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Jetzt hat er also schon wieder ausgebrummt, der Bär
(während der Schädel noch etwas brummt von all den
Filmen). Wurde vergeben und ist bald wieder vergessen. Aber
doch bitte nicht, ohne allen Beteiligten den gebührenden
Dank abgestattet zu haben.
Der Jury z.B. wurde von den Preisgeehrten schon viel gedankt,
aber das wesentliche "Danke! Danke!! Danke!!!" war
noch nicht zu hören - nämlich dafür, dass sie
den Goldenen Bären nicht an den langweiligen Thesenfilm
TRAFFIC vergeben hat, wie zu befürchten war.
Ein tiefempfundenes "Wäre doch nicht nötig
gewesen!" hingegen geht an Patrice Chereau für seinen
Siegerfilm INTIMACY. Der Sesamstrassen-Faktor ("Wieso,
weshalb, warum?") blieb mir bei dem gänzlich ungeklärt
- aber der Streifen hat mir dafür die erholsamste halbe
Stunde Schlaf des ganzen Festivals beschert. Wenn ich höflich
und besonnen wäre, würde ich sagen: Einfach nicht
meine Art von Kino; einfach in der falschen Stimmung gewesen.
Will aber nicht höflich sein und sage: Zeitverschwendung,
elendige.
Nicht minder tiefempfundenen, wahren Dank hingegen an Michael
Winterbottom, dessen THE CLAIM auch ohne Tierstatue der eigentliche
Gewinner des Wettbewerbs war: Ganz, ganz großes Melodram
in atmosphärisch ungemein dichter, sinnlicher Bild-Umhüllung
und zugleich ein sehr scharfes Nachdenken über Zivilisation
und, nun ja, Traffic in jeder Hinsicht - Verkehr von Waren,
Menschen, Gütern, Geld.
Dass Undank der Welten Lohn ist, musste nicht nur der preislose
Winterbottom erfahren, sondern auch Jean-Jacques Annaud. Dabei
hätte man ohne sein ENEMY AT THE GATES (dessen Verherungsgrad
ich nicht im Selbstversuch überprüft habe) ja gar
nicht gewusst, worüber die ersten zwei, drei Tage reden
und schreiben. Deswegen doch noch ein vereinzeltes "Merci".
Und den wenigen Stars, die kamen, wurde allerlei Dank- und
Ehrbekundung zuteil - was aber mit all jenen, die wegblieben
und uns so eine recht gemütlich-glamourfreie Berlinale
bescherten, auf der man sich ganz auf die Filme statt auf
kreischende Fanhorden konzentrieren konnte? Da muss doch noch
ein "Thank you!" ertönen.
Wobei ja doch mehr Stars da waren, als gemeinhin bemerkt wurde.
Da saß zum Beispiel der große Rod Steiger (anläßlich
seines kleinen Auftritt in Dieter (YELLO) Meiers LIGHTMAKER)
in der Pressekonferenz vor einem verlorenen Häuflein
Journalisten und meinte angesichts des zunächst arg gebremsten
Fragestroms "I flew all the way here from California
and nobody says a goddamn word". Dann aber hielt er doch
recht stilvoll Hof - und minutenlange Monologe über die
Kunst des Schauspiels, ganz so, wie man ihn von der Leinwand
kennt - bullig, einschüchternd, mit Stahl im Blick und
zugleich verletzlicher, einfühlsamer Intelligenz.
Überhaupt, Pressekonferenzen und Publikumsdiskussionen:
Was wären die ohne jene Menschen, die ohne Rücksicht
auf das eigene Ansehen zum allgemeinen Gaudium die peinlichsten
Auftritte hinlegen. Der Herr beispielsweise, der partout nicht
aufhören wollte, Steven Soderbergh durch Zwischenrufe
davon zu überzeugen, dass nicht etwa Godards À
BOUT DE SOUFFLE der erste quasi-Dogma-Film sei, sondern Stanley
Kubricks ÜBER DEN DÄCHERN VON NEW YORK (welchen
Kubrick er damit auch immer gemeint haben mag - wohl KILLER'S
KISS). "Stanley Kubrick! Stanley Kubrick!! ÜBER
DEN DÄCHERN VON NEW YORK!" "Jetzt sei doch
mal wieder still." "Nein, nein. Ich bin sicher,
er weiß das: Stanley Kubrick! ÜBER DEN DÄCHERN
VON NEW YORK! Stanley Kubrick!!" Soderbergh: "Well,
there's also Jules Dassin..." "STANLEY KUBRICK!!!".
Oder die Dame, die beim deutsch geführten Gespräch
zu LIGHTMAKER meinte, auf Englisch fragen zu müssen,
weil der Film eben auf Englisch lief - obwohl sie Deutsche
war und Englisch nicht in verständlicher Weise zu sprechen
in der Lage. Wie sich dann aber herausstellte, waren die Fragen
auch auf Deutsch etwas wirr...
Ihnen allen dicke Remerciments!
Muchas gracias hingegen an all jene, die dafür gesorgt
haben, dass der unvermeidliche Raubbau am Journalistenkörper
(mit Schlafmangel, Lichtscheu, Rückgratverkrümmung)
für Festivalverhältnisse maßvoll ausfiel.
Endlich einmal sinnvolles Sponsoring: Ein bekannter französischer
Mineralwasserfabrikant stellte im Pressezentrum sein Produkt
- in handliche Fläschen gefüllt und erfrischend
gekühlt - zur Benetzung der Berichterstatter-Kehlen kostenlos
zur Verfügung und verhinderte so zweifelsohne unzählige
Fälle von Dehydration. Einzige Bitte: Wenn man dann nächstes
Jahr noch Feinkost Käfer gewinnen könnte, mit einem
rund-um-die-Uhr Presse-Buffet oder so... (Auch wenn das für
den armen Asia-Imbiss in den Potsdamer Platz-Arkaden empfindliche
Umsatzeinbußen bedeuten würde.)
Mit weniger finanziellem, aber großem persönlichen
Einsatz hingegen war ein italienischer Kollege am Werk, der
mir (unwissend) in der S-Bahn drastisch warnend die verherenden
Folgen übermäßigen Filmkonsums vorführte:
Wie ein Roberto Benigni-Imitator gschaftelte er durch den
Zug, trug seine Koffer und Taschen vor und zurück, fragte
gepäcküberladen und schwitzend alle zwei Minuten,
ob denn der Zug wirklich zum Zoologischen Garten führe,
erzählte ungefragt radebrechend in einer Mischung aus
Deutsch, Englisch, Italienisch allen, dass er von der Berlinale
käme und 22 Filme gesehen habe (selbst war ich zu dem
Zeitpunkt etwa beim Doppelten) und verpasste dann ob Konfusion
und Gepäckmenge doch noch den rechtzeitigen Ausstieg.
Ich habe an dem Tag ein paar Filme ausfallen lassen und bin
spaziern gegangen.
Ach ja, gutes Stichwort: Filme. Darum ging's ja auch. Wollte
ich dann nicht ganz vergessen, mich vor all jenen verneigt
zu haben, die mir ein bis zweieinhalb begeisternde Stunden
bescherten. Über ein paar davon habe ich mich ja schon
letzte Woche ausgelassen: ITALIENSK
FOR BEGYNDERE, WIT, THE TAILOR OF PANAMA, JOINT SECURITY AREA.
THE CLAIM (insgesamt mein Festivalfavorit) habe ich oben schon
in zaghaften Ansätzen besungen; im Wettbewerb wäre
dann noch Catherine Breillats À MA SOEUR! besonders
zu loben - gewiss kein angenehmer Film, aber einer, der in
manchen Momenten den Blick so knallhart auf die Wahrheit hält,
dass es einem friert. Und einer, der in bloßen Worten
Grausamkeiten findet, die ungleich schlimmer sind als das
harmlose grand guignol von HANNIBAL, das solch unsinnige
Diskussionen auslöste. (Zwischengeschoben sei hier auch
ein besonderer Dank an einen Kritiker des Tagesspiegel, der
im Festivalresumé HANNIBAL zum Flop erklärte mit
der Begründung: "Die Darstellung der menschenfressenden
Wildschweine ist aufs schärfste zu verurteilen!"
Ein Klassiker fürs Poesiealbum! Aber Recht hat der Mann:
Die Darstellung ist wirklich sehr diskriminierend für
menschenfressende Wildschweine - ganz zu schweigen von der
Gefahr, dass das dann wieder alle möglichen Hausschweine
sehen und nachahmen...)
Auch französischsprachig, auch (unter anderem) von der
Schwierigkeit des Zwischenmenschlichen handelnd, aber wesentlich
sinnenfroher als der Breillat-Film: LE ROI DANSE von Gérard
(FARINELLI) Corbiau. Ein opulenter Film über Politik,
Sex, Kunst und deren Zusammenhang, vorgeführt an der
Geschichte von Jean-Baptiste Lully, Ludwig XIV. und Molière
- berauschend nicht zuletzt dadurch, dass Reinhard Goebels
"Musica antiqua" sich von dem Film zu einem dermaßen
packenden, lebendigen, kraftvollen Spiel inspirieren haben
lassen, wie man es bei herkömmlichen Lully-Aufnahmen
nur selten zu hören bekommt.
Bei den Asiaten musste ich dieses Jahr länger als gewohnt
suchen, bis die wahren Highlights gefunden waren - zwar war
viel amüsantes, überdrehtes, gediegenes Kino dabei,
aber die echten Rausreißer waren spärlicher gesät.
THE FOUL KING war dann so einer - mit der vergnüglichste
Film der ganzen Berlinale: Ein schüchterner koreanischer
Büroangestellter wird zum fiesen Profi-Wrestler. Viele
Gags, gutes Tempo, perfektes Timing, koreanisches Wrestling
- was will man mehr...
Filmische Experimentierfreude, coole Stilsicherheit, Spiel
mit den Genre-Konventionen? Gab's bei JIANG HU - THE TRIAD
ZONE, dem stärksten Hong-Kong-Beitrag, der sich leider
mit einem längeren Durchhänger gegen Ende die Chance
verscherzte, mein Film des Festivals zu werden.
Viel zurückhaltender als diese Streifen hingegen der
japanische SORO NO ANA (HOLE IN THE SKY) - ein wortkarger,
lakonischer (und immer wieder witzig) Film über eine
möglicherweise große Liebe, die irgendwann anfängt
und irgendwann aufhört und die Menschen doch nicht aus
ihrem Alleinsein reißen kann.
ALAI PAYUTHEY (WAVES) hatte schon mehr Optimismus zu bieten
- die Liebe durfte am Ende triumphieren, allerdings erst,
nachdem der Protagonist durch schwere Prüfung eingesehen
hat, dass sie etwas wesentlich anderes und selbstloseres ist
als Verliebtheit. Schade, dass dieses grandiose Melo das einzige
Bollywood-Musical der Berlinale blieb - warum dieses Misstrauen
gegen Genre-Kino? So großartig und bewegend wie ALAI
PAYUTHEY war sonst kaum ein Film in den anderthalb Wochen,
so durch und durch wahres, echtes, pures Kino. Warum dann
aus Indien immer lieber Bildungsbürger-Sozialdramen und
Folklore als das pralle, geile Kommerz-Kino, das künstlerisch
mindestens eben so viel zu bieten hat. Aber nein: Genre-Filme
müssen wohl generell warten, bis sie fünfzig Jahre
alt sind und in den Retros und Hommagen als Klassiker laufen
dürfen...
Der vielleicht originellste Film des Festivals war dann aber
sowieso ganz wo anders zu finden: Unter den Dokus. Für
THE SWEETEST SOUND ist Alan Berliner, Alan Berliner, Allan
Berliner, Allen Berliner, Alain Berliner, Alan Berliner (das
könnte ich jetzt noch ein gutes Stückchen fortsetzen...)
gar nicht genug zu danken. Alan (NOBODY'S BUSINESS) Berliner
hat sich Gedanken über (seinen) Namen gemacht - und alle
anderen Alan Berliners zum Essen eingeladen, die er weltweit
auftreiben konnte. (Darunter auch Alain (MA VIE EN ROSE) Berliner.)
Um dieses Abendmahl für dreizehn Personen herum spinnt
er in einer bloßen Stunde einen flotten, witzigen, tiefgründigen
Essay über das, was Namen mit uns machen und wir mit
ihnen, über das, was es heißt, zu heißen.
Fast überflüssig zu sagen, dass es für diesen
Berliner-Film keinen besseren Premierenort geben konnte als
die Berlinale.
Einen Dank habe ich noch bis ganz zum Schluss aufgehoben.
Der geht an Regisseur und Hauptdarsteller von HOTOKE. Die
beiden - vom leicht überforderten Übersetzter etwas
im Stich gelassen und angesichts mancher Fragen eher ratlos
- lieferten die wohl lustigste Publikumsdiskussion dieses
Jahr. Sie kannten genau ein Wort Deutsch - und das diente
dann oft zwei, drei Minuten lang als Rettungsanker, wenn sie
nicht wussten, was sonst sagen: "Etto (japanisch für
"Äh..."), etto... DANKE!... DANKE!... DANKE!"
Thomas
Willmann
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