Deutschland 2019 · 92 min. · FSK: ab 0 Regie: Sarah Winkenstette Drehbuch: Susanne Finken Kamera: Monika Plura Darsteller: Yoran Leicher, Sobhi Awad, Anna König, Andreas Nickl, Mohamed Achour u.a. |
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Mehr geht wirklich kaum! | ||
(Foto: farbfilm) |
Eigentlich würde ich am liebsten nur schreiben: Liebe Eltern, geht mit Euren Kindern in diesen Film. Gerne ab der 1. Klasse und erst recht mit den Größeren und ganz Großen und den ganz Alten unter uns, gern also mit der ganzen Großfamilie oder mit Freunden oder der Kommune oder der Gemeinde oder, liebe Lehrer, gleich mit der ganzen Schulklasse. Macht es möglich, dass endlich auch mal ein toller Kinderfilm, der auf einen eigenen Stoff vertraut, also keine Verfilmung eines bekannten Kinder- oder Jugendbuchs ist, der nicht die x-te Folge eines Franchises ist und der wie so oft nicht nur auf die letzte Station Hoffnung der Kika-TV-Schiene abgeschoben wird, dass so ein Film endlich mal auch Erfolg im Kino hat!
Warum ich am liebsten gar nichts schreiben möchte als den Aufruf von eben? Weil Sarah Winkenstettes Zu weit weg – aber Freunde für immer! ein paar im Normalfall sehr schwer verkäufliche Themen umsetzt. Es ist ein bisschen so wie mit den tollen Ken-Loach-Filmen der letzten Jahre, zuletzt Sorry We Missed You. Das Attribut »Sozialdrama«, das gern von Filmjournalisten vergeben wird, ist im Grunde das Todesurteil für die Kinoauswertung, weil fast jeder Angst oder keine Lust auf ein »Sozialdrama« hat. Weil es anstrengend ist, keinen Spass macht, deprimierend ist, zu viel von dem erklärt, was die meisten gar nicht wissen wollen. Und weil es in unseren Schulen natürlich keine wirkliche Filmbildung gibt, die Kindern und späteren Eltern die Schwellenangst vor »schwierigen« Themen nimmt.
Immer noch weiterlesen? Aber bitte nur, wenn Sie, wenn Ihr dann auch in diesen Film geht. Versprochen? Gut. Zu weit weg – aber Freunde für immer! gelingt, was nur wenigen Filmen gelingt, die sich das Prädikat »Familienfilm« verleihen. Winkenstette und ihre großartige Drehbuchautorin Susanne Finken erzählen eine Geschichte über Heimatverlust, eine Geschichte, die gegenwärtiger nicht sein könnte. Zum einen ist da Ben (Yoran Leicher), der sein Haus verliert, weil sein ganzes Dorf dem Braunkohletagebau weichen muss. Und gottlob ist dieses Dorf mal nicht in der ehemaligen DDR, sondern erfrischenderweise im äußersten Westen unserer Republik.
Ben leidet so wie jeder, der seine Heimat verliert. Er leidet im Grunde so wie Tariq (Sobhi Awad), der ebenfalls seine Heimat und dann auch noch seine Familie verloren hat, denn Tariq kommt aus Syrien und ist plötzlich in Bens neuer Klasse. Und in Bens neuem Fußballverein. Beide sind Verlorene, erkennen das aber nicht sofort, sondern erst über eine lange, vorsichtige Annäherung.
Über diese Annäherungsphase erzählen Winkenstette und Finken aber nicht nur über eine entstehende Freundschaft. Sie erzählen nicht nur über Fußball, was sowieso viel zu selten im deutschen Film passiert. Sie erzählen nicht nur über deutsche Klassenzimmer. Nein, sie erzählen vor allem auch über Deutschland und die Welt, illuminieren Familienverhältnisse, erzählen ohne zu erklären, erzählen nebensächlich von Verlusten mit einer Leichtigkeit, die selten ist. Eine Leichtigkeit, die der ideale Türöffner ist, um unsere komplizierte Welt zu verstehen, in der, wenn wir einmal genau hinsehen, eigentlich jeder von uns auch ein Verlorener ist, der sich danach sehnt, seinem nächsten die Hand zu reichen. Davon handelt Zu weit weg vor allem. Und das auch noch spannend, berührend (Tränen inkl., zumindest für die Erwachsenen, versprochen!) und lustig (ohne peinlich zu sein, auch versprochen!). Und das dann auch noch mit Schauspielern, die bis in die letzte Nebenrolle toll besetzt sind.
Mehr geht wirklich kaum!