USA 2007 · 157 min. · FSK: ab 16 Regie: David Fincher Drehbuch: James Vanderbilt Kamera: Harris Savides Darsteller: Jake Gyllenhaal, Mark Ruffalo, Anthony Edwards, Robert Downey jr. u.a. |
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Das Böse könnte auch in einer perfiden Blondine stecken |
Se7en, The Game, Fight Club, Panic Room – Filme von David Fincher sind immer ein Ereignis. Sie sind das nicht allein wegen ihrer hervorragenden Qualität, dem unverwechselbaren Stil des Regisseurs, seinem extremen Zuschauerverblüffungstalent, mit dem er mehr als einmal einen gesamten Film am Ende quasi aus den Angeln hob und aufs neue Gleis einer völlig anderen Perspektive stellte, verbunden mit einem Unterhaltungswert, der den üblicher Hollywood-Bückware um einiges überbietet. Im Gegensatz zu den meisten seiner Kollegen gelingt es Fincher darüber hinaus immer, mit seinen Filmen ins Herz der jeweiligen Epoche zu treffen, irgendeinen grundsätzlichen Aspekt seiner Gegenwart anzusprechen, seine Zeit in filmische Erscheinung zu fassen. Fincher arbeitet mit anderen Worten niemals unter Niveau.
Nun also Zodiac. Es beginnt scheinbar konventionell und doch schon hier überaus repräsentativ: Am »4th of July«, dem amerikanischen Nationalfeiertag 1969, zwei Wochen vor der ersten Mondlandung. Die Kamera gleitet von rechts nach links, entlang einer Suburb-Gegend. Über den Kopf eines Autofahrers folgen wir dessen Blick aus dem offenen Beifahrerfenster. Es ist eine junge Frau, so scheint es gleich darauf. Aber es liegt eine ferne Beunruhigung in
diesen ersten Bildern, deren Ursprung noch unklar ist. Denn vielleicht war es auch ein zweiter Wagen, der hinter dem ersten fuhr, dessen Fahrer dem Blick der Fahrerin folgte auf ein Leben, das nie seines sein wird, dem er sie in wenigen Stunden auf immer entziehen wird. Die junge Frau heißt Darlene Elisabeth Ferrin, sie ist 22 und bereits zum zweiten Mal verheiratet, und der Mann, den sie abholt, ist nicht ihr Gatte, er ist überdies drei Jahre jünger als sie, noch nicht volljährig nach
damaligem Recht. Darum ist sie es, die fährt. Er will zu einem Diner, doch sie will nichts essen, will Einsamkeit, zu einer stillen dunklen Ecke, dort gleich zur Sache kommen, knutschen ist das Mindeste, er ist schüchtern, und dann merken sie, dass ein anders Auto hinter ihnen parkt. Es dauert nicht lang da fährt das Auto weg. Doch dann kommt es zurück, der Fahrer steigt aus, und noch ehe die beiden begreifen, beginnt die Mordattacke.
Noch mehrere ähnliche Ereignisse folgen, und indem er
sie zeigt, zeigt Fincher auch die Gesellschaft, in der sie geschehen. Man sieht die Rituale der Männer, man spürt die Langeweile der Frauen, man ahnt das Vergnügen des Täters. Fincher erzählt schnell, füllt die Atmosphäre mit guter Musik, erzeugt 60’s-Stimmung, die Kamera – wiewohl sichtbar HD – wird in präzisem Fluss und ungemein elegant geführt von Harris Savides, der mit Fincher schon in The Game zusammenarbeitete, dann zuletzt viermal hintereinander, und dort weitaus statischer, mit Gus Van Sant – und doch entpuppt sich alles nur als Exposition.
Wer nur weiß, dass Zodiac ein berühmter Serienkiller im Kalifornien der Spät-60er war, könnte erwarten, der Regisseur knüpfe an seinen Erfolg Se7en an, mache nun alles, was er damals noch nicht gemacht hatte. Aber Fincher ist so einfach nicht zu fassen. Zodiac ist alles Mögliche, nur bestimmt kein Seven 2. Zudem war Se7en fiktiv, Zodiac ist dagegen ein historischer Fall – enorm publicityträchtig und mit einem Killer im Zentrum, der selbst außerordentlich stark an seinem eigenen Mythos interessiert war. Der Killer – sein selbstgewählter Alias bedeutet »Tierkreis« – schrieb Briefe an die Tageszeitungen von San Francisco – »Dear editors, this ist he
Zodiac speaking…« –, codierte seine Nachrichten, und formulierte bereits im ersten von ihnen: »I like killing people because it is so much fun it is more fun than killing wild game in the forrest because man is the most dangeroue anamal.« [Sic!], was bereits sehr schnell als Referenz auf einen alten RKO-Klassiker: The Most Dangerous Game mit Fay Wray
verstanden wurde – es geht darin um Menschenjagd, und es schadet hier nicht zu wissen, dass »game« auf Englisch nicht nur »Spiel« bedeutet, sondern auch »Wild«, und dass Finchers dritter Spielfilm bekanntlich den Titel trägt The Game. Der Killer stilisierte sich selbst als Souverän, er entspricht darin genau dem, was das Publikum des Westens heute so an Serienkillern – vgl. Hannibal – zu schätzen gelernt hat. Er spielte mit seinen Jägern Katz und Maus. Und wurde nie gefasst.
Fincher hält sich an diese Fakten, und wenn dies auch immer deutlich ein Spielfilm ist, so ähnelt der Film doch einem Dokudrama weit mehr, als jener mythisch aufgeladenen, archaischen Tragödie Se7en. Wer dann
auch noch gehört hat, dass dieser Fall niemals aufgeklärt wurde, fängt endgültig an zu grübeln: Was soll denn das für ein Film werden? Was will Fincher uns denn mit so einem Film sagen? Die Antwort: Genau das!
Alle bisherigen Filme Finchers lassen sich als Reisen verstehen, die von außen nach innen führen. Sie reißen ihre Hauptfiguren heraus aus den Sicherheiten der gewohnten Existenz, bringen sie auf den Nullpunkt einer völlig neuen, in jeder Hinsicht extremen Situation, die sie dann of genug zu nicht weniger extremen Taten treibt. Und am Ende der Reise haben alle diese Hauptfiguren von Finchers Filmen eine Waffe in der Hand, steht die Entladung durch einen Gewaltakt, der so erlösend wie verzweifelt ist.
Dazu bedienen sich Finchers Filme aller Tricks und Mittel der Popkultur, denn nicht sie, nicht Zugeständnisse ans Massenpublikum, nicht das »Design« von Bildern, ihre Ästhetisierung und die spürbare Lust an ihr, die manche diesem Regisseur gern vorwerfen, sind der Sündenfall. Den findet Fincher in den Menschen selbst. Und vielleicht ist das Gemeinsame, das alle Hauptfiguren von Finchers Filmen, die der einen oder anderen dieser und anderer Sünden schuldig sind, am Ende sich selbst infrage stellen, zur Demut gezwungen werden. The Game ist das Leben selbst, und »Sinn des Spiels ist«, wie es einmal heißt, »herauszufinden, was Sinn des Spiels ist.« Film als moralische Vorhölle mit den Mitteln des Popzeitalters – nicht die schlechteste Form von Kino.
Filme, die mehr Fragen aufwerfen, sind also besser, als die, die auf alles eine Antwort wissen. Das stimmt zwar, aber es schreibt sich auch recht leicht so hin. Etwas anderes ist es, daraus einen Film zu machen. Wohlgemerkt: Einen Film, der funktioniert. Der den Zuschauer bei der Stange hält, unterhält am besten, dazu bringt, im Idealfall einfach alles, was er über diesen Fall weiß, zu vergessen, und sich ganz der Erzählung hinzugeben, sich zu verlieren, und hinzugucken. Denn eigentlich weiß man ja gar nichts.
Mit Zodiac ist Fincher genau so ein Film gelungen. Ein Film, der alle Erwartungen dementiert. Ein zutiefst pessimistisches, aber überaus menschliches Drama der Desillusionierung: Wie Hitchcock in Vertigo wird auch für Fincher San Francisco zu einem Ort, in dem die verschiedenen Zeichen sich nur noch virtuos bespiegeln, aber keinen schlüssigen Sinn mehr ergeben. Wie Preminger in Anatomy Of A Murder legt der Film die Indizien auf den Tisch und sieht den Decodierern dann bei der Arbeit zu. Im Zweifel für den Angeklagten, also für die Wahrheit, gegen die schnelle Gewissheit.
Im Zentrum stehen diese Decodierer, die Fährtenleser, die Jäger des Killers, die Polizei und die Medien. Sie sind so verschieden wie ihre Darsteller, wie Jake Gyllenhaal, Robert Downey Jr., Mark Ruffalo – als Inspektor Toschi, das reale Vorbild für die Michael-Douglas-Figur in Die Straßen von San Francisco, für Steve McQueens Bullitt, und für die Figur des Dirty Harry –, Anthony Edwards. Im Gegensatz zu anderen Ermittler-Filmen ist Zodiac nicht auf eine, dem Verbrecher diagonal konfrontierte Ermittler-Hauptfigur geprägt. Es ist ein Film, in dessen Zentrum ein Team steht und ein System. Wie in Fritz Langs M – Eine Stadt sucht einen Mörder zeigt der Film eine ganze Stadt und ihre Institutionen bei der Arbeit, zeigt Räume, Techniken, Medien. Die Medien sind die Message, denn der Kern des Systems ist die Welt der Journalisten. Durch die Zeit, in der er spielt, durch Kleidung und Stil, durch sein Setting in einer Zeitungsredaktion, durch zwei der vier Hauptfiguren, die Journalisten sind, und nicht zuletzt durch seinen Komponisten David Shire, verweist Zodiac deutlich auf den Watergate-Ermittlerfilm All the President’s Men (Die Unbestechlichen).
Die Zeit des Zodiac war auch die Zeit von Richard Nixon. Sie war die Zeit der Morde an Bobby Kennedy und an Martin Luther King. Sie war die Zeit der blutigen, ganz unsubtilen Rache der Rechten der »Moral Majority« an der siegreichen Linken und ihrer Gegenkultur. Der Zodiac war ihr Racheengel, und Fincher zeigt dies ganz blutig und unsubtil. Fincher wuchs in der San-Francisco-Bay-Area auf, und erinnert sich: »Heranzuwachsen in dieser
Zodiac-Zeit, das prägte einen jungen Geist. Ich denke, das kann kein Zufall sein, dass auf dem Höhepunkt der sexuellen und pharmazeutischen Revolution in Kalifornien ein Typ mit Militärhaarschnitt und Hornbrille anfing Kids abzuschießen, die eben sexuell freigesetzt waren. Da zog einer vom Leder, versuchte Kontrolle zu gewinnen.«
Finchers Werk handelt hingegen von Kontrollverlust.
Zodiac erzählt von Spuren, die kalt werden. Er tut das im Stil des Film Noir: Coole Gesten, heiße Herzen, Männerwelten, kalter Kaffee, wache Nächte, zuviel Drinks und zuwenig Liebe. Zodiac ist ein in seiner Nüchternheit toller Film, freilich eher philosophischer Essay, als reißerischer Thriller. Denn Zodiac macht diese Jäger fertig. Er zeigt wie man es nicht mehr schafft, von der Jagd zu lassen, er zeigt die Obsession, von der man nicht loskommt, aber auch ihre Sinnlosigkeit und ihren Preis. Am Ende stehen alle mit leeren Händen da. Fincher dekonstruiert das klassische männliche Heldentum so wie Tyler Durden in Fight Club sich selbst: »Vielleicht ist Selbstzerstörung die Antwort.«
Finchers Filme boten wie gesagt bisher immer eine stupende Interpretation der Gegenwart, brachten etwas präzise auf den Punkt. Diesmal wieder. Denn der Zodiac-Killer wurde nie gefunden. Auch Fincher vermutet nicht. Er macht die Indizien, die auf den verurteilten Pädophilen Arthur Leigh Allen, 1992 gestorben, hindeuten, so stark, wie sie in Wirklichkeit sind. Aber nicht stärker.
Wovon Zodiac handelt, ist also die Praxis der Desillusionierung, also das, was der Westen gerade erlebt: Die Hilflosigkeit der Gesellschaft, die Unfähigkeit, die Rätsel zu decodieren und zu lösen, die der Mörder aufgibt. Der Film ist insofern ein Gesellschaftsportrait über eine Welt, die mit ihrer Niederlage fertig werden muss. Er zeigt, dass der Gang in die Bibliothek eben nicht immer, wie in Se7en, Aufklärung bringt, dass die Welt kein Text ist, der sich in jedem Fall dechiffrieren lässt. Man muss Killer verstehen, um aufzuklären, aber man kann ihn nicht verstehen. Ist das noch Aufklärung über Aufklärung, oder schon Gegenaufklärung? Jedenfalls ein wunderbarer Film. Manche Türen haben keinen Schlüssel. Fincher ist der Sokrates des Gegenwartskinos: Er weiß, dass er nichts weiß.
Bei Dirty Harry ist alles ganz einfach. Da gibt’s am Ende eine Kugel für den Killer. Eine klare, finale Lösung, wie sie für die Cops in Zodiac so auch nur im Kino existiert: Ihnen zeigt man den Eastwood-Streifen in einer Sondervorführung. Denn Dirty Harry war inspiriert von dem realen, bis heute ungelösten Fall, an dem die Männer aus San Francisco sich in den ‘70ern noch immer aktuell abarbeiteten.
Zodiac ist quasi das geniale, auf seine Weise spannendere Gegenprogramm zum »Do you feel lucky, punk?«-Magnumschwinger: Einerseits ein nahezu dokumentarisches Zeitgemälde, das in seiner akribischen Recherche weit über die nominelle Vorlage hinausgeht – die Bücher Robert Graysmiths (im Film: Jake Gyllenhaal), eines ehemaligen Karrikaturisten des »San Francisco Chronicle«. An diese Zeitung hatte der Serienkiller (teils codierte) Briefe geschickt.
Andererseits ist Zodiac ein großartiger Film über die Uneindeutigkeit der Zeichen. Denn was seine Helden treibt, ist nur bedingt die Gefährlichkeit des Mörders. Sie geben selbst einmal zu: Der Straßenverkehr fordert wöchentlich mehr Opfer als dieser in einem Jahrzehnt.
Zur lebensverzehrenden Obsession wird der Fall für die verantwortlichen Polizisten und Journalisten, weil er eine fundamentale Verunsicherung darstellt: Ein Puzzle, in dem
stets systematisch ein Teil fehlt, ein Teil aus einem anderen Bild stammt; ein Puzzle, welches das Projekt des Puzzlespiels selbst in Frage stellt.
Sie sind allesamt Schreibtischtäter, diese Männer, und im Grunde seines Herzens ist Zodiac mindestens so sehr ein Journalisten-, Zeitungsfilm wie ein Detektiv- oder gar Polizeifilm. Denn es geht ihm eben nicht um die Ordnungsmacht als gewaltausübende Instanz in der staatlichen Gemeinschaft. Es geht ihm um
Polizisten als Bürokraten und Archivare, als Sammler, Wahrer und Interpreten von Spuren, Zeichen.
An der Oberfläche ist Zodiac zurückhaltender als David Finchers moderne Klassiker Se7en und Fight Club – er geht nicht so in die Extreme, ist weniger auf visuelles Wunderwerk konzentriert als auf sein brillantes Schauspielerensemble. (Wir sagen das möglicherweise nicht
zum ersten Mal, aber mit umsomehr Nachdruck: Robert Downey Jr. for President!).
Aber die Weltsicht Finchers ist unverkennbar: Von der ersten Minute an spielt er ein perfides Spiel mit dem freien Flottieren der Bedrohung. Ein Auto gleitet am amerikanischen Nationalfeiertag durch eine Vorortstraße. Wir vermuten am Steuer sofort den Killer. Es ist nur eine junge Frau. Ihr Freund steigt zu. Ein eigenwilliger Kerl, dem wir alles zutrauen. Doch auch er wird nur ein Opfer sein.
Wieder
und wieder gibt es solche Momente in Zodiac: Wo wir uns durch Indizien und Gefühl zum Verdacht verleiten lassen – um dann mit einer Entlastung konfrontiert zu werden. Einer Entlastung, die selten eindeutig ist. Denn so, wie auch der stärkste Verdacht in Finchers Film bestenfalls eine 9 auf der Skala von 1 bis 10 erreicht, es immer diesen letzten Rest an Unsicherheit, Unlesbarkeit gibt – so bleibt doch auch von jedem als eigentlich unberechtigt
entkräfteten Verdacht etwas wie ein Kainsmal hängen. Es ist ähnlich wie mit der Szene in der Mitte von Takashi Miikes Audition, wo der Protagonist nach einem Horror-Albtraum über seine neue Freundin neben dieser aufwacht und er – obwohl ihre gräßlichen Taten nur Hirngespinste gewesen zu sein scheinen – ihre Berührung nicht mehr erträgt: Es reicht, dass man jemanden das Schlimmste
zutrauen konnte. Nie wird man das Gefühl wieder loswerden, dass dies nicht völlig ohne Grund war.
Das Beunruhigendste an Zodiac ist mithin die starke Ahnung, dass »das Böse« vor allem deshalb dingfest gemacht, mit einem eindeutigen Namen, einer Identität versehen und dann zur Strecke gebracht werden soll, damit wir es nicht in uns selbst entdecken.