Iran/Deutschland 2010 · 91 min. · FSK: ab 12 Regie: Rafi Pitts Drehbuch: Rafi Pitts Kamera: Mohammad Davudi Darsteller: Rafi Pitts, Mitra Hajjar, Ali Nicksaulat, Hassan Ghaleoni, Manoochehr Rahimi u.a. |
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Der Jäger ist ein einsames Herz |
The Hunter heißt Rafi Pitts Film im Original. Klipp und klar, kurz und bündig wird hier gesagt, worum es geht. Ein Mann jagt in seiner Freizeit in den Wäldern. Er ist ein guter Schütze. Eines Tages jagt er Polizisten. Dann wird er gejagt.
Anatomy of A Murder heißt ein berühmter Film von Otto Preminger, und so könnte auch dieser Film des iranischen Regisseurs Rafi Pitts
heißen. Mit Premingers Film teilt er die Ruhe, den analytischen Blick des Anatomen. Der Film, vom deutschen Verleih in Zeit Des Zorns umbenannt – und es hätte ein schlechterer Titel sein können – fragt danach, wie es zu den Taten der Hauptfigur kommen konnte, beschreibt kühl und klar den Weg bis zu dem »point of no return«, den man dann in der Öffentlichkeit unter »Amok« abhandelt und ablegt, obwohl es vielleicht etwas ganz anderes ist.
Der Jäger ist ein einsames Herz: Ein verschlossener, irgendwie grimmiger Mann. Wenig Emotionen spiegeln sich in seinem Gesicht, man interpretiert da mehr hinein, als das sich ablesen lässt. Retrospektiv glaubt man in ihm schon immer Zorn zu lesen. Zudem erfährt man, dass er im Gefängnis war. Warum, das weiß man nicht. Aber man sieht, dass er nun in der iranischen Gesellschaft ganz unten wieder anfangen muss. Absurde Pointe, die erste von mehreren: Der, der bis eben selbst noch bewacht wurde, wird nun Wachmann. Er hat eine Familie, Frau und Tochter, die er offenkundig liebt. Weil er nachts arbeitet, die Frau tagsüber, sehen sich beide kaum. Ein graues, karges Leben. Auch die Welt drumherum ist grau und karg: Man sieht die iranische Hauptstadt Teheran als Autofahrermetropole, durchzogen von zahllosen vielspurigen Autobahnen, überwölbt von einer giftig-gelben Dunstglocke. Apokalypse now! Die Welt aus Beton, Benzin und Entfremdung erinnert an Antonionis Filme der 60er, diese Figur des einsamen Jägers und seiner absurden Jagd könnte von Camus geschrieben sein, der Wald gleicht dem, in dem sich Kurosawas Samurai zum letzten Gefecht sammeln.
Im Radio hört man immer wieder mal Nachrichten, Ansprachen von Politikern. Es ist Wahlkampf, es ist der Juni 2009. Kurz vor dem Wahlbetrug der Regierung. Kurz vor Unruhen, Toten, der grünen Revolte. Nichts ist direkt politisierend in diesem Film, aber alles ist politisch: Das Graue, das öde Leben, der Lärm, die Stille, der Wald ohne Blätter, die Natur, die kein Rückzugsort ist, kein Paradies, der Beton, die Frau und das Kind, die plötzlich verschwunden sind, die Staatsmacht, die alles weiß und nichts sagt, die Frau und das Kind, die plötzlich tot aufgefunden werden, die Erklärungen, die viele Worte haben und nichts sagen: Eine »verirrte Kugel«, »ein Unfall«, man wisse nicht genau, Polizei oder Aufrührer... alles politisch. Indirekte Information an den Zuschauer: Es hat also Unruhen gegeben, Schüsse von der Polizei. Gegen die Polizei. Aufstand. Chaos – alles politisch. Die Worte: »Aufrührer«. Die Frage: Wer sind die »Aufrührer«? Die Undurchschaubarkeit der Macht. Die Marke des Autos: Ein »Chevrolet Camaro«, aus dem US-Kino der 70er. Die Farbe des Chevrolet: Grün. Man muss das alles nur lesen, dann ist der Text klar. Man muss allerdings lesen gelernt haben. Und Rafi Pitts sendet auch eine Botschaft an jene deutschen Filmemacher, die gern süffisant anmerken, Botschaften solle man doch mit der Post senden, im Kino habe das nichts zu suchen. Bullshit! Alles ist politisch, erst recht das »unpolitische« Kino der Deutschen.
Alles politisch: Der Mann, der mit dem Leben abgeschlossen hat; der zum lebenden Toten wird; der seine Trauer kanalisiert in Zorn und Wut und Durst nach Rache, der in den Wald geht, und ganz ruhig wird, der sein Gewehr auspackt und zusammenschraubt, der durch das Zielfernrohr blickt, und wartet. Der wartet und wartet. Der ein Ziel sucht, das wir noch nicht kennen, und es findet, als der erste Polizeiwagen auf dem Freeway entlangfährt, der den Auslöser drückt. Alles politisch: Die Wut, der Hass, die Rache, die Hubschrauber am Himmel, der zweite Polizeiwagen, die Verfolgungsjagd, das Treffen im Wald, die Gespräche, die Korruption, das Unheimliche, das Abstrakte, die Angst und die Austauschbarkeit, die Dialoge zwischen den Polizisten. Das Schroffe. Das Lakonische. Das Gute. Das Böse. Der letzte Schuss. Man muss Angst haben um den Iran, das ist klar.