17.05.2007
60. Filmfestspiele Cannes 2007

Zwei Wochen im Mai

MY BLUEBERRY NIGHTS
Asien, USA, Frankreich:
Alles da in My Blueberry Nights
(Foto: Prokino)

Im Mekka des Kinos: Cannes eröffnet – und feiert sein 60. Jubiläum

Von Rüdiger Suchsland

Jetzt laufen sie wieder, über den roten Teppich, direkt neben dem hellen Strand der fran­zö­si­schen Riviera. Eine chine­sisch-ameri­ka­ni­sche Kopro­duk­tion eröffnet heute das Film­fes­tival von Cannes: My Blueberry Nights ist der erste Film, den Wong Kar-wai in den USA mit Hollywood-Stars, unter anderem Natalie Portman, Rachel Weisz und Jude Law gedreht hat.
Asien, USA, Frank­reich, mit dieser Kombi­na­tion reprä­sen­tiert Wong exakt das Gravi­ta­ti­ons­zen­trum des gegen­wär­tigen Weltkinos. In den nächsten knapp zwei Wochen wird es sich ganz um Cannes drehen – und diesmal noch ein wenig schneller, als sonst schon. Denn in diesem Jahr wird das Festival 60 Jahre alt, und seitdem sind diese zwei Wochen im Mai das eine große Ereignis auf das alle, die mit Kino zu tun haben, über das Jahr hinfie­bern: Der bedeu­tendste Wett­be­werb, der wich­tigste Markt, ein Treff­punkt für alle – Welt­meis­ter­schaft, Messe und Party in einem: Das Mekka des Kinos.

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Wong ist an diesem Ort ein alter Bekannter, schon mehrere Preise hat er mit Happy Together und In the Mood for Love in Cannes gewonnen. Sein letzter Film, 2046, ging – von der Kritik, auch der deutschen unver­standen und zunächst unver­hält­nis­mäßig gebashed – zwar leer aus, dafür bekommt der Film jetzt im Jubiläums­heft der Film­zeit­schrift „Positif“ einen eigenen Abschnitt. Das ganze Heft ist den fälsch­li­cher­weise nicht ausge­zeich­neten Filmen der sechs Jahr­zehnte gewidmet.

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Eigent­lich hätte es schon 1939 losgehen sollen, mit William Dieterles Der Glöckner von Notre Dame wollte man eröffnen, und Tyrone Power, Douglas Fairbanks, Gary Cooper und Mae West hatten bereits ihre Hotel­suiten mit Blick auf das Meer bezogen. Doch mit dem Eröff­nungstag, dem 1. September, hatte man kein Glück: Ein Weltkrieg kam dazwi­schen, viel Sterben, Leid und Not, und als dann 1946 tatsäch­lich die ersten Film­fest­spiele veran­staltet wurden – wieder im September und zunächst im Zwei­jah­res­rhythmus – da war das Festival noch von den Bedin­gungen der Nach­kriegs­jahre geprägt: Die Filme sollten eher für Welt­flucht und Erbauung sorgen, statt für tiefere Erkenntnis, und auch sonst, war Beschei­den­heit statt Pomp angesagt: Zur Eröffnung lief ein Doku­men­tar­film aus der Sowjet­union, und der Film riss gleich mehrfach. Als auch der Strom noch ausfiel, glaubten manche schon an anti­kom­mu­nis­ti­sche Sabotage, bis sich Ähnliches sogar bei Hitch­cocks Notorious wieder­holte.

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Wer 60 Jahre später die Croisette, die berühmte Strand­pro­me­nade, entlang schreitet, entdeckt nur noch Spuren­ele­mente des einstigen verschla­fenen Fischer­dorfes, das durch dieses Festival allen Nachbarn zumindest an Berühmt­heit den Rang ablief: Nizza, St. Tropez, Antibes… Die alten Häuser stehen noch, erst recht die berühmte Luxus­her­bergen Carlton, Martinez und Majestic. Doch sonst ist alles anders: Die mehrfach erwei­terten Straßen sind längst wieder zu klein für die mitt­ler­weile rund 200.000 Gäste, dieser Megamesse, die an den kommenden Tagen in das 50.000-Einwoh­ner­s­täd­chen einfallen. Meterhohe Film­pla­kate säumen den Palmen­bou­le­vard, und verstellen allzu oft den Blick auf Schöneres. Und das Meeres­rau­schen hört man auch abends kaum. Da wummern nämlich die Techno-Bässe von irgend­wel­chen Werbe­jeeps, die die Croisette mit der Love-Parde verwech­seln, und jede Vier­tel­stunde auf- und abfahren.

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Doch man muss nur ein paar der seiten­langen Bilder­stre­cken der fran­zö­si­schen Magazine ansehen, einen der Rück­blicke lesen, um sofort wieder einge­fangen zu werden vom Zauber der Vergan­gen­heit: Was da in sechs Jahr­zehnten zusam­men­kommt, stellt alles in den Schatten: Catherine Deneuve, Jeanne Moreau, Marcello Mastroi­anni, Truffaut, Godard, Antonioni, Coppola, Scorsese, DePalma… – endlos würde die Liste werden, wollte man hier ernsthaft auch nur die Berühm­testen aufzählen. Denn Cannes ist sowohl die stolze Selbst­feier des fran­zö­si­schen Kinos, als auch das europäi­sche Schau­fenster Holly­woods, als auch wie kein Ort sonst die Heimat des Weltkinos: Die Iraner Kiaros­tami und Makhmalbaf wurden hier zum Beispiel entdeckt, oder der Koreaner Park Chan-wook, oder der Chinese Wong Kar-wai. Dabei geht es immer um die besten Filme, nicht um poli­ti­sche Motive oder pc-ness.

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Darum gibt es im Programm allem vermeint­li­chen, angeb­li­chen Anti­ame­ri­ka­nismus der Franzosen zum Trotz auch sechs US-Filme, den halben Ameri­kaner von Wong noch nicht einge­rechnet. Auch das Gerede vom fran­zö­si­schen Chau­vi­nismus entpuppt sich als Vorur­teils-Luftblase: Nur drei Filme im Wett­be­werb, bei der Berlinale waren’s fünf. Europa hat mit elf Filmen ein klares Über­ge­wicht. Dabei halten sich Ost und West mit 5 zu 6 die Waage.
Nicht minder inter­es­sant ist die Frage, was fehlt? Völlig abwesend sind Skan­di­na­vier, Spanier, Italiener, Araber und Afrikaner. Auch Latinos gibt es nur einen. Es geht eben wie gesagt um die besten Filme nicht um pc.
Neben vielem anderen läuft auch ein deutscher Film im Wett­be­werb: Auf der anderen Seite von Fatih Akin (Deutsch­land). Außer Konkur­renz wird Volker Schlönd­offs Ulzhan gezeigt, in Neben­reihen laufen drei weitere deutsche Filme.

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Wobei… – ob Auf der anderen Seite überhaupt ein deutscher Film ist, das ist mindes­tens eine so brisante Frage, wie die, ob Hans Wein­gart­ners Beitrag von vor drei Jahren nicht ein öster­rei­chi­sches Werk war. Unsere Freunde aus Istanbul rekla­mieren ihn jeden­falls für die Türkei, und dafür spricht, dass der Film dort gedreht wurde, mit türki­schen Schau­spie­lern, auf Türkisch. Nur Hanna Schygulla sorgt für eine baye­ri­sche Note. Aber das haben wir schon der BR-Kollegin gestern Abend gesagt: Gegen die EU-Mitglied­schaft der Türken sein, aber deren Filme unter den Nagel reißen, geht nicht. Also machen wir’s doch einfach so: Wer Akin einge­meindet, muss auch alle andern rein­lassen.

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Viel mehr als derartige nationale Fragen beschäf­tigt uns, dies zum Schluss, aller­dings die Tatsache, dass unsere immer-noch Lieb­lings­schau­spie­lerin (neben Julie Delpy) Sophie Marceau zum Cannes-Auftakt hier gleich zwei Magazin-Titel schmückt, die „Vogue“ und die „Elle“. »Es ist schön, 40 zu sein« sagt Sophie Marceau, und irgendwie glaubt man’s ihr sogar. Was sie wohl erst mit 60 sagen wird?