"Heute gibt es nur noch Tsching-Bumm und lauter Nackerte
- das interessiert mich nicht", erklärt eine resolute
Lady, die mit Leopardenhut und Fuchskragen im Foyer des Bellaria
erscheit. Sie zieht das legendäre Wiener Kino vor, wo
täglich noch die alten Ufa-Filme über die Leinwand
knistern. Der betagte Filmvorführer hingegen hat eine
andere Erklärung für das rege Interesse der Damenwelt:
"Im Bellaria kriegt man noch Männer mit Vorkriegscharakter
zu sehn."
Jeden Nachmittag putzen sie sich für den Höhepunkt
des Tages heraus: Hütchen und Toupets werden zurechtgezupft,
elegante Handschuhe übergestreift. Viele kommen schon
lange vor der Vorstellung, um zwischen verblühten Tapetenblumen
und abgewetztem Plüsch zu Plaudern. Wenn der Vorhang
aufgeht und Zarah Leander ihre wehmütigen Weisen singt
oder Marika Röck durchs Bild wirbelt, dann sitzen sie
andächtig wie die Kinder vor dem Weihnachtsbaum und summen
leise mit.
Da ist die eindrucksvolle Dame, die schon für den Schah
von Persien ein Liedlein pfiff und sich jetzt von ihrem Freund
und Mitcineasten die müden Füße pediküren
lässt. Da ist der alte Travestiekünstler, der seinen
größten Schatz vorführt: ein Jahrzehnte alter
Lippenstiftabdruck auf einer Zigarettenschachtel. Da ist die
sanfte alte Frau, die, wenn sie ehrlich ist, ganz froh war,
als ihr Mann starb. "Er war kein freundlicher Mensch",
sagt sie nur und lächelt entschuldigend. Die tägliche
Kinokarte spart sie sich buchstäblich von Munde ab: In
ihrem Wohnzimmerschrank hortet sie Konservendosen aus dem
Sonderangebot. Nahrung fürs Gemüt ist ihr wichtiger.
"Anfangs war man meinem Projekt gegenüber sehr
reserviert", berichtet Douglas Wolfsperger. "Da
hatten einige Journalisten verbrannte Erde hinterlassen."
Doch dann hat gegenseitige Sympathie das Eis schnell gebrochen.
Zutraulich gewähren die alten Menschen dem Filmemacher
Einblick in ihr Leben. Strahlend präsentiert eine muntere
alte Dame ihm ihren rüstigen Tanzteegalan. "Der
Arzt sagt, ich solle tüchtig Küssen", sagt
sie schelmisch. Was sie dann auch mit einer Inbrunst tut,
die auf der Ufa-Leinwand undenkbar gewesen wäre. Die
Erotik stirbt nicht mit dem Alter.
Auch das Thema Tod ist kein Tabu: Der Travestiekünstler
hat im Familiengrab schon ein lauschiges Plätzchen reserviert.
Und der alte Filmvorführer sagt ganz nüchtern: "Wenn
ich sterbe, wünsch ich mir ein mittelmäßiges
Begräbnis - so wie alles in meinem Leben mittelmäßig
war." Unsterblich sind eben nur Leinwandgöttinnen
und Filmhelden. Doch ganz insgeheim hofft die alte Garde aus
dem Bellaria vielleicht doch, dass, wenn für sie der
letzte Vorhang fällt, irgendwo Marika Röck oder
Luis Trenker auf sie warten.
Nani Fux
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