Noch einmal kehrte die Berlinale am Mittwochabend zurück
in ihre alte Heimat. Zum Eröffnungsempfang des Regierenden
Bürgermeisters Diepgen traf man sich im Intercontinental,
einem der Zentren des alten Festvals. Großer Saal, großes
Buffet, gelassene Atmosphäre - nichts von Provinz, dem Rang
des zweitgrößten Filmfestivals der Welt durchaus würdig. Da
kann es einem passieren, dass man sich gerade noch nach der
Begleiterin von Michael Naumann umguckt, und einem plötzlich
Jurypräsidentin Gong Lee über den Weg läuft - dick weiß gepudert,
die Dame leidet offensichtlich noch unter Jet Lag. Wim Wenders
kam mit Frau Donata und seiner Hauptdarstellerin Milla Jovovich.
Außerdem auch Sophie Marceau, Supermodel Naomi Campbell. U2-Star
Bono, der die Idee zum Wenders-Film lieferte, hat sie mitgebracht.
Und dann noch die üblichen Verdächtigen der deutschen Filmszene:
Schauspielerinnen Maria Schrader und Juliane Köhler, im letzten
Jahr gemeinsam preisgekrönt, Senta Berger mit Mann Michael
Verhoeven, Regisseure Rainer Kauffmann, Romuald Karmaker und
viele mehr.
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"Ihr Deutschen schreibt immer den Wenders kaputt" meint
die erfahrene französische Kollegin Jacqueline nach der in
allem Wohlwollen doch sehr verhaltenen Reaktion der Kritiker
auf dessen Eröffnungsfilm. Da kann man nur antworten: "Und
die Franzosen schreiben ihn immer hoch."
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Der Umzug läßt manche übermütig werden: "Die Zeit der Rückblicke
ist vorbei" erklärt Staatsminister Naumann. Kurz zuvor hatte
Bundespräsident Rau noch an die von den Nazis vertriebenen
Künstler erinnert, nicht ganz unpassend an einem Ort, der
sich mit den Namen von Marlene Dietrich und Billy Wilder schmückt.
Und überhaupt: beschwört nicht gerade Naumann gerne bei anderen
Gelegenheiten das Wiederanknüpfen an verlorene Traditionen?
Berlin 2000 hat offenbar noch Orientierungsprobleme.
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Erst der zweite Berlinale-Tag und schon öffnen sich die ersten
Abgründe: Bei der Pressekonferenz zu "Three Kings" (außer
Konkurrenz im Wettbewerb) redez George Clooney ausgiebig über
Penislängen und deren tiefere Bedeutung. Dem kaum entronnen
wieder im Kino sitzend, hört man dort einen Kollegen neben
sich laut erzählen: "Ich bin schon besoffen, ich war gerade
auf dem Kinderfilmfest". Wenn's bereits so losgeht &
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Im Wettbewerb: "Boys Choir, ein Erstlingsfilm des Japaners
Akira Ogata. Eine anthropologische Studie mit tieferer, gesellschaftlicher
Bedeutung. Sexuell eher verklemmt, was Kollegen auf die japanische
Kultur zurückführen. Aber starke Bilder, die stimmig geschnitten
mit der Musik eine Einheit bilden. Ein guter, vor allem interessanter
Film, der die Mühe des Zuschauers belohnt. Und einen Chor,
der auf japanisch die "Don Kosaken" singt, hat man auch nicht
alle Tage gehört.
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Was für ein Debüt: In der ersten Szene von "Die Puppe", dem
allerersten Film von Ernst Lubitsch (1919) tritt niemand anders
auf, als - der Meister selbst. Wie ein Zauberer öffnet er
eine Kiste, aus wenigen Bauklötzen entsteht eine Spielzeuglandschaft.
Zwei Figuren setzt Lubitsch selbst ins Haus hinein, dann kann
der Film beginnen. Der Regisseur als Puppenspieler - kann
es ein besseres Bild geben? Und Lubitsch zieht schon in den
ersten Sekunden seiner Karriere alle Register &
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Die Zuschauer im nur halb besetzen Saal hatten Glück. Dort
lief in der Jeanne Moreau-Reihe "Zaide", gedreht 1998 (Regie
Josée Dayan). Ganz überraschend tauchte der Ehrengast persönlich
im Kino auf. Charmant, souverän plauderte sie ein wenig, gab
sogar zwei vorwitzigen Fans die Hand. Die 72jährige wirkt
mindestens zehn Jahre jünger, ihre Augen strahlen wie die
einer Zwanzigjährigen. Gute Beleuchtung tut ein übriges, um
den Eindruck zu verstärken: ein Star, bescheiden und trotzdem
zwei Nummern größer als fast alles, was man hier sonst so
erlebt. Den Eindruck kann auch der Film nicht mehr verwischen,
leider nur ein flauer Abklatsch früherer Moreau-Erfolge. Denn
lange, ruhige Einstellungen erlaubten noch einmal eine genauen
Blick in ihr Gesicht.
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Noch ein Karrierestart: Der 26jährige Robert de Niro 1969
in seinem ersten größeren Film, "Hi Mom" von Brian DePalma.
Das wilde Undergroundstück der beiden Italoamerikaner, die
ihre Karriere gemeinsam begannen, ist eine Glanzleistung.
De Niro wird viel erlaubt und bereits alles gelingt ihm. Weil
er in dieser scharfen Satire auf den US-Alltag einen Voyeur
und eine Art multible Persönlichkeit spielt, die sich zwischen
spießigem Familienalltag und Verführer, zwischen Vivaldi-Hören
und Stadtguerrilla nicht entscheiden kann, erlebt man dieses
Schauspielgenie in der ganzen Spannbreite seines Könnens.
Und in Rollen, in denen man ihn danach nie wieder sah. Leider.
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Zwei weitere Filme im Wettbewerb: "The Island Tales" von
Stanley Kwan, der hier vor ein paar Jahren mit "Hold You tight"
einen Bären gewann, wird ein ziemlicher Reinfall. Ganz hübsche
Bilder, aber doch kaum besser, als ein Clip auf MTV. Nichtssagende
Dialoge und konfus übereinandergehäufte Episoden - das ist
zumindest der erste Eindruck. Vielleich fällt uns ja demnächst
noch mehr ein.
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Weitaus besser dagegen "Signs and Wonders" mit dem sich Jonathan
Nossiter in mancher Hinsicht auf die Spuren Lars von Triers
begibt. Charlotte Rampling und Stellan Starsgard spielen die
Hauptrollen. Mehr dazu demnächst.
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Am Freitagabend dann die Pressekonferenz mit Jeanne Moreau.
Nachher bekommt sie den Ehren-Bären für ihr Lebenswerk. Ausgesucht
hat sie sich dafür Tony Richardsons "Mademoiselle", damals
ein Skandalfilm, "der überhaupt nicht erfolgreich war". Sonst
gibt sich die Moreau charmant und höflich, distanziert, europäisch
eben. Leider keine Anekdotenerzählerin, wie voriges Jahr Shirley
MacLaine. Mal schauen, ob sie Artechock morgen im Exclusivinterview mehr erzählt &
Rüdiger Suchsland
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