Seit Dieter Kosslick die Leitung der Berlinale übernommen
hat weht ein Hauch von Hollywood über den Potsdamer Platz.
Die frische Brise erfasste in diesem Jahr sogar den für
seinen Glamour nicht eben berühmten Dokumentarfilm.
"He is a hell of an actor", sagte Regisseur Oliver
Stone über den Star seines Dokumentarfilms COMANDANTE.
Das Interview-Porträt über Fidel Castro entpuppte
sich als ein unterhaltsames Treffen der Giganten, bei dem
sich der eine im Ruhm des anderen sonnt. Einziger Wermutstropfen
bei der Präsentation im Berlin: Castro selbst ist nicht
wie geplant zur Premiere erscheinen. In weltpolitischen Krisenzeiten
bleibt ein Máximo Líder eben besser auf seiner
Karibikinsel.
Fans selbstironischer Hongkongaction hatten die Gelegenheit,
ein Autogramm des Großmeisters Jackie Chan zu ergattern.
In TRACES OF THE DRAGON wechselt Chan allerdings das Genre.
Mabel Cheungs Dokumentation über den Kung-Fu-Helden ist
weit mehr als ein Starporträt. Durch die Rekonstruktion
von Chans verlorener Vergangenheit lüftet die Regisseurin
erstaunliche Familiengeheimnisse und zeigt die Wirrnisse der
chinesischen Geschichte auf.
Den Sprung vom Spiel- zum Dokumentarfilm hat in diesem Jahr
auch Andreas Dresen gemacht. Während im vergangenen Jahr
sein grandioser HALBE TREPPE zu sehen war, hatte auf den Tag
genau zwölf Monate später bereits der nächste
Film von ihm Berlinale-Premiere: HERR
WICHMANN VON DER CDU ist eine tragikomische Don Quijoterie
über den Bundestagswahlkampf in der ostdeutschen Provinz.
"Da sieht man mal, wie schnell Filmemachen gehen kann",
kommentierte der Regisseur sein unverhofft frühes Berlinalecomeback.
Die Einladung des erst kürzlich fürs Fernsehen fertiggestellten
Films zu den Festspielen kam in letzter Minute. Im Eiltempo
stellte die Produktionsfirma Megaherz die Finanzierung für
die teure Kinokopie auf die Beine. Schönes Nachspiel
der Tour de Force: Demnächst soll der Film bundesweit
in den Kinos anlaufen.
Neben den "Panorama Dokumenten" fand sich ein internationales
Doku-Angebot auch im Forum des Jungen Films. Stellvertretend
für viele sollen hier nur zwei genannt werden: Einen
philosophischen Streit der Kochschulen zeigt die japanische
Produktion DREAM CUISINE von Li Ying. POWER
TRIP hingegen führt nach Georgien, wo es ein amerikanischer
Energiekonzern nicht nur mit Millionen cleverer Strompiraten
sondern auch einem postsowjetischem Dickicht aus Korruption
und Vetternwirtschaft zu tun bekommt.
Für alle Münchner, die die schönen Dokumentationen
nicht auf der Berlinale sehen konnten, gibt es einen kleinen
Trost: Vom 1. bis zum 10. Mai ist wieder Dokfilmwoche in der
bayrischen Landeshauptstadt. Und da ist erfahrungsgemäß
auch einiges zu sehen, was schon in Berlin begeistert hat.
Nani Fux
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