60. Filmfestspiele Cannes 2007
Zwei Wochen im Mai |
||
Asien, USA, Frankreich: Alles da in My Blueberry Nights |
||
(Foto: Prokino) |
Jetzt laufen sie wieder, über den roten Teppich, direkt neben dem hellen Strand der französischen Riviera. Eine chinesisch-amerikanische Koproduktion eröffnet heute das Filmfestival von Cannes: My Blueberry Nights ist der erste Film, den Wong Kar-wai in den USA mit Hollywood-Stars, unter anderem Natalie Portman, Rachel Weisz und Jude Law gedreht hat.
Asien, USA,
Frankreich, mit dieser Kombination repräsentiert Wong exakt das Gravitationszentrum des gegenwärtigen Weltkinos. In den nächsten knapp zwei Wochen wird es sich ganz um Cannes drehen – und diesmal noch ein wenig schneller, als sonst schon. Denn in diesem Jahr wird das Festival 60 Jahre alt, und seitdem sind diese zwei Wochen im Mai das eine große Ereignis auf das alle, die mit Kino zu tun haben, über das Jahr hinfiebern: Der bedeutendste Wettbewerb, der wichtigste Markt,
ein Treffpunkt für alle – Weltmeisterschaft, Messe und Party in einem: Das Mekka des Kinos.
+ + +
Wong ist an diesem Ort ein alter Bekannter, schon mehrere Preise hat er mit Happy Together und In the Mood for Love in Cannes gewonnen. Sein letzter Film, 2046, ging – von der Kritik, auch der deutschen unverstanden und zunächst unverhältnismäßig gebashed – zwar leer aus, dafür bekommt der Film jetzt im Jubiläumsheft der Filmzeitschrift „Positif“ einen eigenen Abschnitt. Das ganze Heft ist den fälschlicherweise nicht ausgezeichneten Filmen der sechs Jahrzehnte gewidmet.
+ + +
Eigentlich hätte es schon 1939 losgehen sollen, mit William Dieterles Der Glöckner von Notre Dame wollte man eröffnen, und Tyrone Power, Douglas Fairbanks, Gary Cooper und Mae West hatten bereits ihre Hotelsuiten mit Blick auf das Meer bezogen. Doch mit dem Eröffnungstag, dem 1. September, hatte man kein Glück: Ein Weltkrieg kam dazwischen, viel Sterben, Leid und Not, und als dann 1946 tatsächlich die ersten Filmfestspiele veranstaltet wurden – wieder im September und zunächst im Zweijahresrhythmus – da war das Festival noch von den Bedingungen der Nachkriegsjahre geprägt: Die Filme sollten eher für Weltflucht und Erbauung sorgen, statt für tiefere Erkenntnis, und auch sonst, war Bescheidenheit statt Pomp angesagt: Zur Eröffnung lief ein Dokumentarfilm aus der Sowjetunion, und der Film riss gleich mehrfach. Als auch der Strom noch ausfiel, glaubten manche schon an antikommunistische Sabotage, bis sich Ähnliches sogar bei Hitchcocks Notorious wiederholte.
+ + +
Wer 60 Jahre später die Croisette, die berühmte Strandpromenade, entlang schreitet, entdeckt nur noch Spurenelemente des einstigen verschlafenen Fischerdorfes, das durch dieses Festival allen Nachbarn zumindest an Berühmtheit den Rang ablief: Nizza, St. Tropez, Antibes… Die alten Häuser stehen noch, erst recht die berühmte Luxusherbergen Carlton, Martinez und Majestic. Doch sonst ist alles anders: Die mehrfach erweiterten Straßen sind längst wieder zu klein für die mittlerweile rund 200.000 Gäste, dieser Megamesse, die an den kommenden Tagen in das 50.000-Einwohnerstädchen einfallen. Meterhohe Filmplakate säumen den Palmenboulevard, und verstellen allzu oft den Blick auf Schöneres. Und das Meeresrauschen hört man auch abends kaum. Da wummern nämlich die Techno-Bässe von irgendwelchen Werbejeeps, die die Croisette mit der Love-Parde verwechseln, und jede Viertelstunde auf- und abfahren.
+ + +
Doch man muss nur ein paar der seitenlangen Bilderstrecken der französischen Magazine ansehen, einen der Rückblicke lesen, um sofort wieder eingefangen zu werden vom Zauber der Vergangenheit: Was da in sechs Jahrzehnten zusammenkommt, stellt alles in den Schatten: Catherine Deneuve, Jeanne Moreau, Marcello Mastroianni, Truffaut, Godard, Antonioni, Coppola, Scorsese, DePalma… – endlos würde die Liste werden, wollte man hier ernsthaft auch nur die Berühmtesten aufzählen. Denn Cannes ist sowohl die stolze Selbstfeier des französischen Kinos, als auch das europäische Schaufenster Hollywoods, als auch wie kein Ort sonst die Heimat des Weltkinos: Die Iraner Kiarostami und Makhmalbaf wurden hier zum Beispiel entdeckt, oder der Koreaner Park Chan-wook, oder der Chinese Wong Kar-wai. Dabei geht es immer um die besten Filme, nicht um politische Motive oder pc-ness.
+ + +
Darum gibt es im Programm allem vermeintlichen, angeblichen Antiamerikanismus der Franzosen zum Trotz auch sechs US-Filme, den halben Amerikaner von Wong noch nicht eingerechnet. Auch das Gerede vom französischen Chauvinismus entpuppt sich als Vorurteils-Luftblase: Nur drei Filme im Wettbewerb, bei der Berlinale waren’s fünf. Europa hat mit elf Filmen ein klares Übergewicht. Dabei halten sich Ost und West mit 5 zu 6 die Waage.
Nicht minder
interessant ist die Frage, was fehlt? Völlig abwesend sind Skandinavier, Spanier, Italiener, Araber und Afrikaner. Auch Latinos gibt es nur einen. Es geht eben wie gesagt um die besten Filme nicht um pc.
Neben vielem anderen läuft auch ein deutscher Film im Wettbewerb: Auf der anderen Seite von Fatih Akin (Deutschland). Außer Konkurrenz wird Volker Schlöndoffs Ulzhan gezeigt, in Nebenreihen laufen drei weitere deutsche Filme.
+ + +
Wobei… – ob Auf der anderen Seite überhaupt ein deutscher Film ist, das ist mindestens eine so brisante Frage, wie die, ob Hans Weingartners Beitrag von vor drei Jahren nicht ein österreichisches Werk war. Unsere Freunde aus Istanbul reklamieren ihn jedenfalls für die Türkei, und dafür spricht, dass der Film dort gedreht wurde, mit türkischen Schauspielern, auf Türkisch. Nur Hanna Schygulla sorgt für eine bayerische Note. Aber das haben wir schon der BR-Kollegin gestern Abend gesagt: Gegen die EU-Mitgliedschaft der Türken sein, aber deren Filme unter den Nagel reißen, geht nicht. Also machen wir’s doch einfach so: Wer Akin eingemeindet, muss auch alle andern reinlassen.
+ + +
Viel mehr als derartige nationale Fragen beschäftigt uns, dies zum Schluss, allerdings die Tatsache, dass unsere immer-noch Lieblingsschauspielerin (neben Julie Delpy) Sophie Marceau zum Cannes-Auftakt hier gleich zwei Magazin-Titel schmückt, die „Vogue“ und die „Elle“. »Es ist schön, 40 zu sein« sagt Sophie Marceau, und irgendwie glaubt man’s ihr sogar. Was sie wohl erst mit 60 sagen wird?