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Berlinale 2000 11.2.2000
 
 

Anfänge & Abgründe
Notizen von der Berlinale, 2.Folge

Wim Wenders bei der Arbeit
 
 
 
 

Noch einmal kehrte die Berlinale am Mittwochabend zurück in ihre alte Heimat. Zum Eröffnungsempfang des Regierenden Bürgermeisters Diepgen traf man sich im Intercontinental, einem der Zentren des alten Festvals. Großer Saal, großes Buffet, gelassene Atmosphäre - nichts von Provinz, dem Rang des zweitgrößten Filmfestivals der Welt durchaus würdig. Da kann es einem passieren, dass man sich gerade noch nach der Begleiterin von Michael Naumann umguckt, und einem plötzlich Jurypräsidentin Gong Lee über den Weg läuft - dick weiß gepudert, die Dame leidet offensichtlich noch unter Jet Lag. Wim Wenders kam mit Frau Donata und seiner Hauptdarstellerin Milla Jovovich. Außerdem auch Sophie Marceau, Supermodel Naomi Campbell. U2-Star Bono, der die Idee zum Wenders-Film lieferte, hat sie mitgebracht.
Und dann noch die üblichen Verdächtigen der deutschen Filmszene: Schauspielerinnen Maria Schrader und Juliane Köhler, im letzten Jahr gemeinsam preisgekrönt, Senta Berger mit Mann Michael Verhoeven, Regisseure Rainer Kauffmann, Romuald Karmaker und viele mehr.

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"Ihr Deutschen schreibt immer den Wenders kaputt" meint die erfahrene französische Kollegin Jacqueline nach der in allem Wohlwollen doch sehr verhaltenen Reaktion der Kritiker auf dessen Eröffnungsfilm. Da kann man nur antworten: "Und die Franzosen schreiben ihn immer hoch."

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Der Umzug läßt manche übermütig werden: "Die Zeit der Rückblicke ist vorbei" erklärt Staatsminister Naumann. Kurz zuvor hatte Bundespräsident Rau noch an die von den Nazis vertriebenen Künstler erinnert, nicht ganz unpassend an einem Ort, der sich mit den Namen von Marlene Dietrich und Billy Wilder schmückt. Und überhaupt: beschwört nicht gerade Naumann gerne bei anderen Gelegenheiten das Wiederanknüpfen an verlorene Traditionen? Berlin 2000 hat offenbar noch Orientierungsprobleme.

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Erst der zweite Berlinale-Tag und schon öffnen sich die ersten Abgründe: Bei der Pressekonferenz zu "Three Kings" (außer Konkurrenz im Wettbewerb) redez George Clooney ausgiebig über Penislängen und deren tiefere Bedeutung. Dem kaum entronnen wieder im Kino sitzend, hört man dort einen Kollegen neben sich laut erzählen: "Ich bin schon besoffen, ich war gerade auf dem Kinderfilmfest". Wenn's bereits so losgeht &

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Im Wettbewerb: "Boys Choir, ein Erstlingsfilm des Japaners Akira Ogata. Eine anthropologische Studie mit tieferer, gesellschaftlicher Bedeutung. Sexuell eher verklemmt, was Kollegen auf die japanische Kultur zurückführen. Aber starke Bilder, die stimmig geschnitten mit der Musik eine Einheit bilden. Ein guter, vor allem interessanter Film, der die Mühe des Zuschauers belohnt. Und einen Chor, der auf japanisch die "Don Kosaken" singt, hat man auch nicht alle Tage gehört.

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Was für ein Debüt: In der ersten Szene von "Die Puppe", dem allerersten Film von Ernst Lubitsch (1919) tritt niemand anders auf, als - der Meister selbst. Wie ein Zauberer öffnet er eine Kiste, aus wenigen Bauklötzen entsteht eine Spielzeuglandschaft. Zwei Figuren setzt Lubitsch selbst ins Haus hinein, dann kann der Film beginnen. Der Regisseur als Puppenspieler - kann es ein besseres Bild geben? Und Lubitsch zieht schon in den ersten Sekunden seiner Karriere alle Register &

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Die Zuschauer im nur halb besetzen Saal hatten Glück. Dort lief in der Jeanne Moreau-Reihe "Zaide", gedreht 1998 (Regie Josée Dayan). Ganz überraschend tauchte der Ehrengast persönlich im Kino auf. Charmant, souverän plauderte sie ein wenig, gab sogar zwei vorwitzigen Fans die Hand. Die 72jährige wirkt mindestens zehn Jahre jünger, ihre Augen strahlen wie die einer Zwanzigjährigen. Gute Beleuchtung tut ein übriges, um den Eindruck zu verstärken: ein Star, bescheiden und trotzdem zwei Nummern größer als fast alles, was man hier sonst so erlebt. Den Eindruck kann auch der Film nicht mehr verwischen, leider nur ein flauer Abklatsch früherer Moreau-Erfolge. Denn lange, ruhige Einstellungen erlaubten noch einmal eine genauen Blick in ihr Gesicht.

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Noch ein Karrierestart: Der 26jährige Robert de Niro 1969 in seinem ersten größeren Film, "Hi Mom" von Brian DePalma. Das wilde Undergroundstück der beiden Italoamerikaner, die ihre Karriere gemeinsam begannen, ist eine Glanzleistung. De Niro wird viel erlaubt und bereits alles gelingt ihm. Weil er in dieser scharfen Satire auf den US-Alltag einen Voyeur und eine Art multible Persönlichkeit spielt, die sich zwischen spießigem Familienalltag und Verführer, zwischen Vivaldi-Hören und Stadtguerrilla nicht entscheiden kann, erlebt man dieses Schauspielgenie in der ganzen Spannbreite seines Könnens. Und in Rollen, in denen man ihn danach nie wieder sah. Leider.

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Zwei weitere Filme im Wettbewerb: "The Island Tales" von Stanley Kwan, der hier vor ein paar Jahren mit "Hold You tight" einen Bären gewann, wird ein ziemlicher Reinfall. Ganz hübsche Bilder, aber doch kaum besser, als ein Clip auf MTV. Nichtssagende Dialoge und konfus übereinandergehäufte Episoden - das ist zumindest der erste Eindruck. Vielleich fällt uns ja demnächst noch mehr ein.

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Weitaus besser dagegen "Signs and Wonders" mit dem sich Jonathan Nossiter in mancher Hinsicht auf die Spuren Lars von Triers begibt. Charlotte Rampling und Stellan Starsgard spielen die Hauptrollen. Mehr dazu demnächst.

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Am Freitagabend dann die Pressekonferenz mit Jeanne Moreau. Nachher bekommt sie den Ehren-Bären für ihr Lebenswerk. Ausgesucht hat sie sich dafür Tony Richardsons "Mademoiselle", damals ein Skandalfilm, "der überhaupt nicht erfolgreich war". Sonst gibt sich die Moreau charmant und höflich, distanziert, europäisch eben. Leider keine Anekdotenerzählerin, wie voriges Jahr Shirley MacLaine. Mal schauen, ob sie Artechock morgen im Exclusivinterview mehr erzählt &

Rüdiger Suchsland

 

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