Zwischen uns das Leben

Hors-saison

Frankreich 2023 · 116 min. · FSK: ab 12
Regie: Stéphane Brizé
Drehbuch: ,
Kamera: Antoine Héberlé
Darsteller: Guillaume Canet, Alba Rohrwacher, Sharif Andoura, Emmy Boissard-Paumelle, Lucette Beudin u.a.
Kurz mal an der Küste durchatmen
(Foto: Alamode)

Küsse bei schlechtem Wetter

Stéphane Brizés Hors-saison zeichnet eine Momentaufnahme über die Versäumnisse des Lebens

»Du nimmst. Du wirfst weg. Du verschwin­dest.« Alice und Mathieu waren einmal ein Liebes­paar, das sich vor vielen Jahren ungut getrennt hat. Wie das im Leben so ist. Jetzt haben sie sich mehr oder minder zufällig wieder­ge­troffen, sitzen in einem Café an der verreg­neten Bretagne-Küste. Mathieu, mitt­ler­weile ein berühmter Film­schau­spieler, ist auf Kur in diesem Urlaubsort, der in der Nach­saison – so der Origi­nal­titel: Hors-saison – besonders gesichtslos ist. Die Hotel­mit­ar­bei­te­rinnen machen Selfies mit ihm, die Anwe­sen­heit des Stars, von dessen neuesten Projekten die Hoch­glanz­ma­ga­zine berichten, spricht sich in dem kleinen Ort schnell herum. Uner­wartet bekommt er eines Tages einen Anruf von Alice, die in dem Ort lebt.

Während das Wetter immer schlechter, der Himmel immer grauer wird, ist das luxuriöse Hotel, in dem Mathieu seine Tage mit Massage- und Ruhe-Behand­lungen verbringt, so leer­ge­fegt wie die Strände im Regen und Sturm. Die Tage verstrei­chen ohne besondere Vorkomm­nisse, das lässt Raum für viel Nach­denken. Mathieu (mit Grübchen: Guillaume Canet) hat einen Burnout erlitten und macht eine tiefe Krise durch. Er hat panik­artig die Proben zu einem Thea­ter­s­tück verlassen, zum ersten Mal hatte er Angst vor dem Scheitern bekommen. Er, der Film­schau­spieler, sollte auf einer Bühne stehen, in einem Auftritt ohne »Cut«, ohne schmei­chelnden Licht­ein­satz, ohne kurze Dialog­zeilen. Was wäre, wenn er dem nicht standhält? Wenn die Maske fiele? Wenn heraus­käme, dass er eigent­lich gar kein guter Schau­spieler ist, nur eben telegen und mit einem Körper, der sich gut in die Posen werfen kann? Die Angst vor dem Scheitern gerät für Mathieu zu einer tiefen Sinnkrise in der Mitte des Lebens, bevor das Altern so richtig beginnt.

Spie­gel­bild­lich Alice. Sie wollte Pianistin werden, dann kamen der Ehemann, die Kinder, das Haus, sie steckt jetzt als Klavier­spie­lerin in einem Senio­ren­heim fest. Dabei hat sie immer noch Träume, sie kompo­niert, Mathieu darf sich was von ihrem Handy anhören, zeigt sich aber Kultur­ba­nausen-mäßig etwas amüsiert gegenüber der Hobby-Kompo­nistin. Alba Rohr­wa­cher spielt Alice mit einer offen­her­zigen Energie, mit stiller Verletzt­heit, ihr Schau­spiel tut dem Film gut und verleiht ihm immer wieder glaub­hafte, stille Emotionen.

Stéphane Brizés Zwischen uns das Leben will ein zutiefst zärt­li­cher Film über die Versäum­nisse im Leben sein – tappt aber leider in viele klischee­hafte Darstel­lungen und Rollen­bilder. Der erfolgs­ver­wöhnte Schau­spieler, der Angst vor dem Live-Auftritt hat. Die gütige, geschei­terte Pianistin, die im Altenheim die Seelen der Senioren rettet. Das ist zwar wohlfeil, aber als Konstrukt etwas holz­schnitt­artig: Erfolg (aber Talent­lo­sig­keit) macht kalt – Mathieu ist umgeben vom Kalkweiß der Hotel­zimmer und den Tele­fo­naten mit seiner Frau und Managerin, die ihm rät, wieder auf ein kommer­zi­elles Drehbuch zu setzen. Talent (aber Erfolg­lo­sig­keit) macht warm – Alice ist die perso­ni­fi­zierte Kümmer­frau, neben ihrem Mann, Sohn, Klavier­schü­lern und Senioren nimmt sie sich keinen Platz für sich selbst.

Trotz aller Konstru­iert­heit aber nimmt Brizés Film gerade noch die Kurve. Zwischen uns das Leben vibriert tatsäch­lich in vielen Momenten durch das intensive Zusam­men­spiel von Alba Rohr­wa­cher, die derzeit auch in La Chimera ihrer Schwester Alice Rohr­wa­cher zu sehen ist, und dem oft als Charmeur gecas­teten Guillaume Canet, die in diesem Film intime Nähe ausstrahlen darf. Das farb­ent­sät­tigte Szenen­bild – weiße Hotel­räume, weiße Strände, grauer Himmel – verbild­licht, was das verflos­sene Liebes­paar nicht ausspre­chen will: das Leben, das sie nicht gemeinsam verbracht haben und das nun zwischen ihnen steht, hat ihnen die ganze Kraft genommen, hat sie ausge­saugt wie ein hinter­häl­tiger Vampir, dessen Attacke sie nicht bemerkt hatten. Das ist der Burnout von ihm und seine Sucht nach Erfolg, bei ihr die Bitter­keit und selbst­lose Aufop­fe­rung. Sie werden sich einig: Gegen ihre beider­sei­tige Melan­cholie kann nur helfen, für immer ins eigene Leben zurück­zu­kehren und nie, nie wieder zurück­zu­bli­cken. Aber nicht, damit wie bei Orpheus die Geliebte bleiben kann und das Leben umge­krem­pelt wird. Sondern damit sie sich für immer vergessen und im alten Trott weiter­leben können.

So bleibt die kurze Pause im Leben am Ende doch nur ein Moment der Auszeit, lässt aber kurz doch sehr verlo­ckend das große »Was wäre gewesen, wenn…« als Utopie eines anderen, besseren Lebens aufscheinen. Dass die Figuren keine Konse­quenzen daraus ziehen, macht den Film dann wieder sehr realis­tisch: Wird doch auch im realen Leben viel Kraft dafür aufge­wendet, dass alles bleibt, wie es ist.