracht wird. Bigelow schlägt sich auf keine Seite. Wer hat moralisch recht? Egal. Beziehungsweise eine Frage der Perspektive. Dies ist kein selbstgerechter Film. Wer verdient unsere Anteilnahme? Alle. Oder keiner. Aber eher alle. Die persönliche Perspektive ist bei Bigelow allerdings glasklar: Sie steht an der Seite des amerikanischen Staates, seines Systems, seiner Regierung. Und der Bürger, die diese gewählt haben. Ob republikanisch oder demokratisch ist demgegenüber zweitrangig. Osama Bin Laden hat, aus dieser Perspektive, Amerika am 11.September 2001 den Krieg erklärt. Also gilt für ihn das Kriegsrecht, und auch Bigelow macht keine Gefangenen. Sie steht an der Seite der Opfer und ihrer Rächer.
Hier gilt also nicht, wie sonst, dass Hollywood zu den underdogs hält. Bigelow steht daher aber auch an der Seite all derjenigen, die für die Regierung die Drecksarbeit machen. Die ist offenkundig nicht schön, muss aber getan werden. Folter, Drohnen, Killerkommandos. Kollateralschäden inbegriffen. Krieg ist Krieg. Und man steht eben im Schützengraben.
Das schließt auch »enhanced interrogation techniques« ein, wie der Euphemismus lautet, den das offizielle Amerika für Folter verwendet. Also: Waterbording, Schlafentzug, stundenlanges Stehen, überlaute Musik, nackt ausziehen, in zu enge Kisten sperren. Zur Folter hat Bigelow offenbar eine eindeutige Ansicht, mit der sie auch nicht hinterm Berg hält.
Irgendwann sieht man dann Obama im Fernsehen, als »President-elect« Ende 2008 bei CBS: »I have said repeatedly that I intend to close Guantanamo, and I will follow through on that. I have said repeatedly that America doesn’t torture, and I’m going to make sure that we don’t torture. Those are part and parcel of an effort to regain America’s moral stature in the world.«
Man sieht drei Agenten, die der Sendung zuhören. Wir wissen, dass sie alle drei foltern und gefoltert haben. Die kanmera fährt auf eine von ihnen zu, zeigt ihr Gesicht. Es ist ausdruckslos. Wir können in es hineinlesen, was wir wollen: Ablehnung, Erschöpfung, Erleichterung, Irritation, Angst. Nur Zustimmung, die kann man beim besten Willen nicht hineinlesen.
Ob wir in Europa, besonders in Deutschland überhaupt noch – individual- wie kollektivpsychologisch – in der Lage wären, einen Krieg zu führen – das ist so eine der Fragen, die einem da einfallen, eine der Fragen, die die Rechte und eine überschaubare Minderheit der Linken gern stellt. Diese Frage mag einem auf die Nerven gehen, und der Kontext in dem sie gestellt wird, ist oft auch einfach dumm. Sie ist im Grundsätzlichen aber nicht so leicht von der Hand zu
weisen. Man kann sie nämlich auch anders stellen: Unter welchen Umständen wären wir bereit und praktisch fähig, jemanden zu töten? Und, noch schwerer: Unter welchen Umständen wären wir bereit und praktisch fähig, uns töten zu lassen, unser Leben zu opfern für einen höheren Wert? Oder jedenfalls unseren Körper, unsere Gesundheit? Sterben für Freiheit und Menschenrechte? Sterben für eine bessere Welt? Sterben für Deutschland? Sterben für Merkel?
Man kann hier leicht sagen: »Wohl dem Land,
das keine Helden nötig hat.« Mag alles sein. Vielleicht drückt man sich damit aber auch nur um das Problem herum, um die Entscheidung darüber, was einem Ideen und Ideale wert sind, und ob es für eine Gesellschaft gut ist, wenn sie die Voraussetzungen von denen sie lebt und die Grundlagen, auf denen sie basiert, nicht mehr selbst verteidigen will oder kann. Was tut der republikanische, auf den Ideen von 1789 beruhende Staat, um die Freiheit, die er seinen Bürgern garantiert, im
Ernstfall zu verteidigen? Vielleicht muss man zugeben, dass diese Frage, die Bigelow in ihrem Film implizit aufwirft, nicht völlig von der Hand zu weisen ist.
Auch wenn solche Fragen ihre unbedingte Berechtigung haben, ist dieser Film auf seine Weise andererseits ein reaktionäres Manifest. Nicht konservativ oder erzkonservativ, sondern reaktionär. Bigelow denunziert die Verfahren, die Bürokratie, den demokratischen Prozess. Sie denunziert die Bedenkenträger, Zögerer und Entscheider. Sie verteidigt die Tatmenschen an der Front. Sie verteidigt die, die sich die Hände schmutzig machen. Die Folterer. Die Killer.
Kathryn
Bigelow ist damit für das amerikanische Kino das, was Ernst Jünger für die deutsche Literatur gewesen ist: Ein sensibler Mensch, der sich künstlich verhärtet, der aus der Coolness des Hinguckens einen kalten Blick, eine Geste und einen Stil macht. Für die ganz Begriffsstutzigen, die jetzt mit dem Faschismus-Verdachts-Verdacht kommen: Nein, der Jünger-Vergleich ist kein Faschismus-Verdacht. Es geht einfach nur darum, eine Ästhetik zu benennen.
Wegen dieser grundsätzlich ambivalenten Haltung, seiner politisch klaren Position, die man zumindest als Akzeptanz der US-Folterpraktiken unter der Bush-Regierung verstehen muss, hat Zero Dark Thirty in den US neben ästhetischem Lob auch viel politische Kritik einstecken müssen. Vor allem auch deshalb, weil Bigelow zwar einen »journalistischen Ansatz« behauptet und die Zeile »Based on firsthand accounts of actual events.« vor den Film setzt, sich aber doch erhebliche Freiheiten nimmt, gerade an falscher Stelle: Die Regisseurin und ihr Drehbuchautor Mark Boal haben viele Ermittler und Politiker befragt, und greifen in weiten Teilen auf die zwei gefeierten Bücher von Peter Bergen und Mark Bowden zurück. Hauptfigur Maya geht direkt auf eine Ermittlerin mit Codenamen Jen zurück, deren wahre Identität geheim ist, andere Filmfiguren setzen sich aus mehreren realen Vorbildern zusammen. Doch die Folter zeigt Bigelow positiver, als die zwei Journalisten. Sie zeigt einen Erfolg der Folter, obwohl US-Regierungsstellen betonen, Folter habe gar nicht zur Aufspürung Bin Ladens beigetragen. Sie verändert also die Wahrheit.
Es gibt, wie in allen guten Filme, eine ganze Reihe von Erzählebenen. Eine davon ist die zynische: Man nehme diese Sprüche im Folterkeller, etwa den, der auch im Trailer vorkommt: »May I be honest with you, I have bad news: Im not your friend. I am not gonna help you, I am gonna break you. Any questions?« Oder den, den wir von Maya hören, als sie erstmals mit einem, der verhört wird, allein im Raum ist: »Your dschihad is over.« Und vorher, über Pakistan: »It’s kind of a fucked up place.« In diesen Filmmomenten begreift man schon, was manche dort, gegen die Amerikaner haben.
Einmal steht einer der Folterknechte draußen in der Sonne. Die Hände sind gerade sauber, und er isst ein Eis. Vor ihm steht ein Käfig, in dem ausnahmsweise keine gefangenen Gotteskrieger hocken, sondern ein paar Affen. Er gibt ihnen etwas von dem Eis, und einer der Affen schnappt ihm das ganze Eis weg. Eine Szene, die rätselhaft ist, aber im Gedächtnis bleibt. unabhängig davon, dass wir später erfahren, dass die Affen weg sind, ihm »weggenommen« wurden, wie er sagt. Wir lernen damit also, dass der Mann sensibel ist, kein Unmensch. Wir können die Szene aber auch umgekehrt verstehen: Dieser üble Folterknecht interessiert sich mehr für die blöden Affen, als für die Menschen. Das ist Bigelows Methode: Ambivalenz, Janusköpfigkeit.
Rein filmisch gibt es gerade zu Beginn ein paar Male dieses typische Hollywood-Schauspieler Hokey-Pokey: Aufgeblasene, betonte Dialoge in schneller Abfolge, pingpong, so locker, wie nur Schauspieler »Lockerheit« spielen können. Der Verlauf ist insgesamt ganz schön zäh und langweilig, langwierig. Man sieht alles mit den Augen der Ermittler. Mag ja sein, dass es so gewesen ist, aber muss man es so gezeigt bekommen, wo doch das Ergebnis allemal feststeht?
Zugute halten muss man Bigelows künstlerisch großartigem Film freilich zweierlei, das auch eine politische Haltung signalisiert: Dass sie einfach hinschaut, nüchtern zeigt, wie es ihrer Ansicht nach gewesen ist. Der Zuschauer muss sich selbst sein Urteil bilden. Und dass sie, ganz anders als von Hollywood gewohnt, einfach nie moralisiert. Im Gegenteil: Wenn sie den CIA-Boss Leon Panetta ausgerechnet von Joe Gandolfini spielen lässt, dem »Soprano«-Ober-Mafiosi-Darsteller ist das von hinterhältiger Klugheit: Bigelow zeigt uns: Auch die CIA ist eine Art Mafia. Osama Bin Laden war einfach nur in einer anderen Gang.
(Kleine Anekdote am Rand: Hierüber hatte ich ein Gespräch mit einem Freund, dessen Name hier nichts zur Sache tut. Der sagte: »Ich bin auch in Bigelows Gang«. Und die Sebstverständlichkeit, mit der er das sagte, überraschte und faszinierte mich, machte aber auch stutzig: Bin ich denn auch in Bigelows Gang? Der ganze Westen? Wirklich? Mitgefangen, mitgehangen? Hat Osama Bin Laden mich angegriffen. Kämpfen die Amerikaner für mich? So wie sie für mich Deutschland von den Faschisten befreiten? Ich bin nicht ganz sicher, und dachte dann, dass es doch, und das muss ja keine ausschließlich gute Nachricht sein, so etwas wie eine europäische Gang gibt. In der sind wir, nicht in der der Amerikaner, auch wenn wir das manchmal gern wären.)
Wenn dann der Film, etwa nach gut zwei Stunden, noch einmal von vorne losgeht, kommt die Belohnung für all die Mühe. Jetzt wird das »wie« endlich interessant. Und längst sind wir als Zuschauer schon auf die Perspektive der Jäger eingeschworen. Dann sehen wir im giftgrünen Schein der Nachtsichtgeräte Männer, die in Echtzeit von 40 Minuten ihre Arbeit machen. Es ist, da färbt der Film nichts schön, ein Killerkommando, keine Frage. Aber ein sehr präzises, das kaum Kollateralschäden auslöst. Wieder im Gegenteil: Bigelows Blick auf Bin Ladens Familie, die Frauen und Kinder, denunziert diese nie, sondern ist stattdessen von Humanität und einem Hauch Anteilnahme durchzogen, mit Opfern als Menschen, von einem Sinn für das Grauen, dass sie in jener Nacht heimgesucht hat. Wir sehen Amerikaner ohne Triumphgeheul, ohne Ausstellen des Sieges, ohne Vulgarität. Arbeiter, die ihre Arbeit tun, Profis, in stählernen Kampfgehäusen, asketische Mönche des Krieges.
Der Sturm auf das Gebäude wird in aller Härte und Hässlichkeit gezeigt. Man sieht Soldaten, die den Kindern, deren Vater sie gerade erschossen haben, zuflüstern: »Its ok, its ok...« Und man weiß, dass natürlich nichts ok ist.
Auch das alles ist womöglich nur die Mythisierung eines schmutzigen Krieges. Aber Bigelow stellt ihn nicht sauber dar, ihr herausragender Film über den »Krieg gegen den Terror« schärft vielmehr den Sinn dafür, was die letzten zehn Jahre mit dem Krieg und mit uns gemacht haben.
Hintergrundsliteratur:
Mark Bowden: »Killing Osama. Der geheime Krieg des Barack Obama.« Übersetzung André Mumot. Berlin Verlag, 2012; 14,95 Euro
Peter L. Bergen: »Die Jagd auf Osama Bin Laden: Eine Enthüllungsgeschichte«; DVA,
19,99 Euro