Cinema Moralia – Folge 4
Die Männer, das Geld und der Tod |
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Beruf: Reporter | ||
(Foto: Die Lupe (Erstverleih: Fox-MGM)) |
Was ist eigentlich los gerade? Die vielen Toten der letzten Woche machen nicht nur sehr traurig, sie sind auch einfach zuviel. Zuviel für uns Journalisten, klar, die wir so viele Nachrufe auf einmal gar nicht bewältigen können. Zuviel für die Fernsehsender, die bestimmt mit Ingmar Bergman am Montag dann schon alle denkbaren Plätze bepflastert hatten, als am Dienstag die Nachricht von Michelangelo Antonionis Tod kam. Aber das war jetzt beides nicht gemeint – wobei Antonioni und Bergman, Tabori bestimmt auch über diese Absurdität der Mediengesellschaft gelächelt hätten. Bei Ulrich Mühe bin ich mir da weniger sicher, bei Edward Yang und Michel Serrault kann ich es nicht beurteilen. Berechtigt zwar, aber doch merkwürdig, wie hinter Bergman und Antonioni jetzt alle anderen Toten unsichtbar werden.
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Gemeint war, dass diese vielen Tode zuviel sind für unsere Aufmerksamkeit. Man kann, wenn man die Filme dieser Toten liebt, nicht wirklich Abschied nehmen, sich nicht auf sie konzentrieren. Stattdessen Trauerkonkurrenz.
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Ein paar Stunden nach der Nachricht vom Dienstag kam mir dann der Gedanke, dass diese Koinzidenz gerade Antonioni auf merkwürdige Weise angemessen ist. Haben nicht seine Werke viel mit dem Verschwinden des Menschen, mit seiner Auflösung in Objektwelt und Zeichen zu tun? Handelt nicht Beruf: Reporter, (für mich einer seiner schönsten und besten Filme) von einen, der für die Öffentlichkeit schon tot ist, lange bevor er stirbt?
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Erinnerung vor allem an die großartige Antonioni-Retrospektive, die vor jetzt auch schon wieder fünf Jahren in Venedig lief. Antonioni war damals da, im Saal, sichtbar gerührt. Seine Filme sprachen für ihn. »Sehr gut, dass der Suchsland Antonioni guckt – da lernt er noch was«, meinte damals Doris Kuhn, eine Bemerkung, die mir deswegen unvergesslich war, weil sie einfach stimmte. Bei wenigen Retros habe ich soviel erfahren, wie hier, von wenigen Filmemachern so viel gelernt – eine der für mich persönlich schönsten Filmschauen ever.
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»Ingmar Bergman ist gestorben. The Greatest. ›Chapeau‹, in tears« smst Coco. Diese Emotion bekomme ich dann doch nicht hin.
Trotzdem: Man hat gar keine Lust, noch über etwas anderes zu schreiben, über die schönen Seiten am Kino.
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Erinnerungen werden wach an den Juni 82, den Juni vor 25 Jahren, den kürzlich Claudius Seidl in einem wirklich meisterlichen, in jeder Hinsicht super FAS-Text beschrieben hat, in dem es nicht zuletzt um Belmondo, eine Haltung zum Kino und um Lebensgefühl geht (»Der Juni unserer Sehnsucht«, FAS, 10.6.07, kurioserweise ist der vollständige Text derzeit bei www.exzessberlin.de zu finden: »Der
Juni unserer Sehnsucht« googeln und auf den Cache klicken): In diesem Juni 82 starb quasi der deutsche Nachkriegsfilm: Romy Schneider, R.W. Fassbinder, Curd Jürgens. Was ist jetzt gestorben? Der europäische Nachkriegsfilm? Der Problemfilm?
Und wer lebt eigentlich noch, aus der gleichen Generation, vom gleichen Rang? Godard. Ein Amerikaner, wie Arthur Penn, aber schon den möchte man, bei allem Respekt, nicht auf dieselbe Stufe setzen. Wohl auch nicht Chabrol. Rohmer? Rivette?
Wajda? Wen habe ich jetzt vergessen? Wäre auch interessant. Bitte Vorschläge mailen. Eher sind es hochinteressante Figuren hinter der ersten Reihe, wie Suso Cecchi D’Amico (s.u.) oder ein paar alte Schauspieler.
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Was bleibt, das tröstet immerhin, sind die Filme. Kürzlich ist Rocco und seine Brüder auf DVD erschienen. Neben dem Der Leopard ist dies der berühmteste Film von Luchino Visconti (1906-1976): Die Geschichte der Witwe Rosaria, die mit ihren fünf Söhnen aus Süditalien nach Mailand kommt. Eine
Emigrantengeschichte, deren Motoren Armut und Aufstiegswillen ist, deren Hintergrund die Schwierigkeit auf fremdem Terrain Fuß zu fassen, aber auch ein intimes Familiendrama von der Gewalt einer antiken Tragödie, dessen Treibstoff die Rivalität zwischen Brüdern ist, die bei aller Liebe um Geld und Anerkennung ebenso buhlen, wie um die Liebe der gleichen Frau. Denn der eine, Simone (Renato Salvatori) wird Boxer und verliebt sich in Nadia (Annie Girardot). Die aber zieht seinen
Bruder Rocco (Alain Delon) vor…
1960 entstand Rocco und seine Brüder, in Modernität und Fatalismus ein Komplementär zu Antonionis La notte. Er ist jetzt bei Arthaus in einer überaus schönen DVD-Edition erschienen (Luchino Visconti: Rocco und seine Brüder (1960), 2 DVDs, bei Arthaus Premium, 19.95 Euro). Das bemerkenswerteste daran: So konnte man den Film in Deutschland noch nie sehen, abgesehen jedenfalls von Filmmuseen und einigen erlesenen Programmkinos. Denn wie so oft im filmkulturellen Entwicklungsland Bundesrepublik wurde der Film zensiert und vom Verleih gekürzt, und zwar um die enorme Länge von fast einer
Stunde: Auf der DVD wird er erstmals in voller Länge gezeigt – und wirkt in Fülle und Facettenreichtum doch überaus ökonomisch inszeniert.
Auf der Bonus-DVD gibt es wunderbare, ausführliche Interviews: Mit Viscontis Drehbuchautorin Suso Cecchi D’Amico, der ebenso bezaubernden wie geistreichen großen alten Dame des italienischen Nachkriegsfilms, mit Kameramann Giuseppe Rotunno und nicht zuletzt mit Claudia Cardinale. Sie erzählt unter anderem, wie sie –
genau wie Sophia Loren und Lucia Bose – als Schönheitskönigin zum Film kam – sie wurde allen Ernstes zur »schönsten Italienerin Tunesiens« gewählt, in dem Land, in dem sie ihre Kindheit verbrachte.
Eine ganz wunderbare Edition, die wunschlos glücklich macht, die die Möglichkeiten dieses neuen Mediums ausnutzt, und zeigt, dass DVD viel mehr ist, als ein digitalisierter Film. Das allerdings auch, und noch dazu ein ganz großartiger!
(To be continued)
Luchino Visconti: Rocco und seine Brüder (1960), 2 DVDs, bei Arthaus Premium, 19.95 Euro
Rüdiger Suchsland