02.08.2007
Cinema Moralia – Folge 4

Die Männer, das Geld und der Tod

BERUF: REPORTER
Beruf: Reporter
(Foto: Die Lupe (Erstverleih: Fox-MGM))

Zuviel Tote diese Woche und ein Film, der unsterblich ist

Von Rüdiger Suchsland

Was ist eigent­lich los gerade? Die vielen Toten der letzten Woche machen nicht nur sehr traurig, sie sind auch einfach zuviel. Zuviel für uns Jour­na­listen, klar, die wir so viele Nachrufe auf einmal gar nicht bewäl­tigen können. Zuviel für die Fern­seh­sender, die bestimmt mit Ingmar Bergman am Montag dann schon alle denkbaren Plätze bepflas­tert hatten, als am Dienstag die Nachricht von Michel­an­gelo Anto­nionis Tod kam. Aber das war jetzt beides nicht gemeint – wobei Antonioni und Bergman, Tabori bestimmt auch über diese Absur­dität der Medi­en­ge­sell­schaft gelächelt hätten. Bei Ulrich Mühe bin ich mir da weniger sicher, bei Edward Yang und Michel Serrault kann ich es nicht beur­teilen. Berech­tigt zwar, aber doch merk­würdig, wie hinter Bergman und Antonioni jetzt alle anderen Toten unsichtbar werden.

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Gemeint war, dass diese vielen Tode zuviel sind für unsere Aufmerk­sam­keit. Man kann, wenn man die Filme dieser Toten liebt, nicht wirklich Abschied nehmen, sich nicht auf sie konzen­trieren. Statt­dessen Trau­er­kon­kur­renz.

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Ein paar Stunden nach der Nachricht vom Dienstag kam mir dann der Gedanke, dass diese Koin­zi­denz gerade Antonioni auf merk­wür­dige Weise ange­messen ist. Haben nicht seine Werke viel mit dem Verschwinden des Menschen, mit seiner Auflösung in Objekt­welt und Zeichen zu tun? Handelt nicht Beruf: Reporter, (für mich einer seiner schönsten und besten Filme) von einen, der für die Öffent­lich­keit schon tot ist, lange bevor er stirbt?

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Erin­ne­rung vor allem an die groß­ar­tige Antonioni-Retro­spek­tive, die vor jetzt auch schon wieder fünf Jahren in Venedig lief. Antonioni war damals da, im Saal, sichtbar gerührt. Seine Filme sprachen für ihn. »Sehr gut, dass der Suchsland Antonioni guckt – da lernt er noch was«, meinte damals Doris Kuhn, eine Bemerkung, die mir deswegen unver­gess­lich war, weil sie einfach stimmte. Bei wenigen Retros habe ich soviel erfahren, wie hier, von wenigen Filme­ma­chern so viel gelernt – eine der für mich persön­lich schönsten Film­schauen ever.

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»Ingmar Bergman ist gestorben. The Greatest. ›Chapeau‹, in tears« smst Coco. Diese Emotion bekomme ich dann doch nicht hin.
Trotzdem: Man hat gar keine Lust, noch über etwas anderes zu schreiben, über die schönen Seiten am Kino.

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Erin­ne­rungen werden wach an den Juni 82, den Juni vor 25 Jahren, den kürzlich Claudius Seidl in einem wirklich meis­ter­li­chen, in jeder Hinsicht super FAS-Text beschrieben hat, in dem es nicht zuletzt um Belmondo, eine Haltung zum Kino und um Lebens­ge­fühl geht (»Der Juni unserer Sehnsucht«, FAS, 10.6.07, kurio­ser­weise ist der volls­tän­dige Text derzeit bei www.exzess­berlin.de zu finden: »Der Juni unserer Sehnsucht« googeln und auf den Cache klicken): In diesem Juni 82 starb quasi der deutsche Nach­kriegs­film: Romy Schneider, R.W. Fass­binder, Curd Jürgens. Was ist jetzt gestorben? Der europäi­sche Nach­kriegs­film? Der Problem­film?
Und wer lebt eigent­lich noch, aus der gleichen Gene­ra­tion, vom gleichen Rang? Godard. Ein Ameri­kaner, wie Arthur Penn, aber schon den möchte man, bei allem Respekt, nicht auf dieselbe Stufe setzen. Wohl auch nicht Chabrol. Rohmer? Rivette? Wajda? Wen habe ich jetzt vergessen? Wäre auch inter­es­sant. Bitte Vorschläge mailen. Eher sind es hoch­in­ter­es­sante Figuren hinter der ersten Reihe, wie Suso Cecchi D’Amico (s.u.) oder ein paar alte Schau­spieler.

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Was bleibt, das tröstet immerhin, sind die Filme. Kürzlich ist Rocco und seine Brüder auf DVD erschienen. Neben dem Der Leopard ist dies der berühm­teste Film von Luchino Visconti (1906-1976): Die Geschichte der Witwe Rosaria, die mit ihren fünf Söhnen aus Südita­lien nach Mailand kommt. Eine Emigran­ten­ge­schichte, deren Motoren Armut und Aufstiegs­willen ist, deren Hinter­grund die Schwie­rig­keit auf fremdem Terrain Fuß zu fassen, aber auch ein intimes Fami­li­en­drama von der Gewalt einer antiken Tragödie, dessen Treib­stoff die Rivalität zwischen Brüdern ist, die bei aller Liebe um Geld und Aner­ken­nung ebenso buhlen, wie um die Liebe der gleichen Frau. Denn der eine, Simone (Renato Salvatori) wird Boxer und verliebt sich in Nadia (Annie Girardot). Die aber zieht seinen Bruder Rocco (Alain Delon) vor…
1960 entstand Rocco und seine Brüder, in Moder­nität und Fata­lismus ein Komple­mentär zu Anto­nionis La notte. Er ist jetzt bei Arthaus in einer überaus schönen DVD-Edition erschienen (Luchino Visconti: Rocco und seine Brüder (1960), 2 DVDs, bei Arthaus Premium, 19.95 Euro). Das bemer­kens­wer­teste daran: So konnte man den Film in Deutsch­land noch nie sehen, abgesehen jeden­falls von Film­mu­seen und einigen erlesenen Programm­kinos. Denn wie so oft im film­kul­tu­rellen Entwick­lungs­land Bundes­re­pu­blik wurde der Film zensiert und vom Verleih gekürzt, und zwar um die enorme Länge von fast einer Stunde: Auf der DVD wird er erstmals in voller Länge gezeigt – und wirkt in Fülle und Facet­ten­reichtum doch überaus ökono­misch insze­niert.
Auf der Bonus-DVD gibt es wunder­bare, ausführ­liche Inter­views: Mit Viscontis Dreh­buch­au­torin Suso Cecchi D’Amico, der ebenso bezau­bernden wie geist­rei­chen großen alten Dame des italie­ni­schen Nach­kriegs­films, mit Kame­ra­mann Giuseppe Rotunno und nicht zuletzt mit Claudia Cardinale. Sie erzählt unter anderem, wie sie – genau wie Sophia Loren und Lucia Bose – als Schön­heits­kö­nigin zum Film kam – sie wurde allen Ernstes zur »schönsten Italie­nerin Tunesiens« gewählt, in dem Land, in dem sie ihre Kindheit verbrachte.
Eine ganz wunder­bare Edition, die wunschlos glücklich macht, die die Möglich­keiten dieses neuen Mediums ausnutzt, und zeigt, dass DVD viel mehr ist, als ein digi­ta­li­sierter Film. Das aller­dings auch, und noch dazu ein ganz groß­ar­tiger!

(To be continued)

Luchino Visconti: Rocco und seine Brüder (1960), 2 DVDs, bei Arthaus Premium, 19.95 Euro

Rüdiger Suchsland