Deutschland 1998 · 87 min. · FSK: ab 6 Regie: Peter Lichtefeld Drehbuch: Peter Lichtefeld Kamera: Frank Griebe Darsteller: Joachim Król, Peter Lohmeyer, Outi Mäenpää, Oliver Marlo u.a. |
Dem Zugunglück vom 5. Juni zum Trotz preist der Mann die Vorzüge des ICE. Sobald er von der Eisenbahn spricht, blüht Hannes richtig auf, und wenn er nicht schon Bierfahrer wäre, könnte er sich sehr gut ein Leben als Bahnexperte vorstellen. Fahrplanberatung und Rosenzucht, so sähe sein Paradies aus. Den Anfang nimmt Zugvögel in der Prolo-Idylle Dortmund, wo Verkäuferinnen auf Bierfahrer stehen, und die Männer am Samstag »auf Borussia« gehen. Dort läßt der Regiedebütant Peter Lichtefeld sein Fernweh-Märchen beginnen, nicht weil Dortmund so schrecklich wäre, aber woanders ist es eben auch schön.
Um sein Spezialwissen einmal gewinnbringend verwenden zu können, reist Hannes nach Inari in Finnland, um dort an einem internationalen Fahrplanwettbewerb teilnehmen zu können. Zuhause hält man ihn fälschlicherweise für einen Mörder, und so wird er Zug um Zug von einem Kommissar verfolgt, der für seine Jagd die besten Reiseverbindungen aufspüren und damit selbst zum Bahnexperten werden muß. Weil sich Hannes aber auf seiner Fahrt in die finnische Rosenzüchterin Sirpa verliebt und deshalb ausnahmsweise Umwege in Kauf nimmt, ist der Polizist vor ihm am Zielort, was einem großen Triumph polizeilicher Ermittlungsarbeit gleichkommt.
In den Siebzigern gab’s mal eine Kinderserie, in der alle lieb, zärtlich und nachdenklich waren, selbst der Straßenkehrer der Wohnsilo-Siedlung war eine Märchenfigur. Wie in »Anderland«, einer typischen Sozpäd-Serie, sehen sich die Menschen in Zugvögel freundlich und offen in die Augen und fragen sich »Wovon träumst du?«. In langen, langen Einstellungen sitzen sie da und schweigen sich größtenteils an. Tiefpunkte haben sie nur, wenn sie z.B. nach Hause kommen und der Freund hat vergessen die Blumen zu gießen. Lichtefeld streckt sein sympathisches, aber auch ein bißchen apathisches Road-Movie mit Kaurismäki- und Westernzitaten und labt sich an seiner eigenen Ziellosigkeit, was durchaus dem Inhalt seines Filmes entspricht. Peter Lohmeyer ist ein versonnener Sheriff, der seinen Privatehrgeiz, einen Bahnexperten zur Strecke zu bringen, beharrlich weiterverfolgt, obwohl der Verdächtige längst als unschuldig gemeldet ist, während Joachim Krol, als Hannes den Cartoon-Figuren Loriots ähnlicher als je zuvor, erst von seiner Reisebekanntschaft Sirpa (Kaurismäki-Schauspielerin Outi Mäenpää) lernt, daß die schnellste Verbindung nicht unbedingt die schönste ist.
In der skandinavischen Nacht taucht zwischendurch ein saufendes Finnenpärchen auf und behauptet »It’s the same bullshit all over.« Das stimmt aber überhaupt nicht, denn in Wahrheit sind wir, die Zugreisenden dieser Welt, alle gute Freunde, die Polizei will nur ein bißchen mit uns spielen, und nach dem Kino lesen wir alle den »kleinen Prinz« und massieren uns gegenseitig die Füße.
Manche Menschen entwickeln ein ausgesprochen intensives Interesse für ein einziges, begrenztes Thema. Sie lenken ihre volle Konzentration auf diese eine Sache, und Beruf oder Mitmenschen sind Anhängsel, die eben hingenommen werden. Peter Lichtefeld hat für sein Erstlingswerk einen phantastischen Schauspieler gefunden, der einen solchen Menschen verkörpert. Hannes (Joachim Król) gibt sich voll und ganz den Fahrplänen der Bahn von In- und Ausland hin. Akribisch rechnet er mit Abfahrts- und Ankunftszeiten in seiner piefigen Dortmunder Wohnung hin und her und seine Gesichtszüge entspannen sich nur, wenn er eine optimale Zugverbindung gefunden hat. Die schnellste Verbindung ist für ihn natürlich die Beste! Erst viele Bahnkilometer später erfährt er durch Sirpa (Outi Mäenpää), daß die beste Verbindung gerade durch Umwege ihre Reize erhält.
Zunächst ist Hannes ehrgeiziges Ziel jedoch, der schnellste und damit beste Kursbuchleser beim Internationalen Wettbewerb für Kursbuchleser im nordfinnischen Inari zu werden. Nachdem er sich energisch von seinem unerbitterlichem Chef losgesagt hat, begibt er sich auf die Zugreise nach Inari. Doch er ist nicht der einzige »Zugvogel«. Die Dortmunder Polizei verfolgt ihn, natürlich per Zug, weil er in Mordverdacht geraten ist. Und wenn Peter Lohmeyer als »knochentrockener« Kommissar auch der Faszination des Kursbuchlesens erliegt, entsteht eine wunderbare Skurilität. Der attraktivste »Zugvogel« für Hannes ist sicherlich Sirpa. Er lernt sie in einem der Züge kennen, und sie machen dann so richtig verbotene Dinge miteinander, wie in Nichtraucher-Zonen zu rauchen. Diese Begegnung hat einen nachhaltigen Effekt auf Hannes ursprüngliche Passion.
Zugvögel ... einmal nach Inari ist ein sehr stimmiger Film, der mit unprätentiösen Bildern eine ungewöhnliche Atmosphäre erzeugt. Er ist skurill, ruhig und unspektakulär. Sicherlich sind die starken Affinitäten zu Kaurismäkifilmen nicht zu verleugnen. Aber schließlich spielen auch phantastische Kaurismäki-Schauspieler mit. Wenn man Kati Outinen und Kari Väänänen im Zug erlebt, kommt schnell der Gedanke an das Paar das sie in Wolken ziehen vorüber verkörpern. Und dennoch hat Zugvögel etwas ganz Eigenes, einen besonderen Charme. Gerne mag man von Peter Lichtefeld auf eine neue Reise mitgenommen werden.