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Berlinale 2001 21.10.2001
 
 
Berlinale, sei gedankt!
Merci, Jury und anderes...
Namenstag: 13 Alan Berliners in THE SWEETEST SOUND
Namenstag: 13 Alan Berliners in THE SWEETEST SOUND
 
 
 
 

Jetzt hat er also schon wieder ausgebrummt, der Bär (während der Schädel noch etwas brummt von all den Filmen). Wurde vergeben und ist bald wieder vergessen. Aber doch bitte nicht, ohne allen Beteiligten den gebührenden Dank abgestattet zu haben.
Der Jury z.B. wurde von den Preisgeehrten schon viel gedankt, aber das wesentliche "Danke! Danke!! Danke!!!" war noch nicht zu hören - nämlich dafür, dass sie den Goldenen Bären nicht an den langweiligen Thesenfilm TRAFFIC vergeben hat, wie zu befürchten war.
Ein tiefempfundenes "Wäre doch nicht nötig gewesen!" hingegen geht an Patrice Chereau für seinen Siegerfilm INTIMACY. Der Sesamstrassen-Faktor ("Wieso, weshalb, warum?") blieb mir bei dem gänzlich ungeklärt - aber der Streifen hat mir dafür die erholsamste halbe Stunde Schlaf des ganzen Festivals beschert. Wenn ich höflich und besonnen wäre, würde ich sagen: Einfach nicht meine Art von Kino; einfach in der falschen Stimmung gewesen. Will aber nicht höflich sein und sage: Zeitverschwendung, elendige.
Nicht minder tiefempfundenen, wahren Dank hingegen an Michael Winterbottom, dessen THE CLAIM auch ohne Tierstatue der eigentliche Gewinner des Wettbewerbs war: Ganz, ganz großes Melodram in atmosphärisch ungemein dichter, sinnlicher Bild-Umhüllung und zugleich ein sehr scharfes Nachdenken über Zivilisation und, nun ja, Traffic in jeder Hinsicht - Verkehr von Waren, Menschen, Gütern, Geld.

Dass Undank der Welten Lohn ist, musste nicht nur der preislose Winterbottom erfahren, sondern auch Jean-Jacques Annaud. Dabei hätte man ohne sein ENEMY AT THE GATES (dessen Verherungsgrad ich nicht im Selbstversuch überprüft habe) ja gar nicht gewusst, worüber die ersten zwei, drei Tage reden und schreiben. Deswegen doch noch ein vereinzeltes "Merci".
Und den wenigen Stars, die kamen, wurde allerlei Dank- und Ehrbekundung zuteil - was aber mit all jenen, die wegblieben und uns so eine recht gemütlich-glamourfreie Berlinale bescherten, auf der man sich ganz auf die Filme statt auf kreischende Fanhorden konzentrieren konnte? Da muss doch noch ein "Thank you!" ertönen.
Wobei ja doch mehr Stars da waren, als gemeinhin bemerkt wurde. Da saß zum Beispiel der große Rod Steiger (anläßlich seines kleinen Auftritt in Dieter (YELLO) Meiers LIGHTMAKER) in der Pressekonferenz vor einem verlorenen Häuflein Journalisten und meinte angesichts des zunächst arg gebremsten Fragestroms "I flew all the way here from California and nobody says a goddamn word". Dann aber hielt er doch recht stilvoll Hof - und minutenlange Monologe über die Kunst des Schauspiels, ganz so, wie man ihn von der Leinwand kennt - bullig, einschüchternd, mit Stahl im Blick und zugleich verletzlicher, einfühlsamer Intelligenz.

Überhaupt, Pressekonferenzen und Publikumsdiskussionen: Was wären die ohne jene Menschen, die ohne Rücksicht auf das eigene Ansehen zum allgemeinen Gaudium die peinlichsten Auftritte hinlegen. Der Herr beispielsweise, der partout nicht aufhören wollte, Steven Soderbergh durch Zwischenrufe davon zu überzeugen, dass nicht etwa Godards À BOUT DE SOUFFLE der erste quasi-Dogma-Film sei, sondern Stanley Kubricks ÜBER DEN DÄCHERN VON NEW YORK (welchen Kubrick er damit auch immer gemeint haben mag - wohl KILLER'S KISS). "Stanley Kubrick! Stanley Kubrick!! ÜBER DEN DÄCHERN VON NEW YORK!" "Jetzt sei doch mal wieder still." "Nein, nein. Ich bin sicher, er weiß das: Stanley Kubrick! ÜBER DEN DÄCHERN VON NEW YORK! Stanley Kubrick!!" Soderbergh: "Well, there's also Jules Dassin..." "STANLEY KUBRICK!!!".
Oder die Dame, die beim deutsch geführten Gespräch zu LIGHTMAKER meinte, auf Englisch fragen zu müssen, weil der Film eben auf Englisch lief - obwohl sie Deutsche war und Englisch nicht in verständlicher Weise zu sprechen in der Lage. Wie sich dann aber herausstellte, waren die Fragen auch auf Deutsch etwas wirr...
Ihnen allen dicke Remerciments!

Muchas gracias hingegen an all jene, die dafür gesorgt haben, dass der unvermeidliche Raubbau am Journalistenkörper (mit Schlafmangel, Lichtscheu, Rückgratverkrümmung) für Festivalverhältnisse maßvoll ausfiel. Endlich einmal sinnvolles Sponsoring: Ein bekannter französischer Mineralwasserfabrikant stellte im Pressezentrum sein Produkt - in handliche Fläschen gefüllt und erfrischend gekühlt - zur Benetzung der Berichterstatter-Kehlen kostenlos zur Verfügung und verhinderte so zweifelsohne unzählige Fälle von Dehydration. Einzige Bitte: Wenn man dann nächstes Jahr noch Feinkost Käfer gewinnen könnte, mit einem rund-um-die-Uhr Presse-Buffet oder so... (Auch wenn das für den armen Asia-Imbiss in den Potsdamer Platz-Arkaden empfindliche Umsatzeinbußen bedeuten würde.)
Mit weniger finanziellem, aber großem persönlichen Einsatz hingegen war ein italienischer Kollege am Werk, der mir (unwissend) in der S-Bahn drastisch warnend die verherenden Folgen übermäßigen Filmkonsums vorführte: Wie ein Roberto Benigni-Imitator gschaftelte er durch den Zug, trug seine Koffer und Taschen vor und zurück, fragte gepäcküberladen und schwitzend alle zwei Minuten, ob denn der Zug wirklich zum Zoologischen Garten führe, erzählte ungefragt radebrechend in einer Mischung aus Deutsch, Englisch, Italienisch allen, dass er von der Berlinale käme und 22 Filme gesehen habe (selbst war ich zu dem Zeitpunkt etwa beim Doppelten) und verpasste dann ob Konfusion und Gepäckmenge doch noch den rechtzeitigen Ausstieg. Ich habe an dem Tag ein paar Filme ausfallen lassen und bin spaziern gegangen.

Ach ja, gutes Stichwort: Filme. Darum ging's ja auch. Wollte ich dann nicht ganz vergessen, mich vor all jenen verneigt zu haben, die mir ein bis zweieinhalb begeisternde Stunden bescherten. Über ein paar davon habe ich mich ja schon letzte Woche ausgelassen: ITALIENSK FOR BEGYNDERE, WIT, THE TAILOR OF PANAMA, JOINT SECURITY AREA. THE CLAIM (insgesamt mein Festivalfavorit) habe ich oben schon in zaghaften Ansätzen besungen; im Wettbewerb wäre dann noch Catherine Breillats À MA SOEUR! besonders zu loben - gewiss kein angenehmer Film, aber einer, der in manchen Momenten den Blick so knallhart auf die Wahrheit hält, dass es einem friert. Und einer, der in bloßen Worten Grausamkeiten findet, die ungleich schlimmer sind als das harmlose grand guignol von HANNIBAL, das solch unsinnige Diskussionen auslöste. (Zwischengeschoben sei hier auch ein besonderer Dank an einen Kritiker des Tagesspiegel, der im Festivalresumé HANNIBAL zum Flop erklärte mit der Begründung: "Die Darstellung der menschenfressenden Wildschweine ist aufs schärfste zu verurteilen!" Ein Klassiker fürs Poesiealbum! Aber Recht hat der Mann: Die Darstellung ist wirklich sehr diskriminierend für menschenfressende Wildschweine - ganz zu schweigen von der Gefahr, dass das dann wieder alle möglichen Hausschweine sehen und nachahmen...)
Auch französischsprachig, auch (unter anderem) von der Schwierigkeit des Zwischenmenschlichen handelnd, aber wesentlich sinnenfroher als der Breillat-Film: LE ROI DANSE von Gérard (FARINELLI) Corbiau. Ein opulenter Film über Politik, Sex, Kunst und deren Zusammenhang, vorgeführt an der Geschichte von Jean-Baptiste Lully, Ludwig XIV. und Molière - berauschend nicht zuletzt dadurch, dass Reinhard Goebels "Musica antiqua" sich von dem Film zu einem dermaßen packenden, lebendigen, kraftvollen Spiel inspirieren haben lassen, wie man es bei herkömmlichen Lully-Aufnahmen nur selten zu hören bekommt.

Bei den Asiaten musste ich dieses Jahr länger als gewohnt suchen, bis die wahren Highlights gefunden waren - zwar war viel amüsantes, überdrehtes, gediegenes Kino dabei, aber die echten Rausreißer waren spärlicher gesät. THE FOUL KING war dann so einer - mit der vergnüglichste Film der ganzen Berlinale: Ein schüchterner koreanischer Büroangestellter wird zum fiesen Profi-Wrestler. Viele Gags, gutes Tempo, perfektes Timing, koreanisches Wrestling - was will man mehr...
Filmische Experimentierfreude, coole Stilsicherheit, Spiel mit den Genre-Konventionen? Gab's bei JIANG HU - THE TRIAD ZONE, dem stärksten Hong-Kong-Beitrag, der sich leider mit einem längeren Durchhänger gegen Ende die Chance verscherzte, mein Film des Festivals zu werden.
Viel zurückhaltender als diese Streifen hingegen der japanische SORO NO ANA (HOLE IN THE SKY) - ein wortkarger, lakonischer (und immer wieder witzig) Film über eine möglicherweise große Liebe, die irgendwann anfängt und irgendwann aufhört und die Menschen doch nicht aus ihrem Alleinsein reißen kann.
ALAI PAYUTHEY (WAVES) hatte schon mehr Optimismus zu bieten - die Liebe durfte am Ende triumphieren, allerdings erst, nachdem der Protagonist durch schwere Prüfung eingesehen hat, dass sie etwas wesentlich anderes und selbstloseres ist als Verliebtheit. Schade, dass dieses grandiose Melo das einzige Bollywood-Musical der Berlinale blieb - warum dieses Misstrauen gegen Genre-Kino? So großartig und bewegend wie ALAI PAYUTHEY war sonst kaum ein Film in den anderthalb Wochen, so durch und durch wahres, echtes, pures Kino. Warum dann aus Indien immer lieber Bildungsbürger-Sozialdramen und Folklore als das pralle, geile Kommerz-Kino, das künstlerisch mindestens eben so viel zu bieten hat. Aber nein: Genre-Filme müssen wohl generell warten, bis sie fünfzig Jahre alt sind und in den Retros und Hommagen als Klassiker laufen dürfen...
Der vielleicht originellste Film des Festivals war dann aber sowieso ganz wo anders zu finden: Unter den Dokus. Für THE SWEETEST SOUND ist Alan Berliner, Alan Berliner, Allan Berliner, Allen Berliner, Alain Berliner, Alan Berliner (das könnte ich jetzt noch ein gutes Stückchen fortsetzen...) gar nicht genug zu danken. Alan (NOBODY'S BUSINESS) Berliner hat sich Gedanken über (seinen) Namen gemacht - und alle anderen Alan Berliners zum Essen eingeladen, die er weltweit auftreiben konnte. (Darunter auch Alain (MA VIE EN ROSE) Berliner.) Um dieses Abendmahl für dreizehn Personen herum spinnt er in einer bloßen Stunde einen flotten, witzigen, tiefgründigen Essay über das, was Namen mit uns machen und wir mit ihnen, über das, was es heißt, zu heißen. Fast überflüssig zu sagen, dass es für diesen Berliner-Film keinen besseren Premierenort geben konnte als die Berlinale.

Einen Dank habe ich noch bis ganz zum Schluss aufgehoben. Der geht an Regisseur und Hauptdarsteller von HOTOKE. Die beiden - vom leicht überforderten Übersetzter etwas im Stich gelassen und angesichts mancher Fragen eher ratlos - lieferten die wohl lustigste Publikumsdiskussion dieses Jahr. Sie kannten genau ein Wort Deutsch - und das diente dann oft zwei, drei Minuten lang als Rettungsanker, wenn sie nicht wussten, was sonst sagen: "Etto (japanisch für "Äh..."), etto... DANKE!... DANKE!... DANKE!"

Thomas Willmann

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