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Dokfest 2002 - Expeditonen ins Ungewisse  
 
 
 
 

Elswhere
Nikolaus Geyrhalter, Österreich 2001, 240 Min.

   
 
 
 
 

Anderswo ist eine Frage des Standpunktes

"Früher haben wir die Hexer getötet und dann aufgegessen. Wir haben alle Nachbarn dazu eingeladen." Ausführlich demonstriert der zierliche Mann aus dem indonesischen Regenwald, welche Körperteile man noch vor einigen Jahren zuerst verspeiste. "Heute dürfen wir das nicht mehr tun", meint er bedauernd, "heute schicken wir die Hexer einfach weg. Wir schicken sie in die großen Dörfer der weißen Leute." Höchststrafe für Ureinwohner. Auch auf die entlegen lebenden Waldbewohner wirft die Zivilisation bereits ihren Schatten.

Die Welt im Jahr 2000: eine Bestandsaufnahme. Zwölf Monate reiste Nikolaus Geyrhalter kreuz und quer über die Kontinente, von den Schneefeldern im winterlichen Finnland bis zu den paradiesischen Inseln Mikroneisens. Zwölf Kulturen, zwölf Sprachen, zwölf Geschichten - ein kinematographischer Walkabout.

Bereits mit DAS JAHR NACH DAYTON hatte Geyrhalter sich an ein solches Vierjahreszeitenprojekt gemacht. Doch diesmal waren die Dimensionen ungleich größer: Tausende Kilometer galt es zu überwinden, unzählige Leute haben mitgewirkt, als Träger, Fahrer, Rechercheure. Nur drei Wochen Drehzeit pro Region, menschliches Schicksal auf 20 Minuten komprimiert. Die enge Zusammenarbeit mit den Ethnologen vor Ort hat ermöglicht, in kürzester Zeit Zugang zu den Menschen zu finden.

Doch in den Bildern ist keine Unrast zu spüren: Vor jeder neuen Sequenz stehen erst einmal Geräusche vor der schwarzen Leinwand: das Knistern eines australischen Buschfeuers, das rhythmische Stampfen der Stößel, mit dem ein Tuargmädchen Korn zermahlt Es folgen lange, ruhige Einstellungen, die es dem Betrachter ermöglichen, sich umzuschauen in diesen fremden Welten: Die Kritzelein an den Wänden des mikronesischen Klassenzimmers. Die Plastikrose, die auf einem Küchentisch irgendwo in Grönland blüht. Unbeeindruckt von der Kamera erzählen die Menschen von ihrem Leben und gehen ihren alltäglichen Beschäftigungen nach. "Brigitte Bardot hat mein Leben ruiniert", beklagt sich ein Innuitjäger, dem der Robbenfang schwer gemacht wird. Lavinia, die engagierte Grundschullehrerin aus Mikronesien, sorgt sich wegen des Schmelzens der Polarkappen: "Unsere Inseln sind so klein, wir haben nicht einmal einen Berg, auf den wir uns retten können."

Immer wieder wird die Vergänglichkeit der hier gezeigten Lebensweisen präsent. Immer wieder geht es auch um die Frage, wie man die eigene Identität bewahrt, angesichts der hereinbrechenden Zivilisationsmaschinerie. So spielen die Kinder der Aborigines zwar Nintendo, auf Schuhe jedoch verzichten sie wie ihre Vorfahren. "Als Kind wusste ich nicht, was Müll ist", erzählt Lehrerin Lavinia. Inzwischen hat sie es gelernt: Müll, dass ist das, was Santa Claas alle zwei Jahre per Fallschirm über der Insel abwirft. Wer braucht schon abgetragene T-Shirts, an einem Ort, wo Männer und Frauen barbrüstig umherlaufen?

"So ist die Welt, sie ändert dauernd ihre Richtung", sagt der verschleierte Tuareg im Jaunar 2000. Und so bleibt uns vielleicht nur, einen Moment innezuhalten und in uns aufzunehmen, was einmal war. Im Dezember letzten Jahres wurde das mikronesische Paradies durch einen Wirbelsturm zerstört.

Nani Fux

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