Zu Hause ist es am schönsten

A casa tutti bene

Italien 2018 · 108 min. · FSK: ab 6
Regie: Gabriele Muccino
Drehbuch:
Kamera: Shane Hurlbut
Darsteller: Stefano Accorsi, Carolina Crescentini, Elena Cucci, Pierfrancesco Favino, Claudia Gerini u.a.
Flos­kel­hafte Phra­sendre­sche­reien verbrau­chen Energie

Wo ist denn hier die Fremde?

Wer dem in der Reihe Spotlight auf dem dies­jäh­rigen Münchner Filmfest posi­tio­nierten Film von Gabriele Muccino keine Chance hat geben wollen, der kann das nun nachholen, denn Muccinos Film hat tatsäch­lich einen Verleih gefunden – für italie­ni­sche Filme in den letzten Jahren nicht unbedingt selbst­ver­s­tänd­lich. Geholfen haben mag, dass Zu Hause ist es am schönsten in Italien mehr als neun Millionen Euro einge­spielt hat und außerdem als klas­si­scher Sommer­film einige Erwar­tungen erfüllen dürfte. Und das nicht nur, weil er auf Ischia im Sommer spielt.

Denn Muccino, der zusammen mit Paolo Costella auch das Drehbuch geschrieben hat, proji­ziert in seiner Geschichte ein Italien auf die Leinwand, das so ziemlich alle Klischees bedient, die seit den goldenen 1950ern über Italien im Umlauf sind: sie mögen die Familie, sie essen gern und sie streiten sich dann auch immer wieder leiden­schaft­lich. Um diese Stereo­typen zu bedienen, ist eine Insel wie Ischia im Sommer ideal, ist sie doch neben Capri fast kollektiv in der deutschen Schla­ger­seele – und nicht nur da – verwur­zelt. Hierher laden Alba (Stefania Sandrelli) und Pietro (Ivano Mares­cotti) die ganze Groß­fa­milie ein, um goldene Hochzeit zu feiern. Da wegen Schlecht­wetter das Schiff zurück am Abend ausfällt, muss impro­vi­siert werden, nicht nur wer wo schläft, sondern auch das Bezie­hungs­leben muss neu verhan­delt werden. Denn die flos­kel­haften Phra­sendre­sche­reien verbrau­chen Energie, die am Abend nicht mehr vorhanden ist, wenn es endlich um so etwas wie die Wahrheit geht.

Für diesen Übergang lässt sich Muccino aller­dings ein wenig zu viel Zeit, doch wer A casa tutti bene im Original mit Unter­ti­teln sieht, dürfte durch den barocken Überfluss dahin­per­lender italie­ni­scher Dialoge über das etwas zähe und banale Intro hinweg­ge­tröstet werden. Und wer soweit gekommen ist, ohne das Kino verlassen zu haben, der wird dann durchaus belohnt, denn wie Muccino plötzlich das Tempo anzieht und aus banalen Nettig­keiten gnaden­lose Abgren­zungen werden, wie aus konven­tio­nellen Konver­sa­tionen eine knaus­gard­sche Ehrlich­keit erwächst, wie aus schöner Ober­fläch­lich­lich­keit eine hässliche Tiefe entsteht, ist immer wieder packend und in seiner über­zeu­genden Alltäg­lich­keit dann auch voll vibrie­render Authen­ti­zität.

Gleich­zeitig und wohl unfrei­willig erklärt Muccino über seine familiäre Intro­spek­tion auch den Erfolg seines Films in Italien – ganz die gegen­wär­tigen popu­lis­ti­schen Isola­ti­ons­be­stre­bungen spiegelnd, klammert Zu Hause ist es am schönsten alles aus, was Italien heut­zu­tage politisch und kulturell zu zerreißen droht. Weder die poli­ti­sche Krise, die Migra­ti­ons­po­litik noch der ewig nagende Nord-Süd-Konflikt oder die wirt­schaft­liche Dauer­krise, in der sich Italien befindet, werden auch nur ange­rissen. Gerade wenn man etwas an July Delpys Fami­li­en­treffen mit Hinder­nissen denkt, wo die gesell­schafts­kri­ti­sche Kompo­nente einen fili­granen Subtext bildet, ist das mehr als bedau­er­lich.

Und dann ist es ja nicht nur das explizite Auslassen wichtiger gesell­schaft­li­cher Entwick­lungen, das einen am Ende dann doch ein wenig ratlos in der Sommer­sonne stehen lässt. Denn erinnert man sich an Thomas Vinter­bergs Das Fest oder Ingmar Bergmans Fanny und Alexander, wird deutlich, dass Familie auch ohne sozi­o­po­li­ti­schen Kontext zu einer großer Kür werden kann.