"Ich hätte ihnen lieber
etwas Schöneres zum Abschied geschenkt", sagt der
Führer zu seiner blutjungen Sekretärin und reicht
ihr eine Zyankalikapsel. Mehr als 50 Jahre danach erzählt
Traudl Junge von ihrer Arbeit für Hitler, dem Attentat,
dem surrealen Tanz auf dem Vulkan während der letzten Tagen
im Bunker.
Di 81-Jährige ist eine begnadete Erzählerin. Der
25-minütige Monolog, der den eindrucksvollen Höhepunkt
dieser Dokumentation bildet, ist ein außergewöhnliches
Zeitdokument. Da sitzt eine Frau, die sich intensiv mit der
Vergangenheit auseinandergesetzt hat und mit der Frage nach
der eigenen Schuld. Kein Wort der Rechfertigung kommt über
ihre Lippen. Anschaulich berichtet sie, was sie sah, dachte,
fühlte. Was hier vor der laufenden Kamera passiert, hat
fast die psychologischen Dimensionen einer Beichte. Jahrzehnte
hat sie wenig über diese Zeit gesprochen. Anfangs hatte
niemand Interesse an ihren Aufzeichnungen. Nur G.W. Pabst
hat sie für seinen Film DER LETZTE AKT 1955 als Beraterin
hinzugezogen. Jetzt strömen die Worte unaufhaltsam aus
ihr heraus, bis sie erschöpft zusammensinkt. Hinter den
geschliffenen Formulierungen spürt man den unerträglichen
Druck, der sich über Jahrzehnte aufgebaut hat. "Ich
frage es mich noch heute: Wie es sein kann, dass ich nicht
gespürt habe, dass dieser höfliche Mann ein solches
Ungeheuer gewesen ist." Abgeschottet im engsten Kreis,
sei sie zu nahe dran gewesen am Zentrum des Geschehens: Im
toten Winkel der Geschichte. Und der Zuschauer stellt sich
die Frage, wo wohl sein persönlicher toter Winkel verborgen
liegen mag.
André Heller und Othmar Schmiderer waren zur richtigen
Zeit am richtigen Ort. Ein ungeheurer Glücksfall. Dankenswerter
Weise verzichten sie auf großes Equipment. Da ist nur
diese gepflegte Dame in ihrer winzigen Einzimmerwohnung in
Schwabing und erzählt. Keine Archivaufnahme zerstört
die Bilder, die vor dem geistigen Auge des Zuhörers aufsteigen:
Hitler, der seine treu ergebenen Hündin Blondie Kunststückchen
vorführen lässt. Hitler, der niemals Blumen in seinem
Zimmer haben will, weil er nichts Totes um sich haben mag.
Hitler, der sich nur ungern von Menschen berühren lässt.
Die Banalität des Bösen wird greifbar.
Schließlich berichtet sie von dem Tag, an dem sie die
volle Wucht der persönlichen Verantwortung traf. Jahre
nach Kriegsende kam sie an einer Gedenktafel für Sophie
Scholl vorbei: "Da hab ich gespürt, dass es keine
Entschuldigung ist, wenn man jung ist." Das Gefühl,
nichts gewusst zu haben von dem millionenfachen Mord und darum
frei von Schuld zu sein, zerbricht. Seither hat sie der jungen
Frau, die sie einmal war, nicht verzeihen können.
Heller und Schmiderer dokumentieren auch Traudel Junges Reaktionen
auf den ersten, dreistündigen Zusammenschnitt. Gebannt
hängt sie an ihren eigenen Lippen. Viel zu anekdotisch
sei das erzählte, sagt die Zeitzeugin kritisch. All die
Geschichten seien angesichts der ungeheuerlichen Taten völlig
unwichtig. Mit der gekürzten Fassung des Films ist sie
dann zufrieden.
Traudl Junge stirbt einen Tag nach der Premiere auf der Berlinale.
Kurz zuvor hat sie noch mit den Filmemachern gesprochen: "Ich
glaube, ich beginne mir nun zu verzeihen", hat sie gesagt.
Nani Fux
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