Ziemlich beste Freunde

Intouchables

Frankreich 2011 · 112 min. · FSK: ab 6
Regie: Eric Toledano, Olivier Nakache
Drehbuch: ,
Kamera: Mathieu Vadepied
Darsteller: François Cluzet, Omar Sy, Anne Le Ny, Audrey Fleurot, Clotilde Mollet u.a.
Altbekannte Fahrwasser: »Der Neger gibt den Clown«

Die gar lustige Geschichte vom Mohr und dem Franzosen

Es ging spazieren vor dem Tor
Ein kohl­pech­raben­schwarzer Mohr.
Die Sonne schien ihm aufs Gehirn,
Da nahm er seinen Sonnen­schirm.
Da kam der Ludwig herge­rannt
Und trug sein Fähnchen in der Hand.
Der Kaspar kam mit schnellem Schritt
Und brachte seine Bretzel mit;
Und auch der Wilhelm war nicht steif
Und brachte seinen runden Reif.
Die schrie’n und lachten alle drei,
Als dort das Mohrchen ging vorbei,
Weil es so schwarz wie Tinte sei! [1]

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Nein, nein, keine Frage, dieser Film macht Spaß. Das hat nicht nur das fran­zö­si­sche Kino­pu­blikum so empfunden und Ziemlich beste Freunde zum erfolg­reichsten Film des Jahres 2011 gemacht. Auch in Deutsch­land ist die Komödie um einen wohl­ha­benden Behin­derten und seinen Pfleger aus armse­ligen Migran­ten­ver­hält­nissen auf Platz 2 der Media Control-Kino­charts einge­stiegen. Globa­li­sie­rung ist halt inzwi­schen wirklich überall und Behin­de­rung sowieso.

Aber nicht allein die Themen­wahl führt zwangs­läufig zu einer erfolg­rei­chen Komödie. Regie, Drehbuch, Tabu­brüche, das richtige Timing, die Besetzung usw. usf. sind Kriterien, die nur in den seltensten Fällen harmo­nieren. Aber hier? Stimmt auch das alles oder halt – zumindest sehr viel: Olivier Nakache und Éric Toledano haben großartig recher­chiert, geschrieben und insze­niert und mit François Cluzet als Behin­dertem Philippe und Omar Sy als schwarzem Migranten Driss einen irren Kosmos aus persön­li­chen Gegen­sätzen geschaffen – eine Rezeptur, die seit Oliver Hardy und Stan Laurel bestens funk­tio­niert und auch in Ziemlich beste Freunde immer wieder verblüfft: Der nach einem Para­glider-Absturz fast komplett gelähmte wohl­ha­bende Philippe muss wieder Mal einen neuen Pfleger enga­gieren. Als sich u.a. Driss vorstellt, ein schwarzer Migrant aus einer der berüch­tigten Banlieues von Paris, merkt Philippe plötzlich, dass ihm gerade die alle Tabus gegenüber Behin­derten mitleids­lose Art von Driss gut tut. Driss ist hingegen eigent­lich nur an einer Ablehnung inter­es­siert, benötigt aber die Unter­schrift, um weiter Arbeits­lo­sen­geld zu beziehen, lässt sich dann aber auf das Expe­ri­ment ein und wird Philippes Pfleger. Die Achter­bahn­fahrt an Über­ra­schungen, Über­tre­tungen und Tabu­brüchen, die folgt, ist mitunter atem­be­rau­bend komisch – seien es Driss erste Pfle­ge­dienst­ver­suche oder das Aufein­an­der­prallen der kultu­rellen Werte zwischen weißer Hoch­kultur und schwarzer Unter­schicht. Das erinnert wohltuend an ähnliche Momente in den Komödien aus dem Apatow-Umfeld. Vor allem der erfri­schend scho­nungs­lose Umgang mit blöd tradierten Verhal­tens­weisen und falschem Mitleid gegenüber Behin­derten lässt den Film immer wieder regel­recht heiß laufen. Erst zum Ende hin beginnt es ein wenig zu rumpeln; haben die Übergänge nicht mehr ganz die feine Motorik des Anfang- und Mittel­teils, verliert Ziemlich beste Freunde den durch die unkon­ven­tio­nell angegange Behin­der­ten­pro­ble­matik gewon­nenen Stand­ort­vor­teil ein erstes Mal. Vor allem die plötz­liche Kündigung des Arbeits­ver­hält­nisses und die „Altbe­sin­nung“ von Driss irri­tieren, weil der gelie­ferte Kontext kaum ausreicht, um die Situation zu erklären.

Aber tatsäch­lich ins Schlin­gern bringt Ziemlich beste Freunde erst der zum Abspann gelie­ferte Verweis auf die reale Vorlage des Films. Irri­tie­ren­der­weise hat der wirkliche Philippe Pozzo di Borgo demnach keinen schwarz­afri­ka­ni­schen, sondern einen alge­ri­schen Migranten einge­stellt. Das irritiert umso mehr, als Olivier Nakache und Éric Toledano nicht nur di Borgos Auto­bio­grafie in vielen Belangen getreu folgen, sondern außerdem persön­liche Gespräche mit di Borgo suchten, um möglichst authen­tisch zu arbeiten. Ziemlich beste Freunde gerät dadurch in altbe­kannte, unlieb­same Fahr­wasser, die auch im deutschen Film gerne aufge­sucht werden, wenn Afrika in irgend­einer Facette im Spiel ist – der tenden­zi­ellen »Fort­schrei­bung kolo­nialer Phan­ta­sien und weißer Selbst­er­mäch­ti­gungs­stra­te­gien«, wie es die Germa­nistin und Film­wis­sen­schaft­lerin Rita Morrien formu­liert hat. [2]

Der »Neger« Driss darf es also richten. Er gibt den lustigen Clown, was auch sonst. Dass er den Rhythmus im Blut hat, versteht sich von selbst. Von Klassik kann er selbst­re­dend keine Ahnung haben, es müssen schon Trommeln im Spiel sein. Und dann ist da natürlich der Sex – ist eigent­lich irgendwer vor dem schwarzen Mann sicher? Die asia­ti­sche Prosti­tu­ierte natürlich nicht, das erklärt sich von selbst. Aber wie steht es um die attrak­tive, weiße Sekre­tärin von Pilippe, auf die es Driss eigent­lich abgesehen hat? Die Lösung ist so dämlich, dass es weh tut, aber gleich­zeitig so charmant ausge­lotet, dass irgendwie auch Driss Kündigung plötzlich in neuem Licht und ausrei­chend Kontext steht: Schuster, bleib bei deinen Leisten!

Aber wie schon gesagt: der Film macht Spass. Und sich daran stören lassen, dass sogar die Moral des Struw­wel­pe­ters von 1844 – zumindest in der »Geschichte von den schwarzen Buben« – mutiger und radikaler ist, als die eines Films aus dem Jahre 2011? Das muss nicht sein! Es sei denn, irgendwer hat noch Angst vorm großen Nikolas:

Da kam der große Nikolas
Mit seinem großen Tintenfaß.
Der sprach: »Ihr Kinder, hört mir zu
Und laßt den Mohren hübsch in Ruh’!
Was kann denn dieser Mohr dafür,
Daß er so weiß nicht ist, wie ihr?«
Die Buben aber folgten nicht
Und lachten ihm ins Angesicht
Und lachten ärger als zuvor
Über den armen schwarzen Mohr.

Der Niklas wurde bös und wild,
Du siehst es hier auf diesem Bild!
Er packte gleich die Buben fest,
Beim Arm, beim Kopf, bei Rock und West’,
Den Wilhelm und den Ludewig,
Den Kaspar auch, der wehrte sich.
Er tunkt sie in die Tinte tief,
Wie auch der Kaspar: Feuer! rief.
Bis übern Kopf ins Tintenfaß
Tunkt sie der große Nikolas.

Du siehst sie hier, wie schwarz sie sind,
Viel schwärzer als das Mohren­kind!
Der Mohr voraus im Sonnen­schein,
Die Tinten­buben hinter­drein;
Und hätten sie nicht so gelacht,
Hätt’ Niklas sie nicht schwarz gemacht.[3]

[1] Die Geschichte von den schwarzen Buben, 1. Strophe, in: Heinrich Hoffmann: Der Struw­wel­peter. 1844, hier: Frankfurt, 1917.
2 Rita Morrien, „Afrika mon amour“ – Der Afrika-Diskurs im populären deutschen Spielfilm, in: Deutsch-afri­ka­ni­sche Diskurse in Geschichte und Gegenwart, S.253-284. Amsterdam/New York 2012.
[3] Die Geschichte von den schwarzen Buben, 2.-4. Strophe, in: Heinrich Hoffmann: Der Struw­wel­peter. 1844, hier: Frankfurt 1917.