Dänemark 2014 · 98 min. · FSK: ab 12 Regie: Susanne Bier Drehbuch: Anders Thomas Jensen Kamera: Michael Snyman Darsteller: Nikolaj Coster-Waldau, Maria Bonnevie, Ulrich Thomsen, Nikolaj Lie Kaas u.a. |
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Darf man Schicksal korrigieren? lautet die große Frage des Films |
Jede Entscheidung hat Konsequenzen, wobei manche gravierender ausfallen als andere. Interessant sind für Literatur und Kino vor allem die drastischen, nicht absehbaren Folgen einer unüberlegten Handlung. Und damit der Abgrund, der sich ganz plötzlich vor den Figuren auftut. Unter diesen Vorzeichen steht auch das programmatisch betitelte Thrillerdrama Zweite Chance, mit dem die preisgekrönte Regisseurin Susanne Bier einmal mehr ihrer Vorliebe für wuchtige, emotionsgeladene Familiengeschichten nachgeht. Tauchte sie in der kontrovers aufgenommenen Bestselleradaption Serena noch in die Zeit der Großen Depression der 1930er Jahre ein, widmet sie sich nun wieder der Gegenwart.
Susanne Bier und Drehbuchautor Anders Thomas Jensen lassen in ihrer mittlerweile sechsten Zusammenarbeit grundverschiedene Welten aufeinanderprallen. Da ist der rechtschaffene und fürsorgliche Polizist Andreas (Nikolaj Coster-Waldau), ein attraktiver Mann, der mit seiner Ehefrau Anna (Maria Bonnevie) und ihrem erst wenige Wochen alten Baby in einem geräumigen Haus samt Meerblick lebt. Deren Gegenpart bildet das junge Junkie-Pärchen Tristan (Nikolaj Lie Kaas) und Sanne (May Andersen), das in einer heruntergekommenen Wohnung haust und Sohn Sofus schwer vernachlässigt, wie Andreas bei einem Routineeinsatz feststellt. Da der Säugling jedoch weder unterernährt noch krank ist, können die staatlichen Stellen wenig ausrichten. Als kurze Zeit später ganz unerwartet das Kind des Polizeibeamten stirbt und Anna in eine regelrechte Schockstarre verfällt, lässt sich Andreas zu einer folgenreichen Tat hinreißen. Noch in derselben Nacht dringt er in die Wohnung von Tristan und Sanne ein und tauscht ihr verwahrlostes Kind gegen das tote Baby aus.
Ein krasser Wendepunkt, der das Publikum auf eine harte Probe stellt. Und den Film zum Scheitern verurteilt, sofern man nicht bereit ist, Andreas' Kurzschlussreaktion zu akzeptieren. Obwohl seine Handlung letztlich vollkommen absurd ist, geschieht sie aus einer traumatischen Extremerfahrung heraus, was sie zumindest ansatzweise nachvollziehbar macht. Problematisch und unangenehm ist dennoch, auf welche Art und Weise Susanne Bier den Kindesraub inszeniert. Schließlich müssen wir dem Protagonisten dabei zusehen, wie er seinen verstorbenen Sohn mit Fäkalien beschmiert, damit ihn das Junkie-Pärchen für den eigenen Säugling hält.
Übel aufstoßen können dem Betrachter sicher auch die (zunächst) sehr einseitigen Milieuschilderungen: hier das perfekte, in warme Farben getauchte bürgerliche Familienidyll, dort die graue, kalte und schmutzstarrende Welt der Unterschicht. Eine klischeegetränkte Darstellung, die der Film allerdings mit zunehmender Dauer konterkariert. Gibt es zu Beginn höchstens kleine Anzeichen dafür, dass im Leben von Andreas und Anna nicht alles in bester Ordnung ist, bricht die schöne Fassade nach dem Austausch der Babys rasch in sich zusammen. Ohne Rücksicht auf die anfängliche Sympathieverteilung treiben Regie und Drehbuch ihre Figuren in einen Abwärtsstrudel, der mitunter schwer erträglich ist und die Frage nach Recht und Unrecht wiederholt problematisiert. Seelische Untiefen scheinen auf. Und eine tragische Dimension wird ersichtlich, die nachhaltig erschüttern dürfte – vorausgesetzt, man hat sich nicht schon vorher aus der Geschichte ausgeklinkt.
Eindringlich gerät der unbequeme Film trotz Überzeichnungen auch deshalb, weil Susanne Bier ihren Protagonisten immer wieder auf die Pelle rückt. Sie aus nächster Nähe einfängt. Und so ihre Verletzlichkeit, ihre Verunsicherung und ihre Trauer offenlegt. Kontrastiert werden die Nahaufnahmen von Körpern und Gesichtern mit Landschaftsbildern, die eine trügerische Ruhe vermitteln. Ähnlich wie die dampfenden Wälder im historischen Melodrama Serena, das auf einen drastischen Schlusspunkt hinausläuft. Im Gegensatz dazu offeriert die dänische Filmemacherin in Zweite Chance einen finalen Hoffnungsschimmer, der noch einmal unterstreicht, dass nicht alles so sein muss, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Angesichts der unerbittlichen Handlungsentwicklung wirken die letzten Bilder allerdings eine Spur zu versöhnlich.