26.09.2007
Cinema Moralia – Folge 6

»Halten sie Ihre Taschentücher bereit!«

DEATH PROOF
Räkeln wie die Bardot: Death Proof
(Foto: Senator Film Verleih)

Weinen im Kino und Neues von der Bewusstseinsindustrie und 4 Milliarden Subventionsgelder für den deutschen Film – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 6. Folge

Von Rüdiger Suchsland

Weinen im Kino. Es soll ja Leute geben, die würden sagen, sie gehen ins Kino, um zu weinen. Gern wird dann Kafka zitiert: »Im Kino gewesen, geweint«… Weinen ist der Ausweis von Qualität. Haben Sie geweint? »In diesem Film habe ich geweint« schreiben die Leute in Deutsch­land in Pres­se­texte hinein, für uns Jour­na­listen. Für mich ist das mehr ein Grund, den Film zu meiden, vor allem wenn das dann Leute wie Veronika Ferres sagen. Dann kann man davon ausgehen: Es wird ein Riesen­scheiß­dreck.

In solchem Tränen-Exhi­bi­tio­nismus liegt auch viel Narzissmus drin: »Hey ich bin zu großen Gefühlen fähig.« Eine Form sich selbst zu promoten. Es gibt dann auch diese Premie­ren­be­richt­erstat­tung, wo das Gleiche dann ganz normale Leute nach­plap­pernn, weil es ihnen die Promi­nenten vormachten. Dort funk­tio­niert dann die Abrich­tung durch die Allianz von Marketing und Boulevard: »Da bleibt sicher kein Auge trocken. … Halten sie Ihre Taschen­tücher bereit!« Ein Fall von Bewusst­seins­in­dus­trie.

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Zudem ist dies natürlich auch ein spezi­fi­sches und sehr einsei­tiges Vers­tändnis von Kino, das Kino dann auf Gefühle festlegt, und zwar auf eine bestimmte Art, oft auch sehr einsei­tiger Gefühle.
Falsche oder echte Gefühle? Da kann man dann noch streiten. Aber wenn ein Film kühl ist, dann ist er für diese Perspek­tive gleich „kalt“. »Der lässt ja nichts an sich rankommen« – dann ist er böse in irgend­einer Form. Etwa Haneke. Dabei ist Caché überhaupt kein kalter Film, er ist bloß distan­ziert. Was ein Unter­schied ist. Aber es müssen nicht einmal intel­lek­tu­elle Filme sein, denen man das vorwirft.

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Unzu­sam­men­hän­gende Beob­ach­tungen zu Taran­tinos Death Proof: Die Nerds mögen den Film nicht. Offene Frage ist noch, ob der Umkehr­schluss auch funk­tio­niert: Ist jeder, der den Film nicht mag, ein Nerd? Jeden­falls inter­es­sant, dass jetzt die Ratten (und die üblichen Verdäch­tigen) alle aus ihren Löchern kriechen, und ihnen einfällt, was sie an Tarantino immer schon nicht leiden konnten.

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Im Film selbst finden sich Zitate über Zitate: Wenn die Darstel­lerin Sydney Tamiia Poitier – Tochter des Vaters, auch das ein Zitat? – sich in Death Proof – Todsicher auf einem Sofa räkelt, lässt Tarantino sie exakt die gleiche Haltung einnehmen wie Brigitte Bardot auf einem Plakat über ihr an der Wand. Die Pose inter­es­siert Tarantino mehr als der Körper der Frau.

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»Es ist zwei­fel­haft, ob das Kino hierzu ausreicht; doch wenn die Welt zu einem schlechten Film geworden ist, an den wir nicht mehr glauben, kann dann nicht ein wahres Kino dazu beitragen, uns Gründe dafür zu liefern, an die Welt und die ohnmächtig gewor­denen Körper zu glauben?«
(Gilles Deleuze)

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Diese Sehnsucht nach dem „wahren“ Kino. Kann ich nicht teilen, weil diese pathe­ti­sche Vorstel­lung von Wahrheit dann doch meiner augen­blick­li­chen Stimmung fremd ist. Das Deleuze-Zitat findet sich auf der Website der documenta 12, die das Film­pro­gramm vorstellt. Kino ist ja in Deutsch­land norma­ler­weise keine Kunst, hier aber schon – bezeich­nen­der­weise aber dann wieder kuratiert von einem Öster­rei­cher. Also eigent­lich bleibt Kino in Deutsch­land keine Kunst, ist das nur für die vielen Ausländer, die ja auch nach Kassel kommen.

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Kommen wir zur Wirk­lich­keit, unserer natürlich. Langsam kommen alle aus dem Urlaub zurück, auch der film­enga­gierte Kultur­staats­mi­nister. Vor ein paar Wochen hat Bernd Neumann die Kino­pro­gramm- und Verlei­her­preise 2007 verliehen. Der Haupt­preis (20.000 Euro) für das beste Jahres­film­pro­gramm ging an das Film­theater „Scala“ aus Lüneburg. Immerhin 1,5 Millionen Euro werden hier jährlich »zum Erhalt einer kulturell anspruchs­vollen Film- und Kino­land­schaft in Deutsch­land« vergeben. Man muss das erwähnen, weil das ja im Prinzip mal eine unein­ge­schränkt gute Tat ist, und dieses Geld für die Kinos sehr sehr wichtig ist. Und weil es an dem – sonst in Deutsch­land gern rela­ti­vierten – Anspruch festhält, dass Film und Kino Kultur­güter sind, die Subven­tionen verdienen – und zwar kulturell, nicht wirt­schafts­ori­en­tierte.

Zugleich muss man da auch erwähnen, weil es natürlich unver­schämt wenig Geld ist. Das liegt, um dies auch gleich zu sagen, nicht wirklich am Kultur­staats­mi­nister.

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Jede Opern­karte wird in Deutsch­land mit 400 Euro subven­tio­niert. An die deutschen Musik­theater gingen zuletzt rund 4 Milli­arden, also 4.000.000.000 Euro öffent­liche Subven­ti­ons­gelder. Nicht subven­tio­niert wird dabei selbst­ver­s­tänd­lich der Boulevard, die Operette, oder die beliebten Musi­cal­paläste die dann „Cats“ oder „Das Phantom der Oper“ aufführen.
An den deutschen Film gehen nur 200 Millionen im Jahr. Und geschätzte 150 Millionen davon, also Drei­viertel des Geldes, sind Unter­s­tüt­zung für jene Filme, die „Cats“ oder dem „Phantom der Oper“ entspre­chen.
Es geht hier jetzt auch überhaupt nicht darum – belieb­testes Gegen­ar­gu­ment –, »die Kunst­formen gegen­ein­ander auszu­spielen.« Natürlich sollen Oper, Theater und Ballett nicht weniger, sondern das Kino mehr Geld erhalten. Worum es aber unbedingt geht, ist die Verwen­dung öffent­li­cher Gelder. Und es geht um eine Aner­ken­nung des Films als Kulturgut, die über Lippen­be­kennt­nisse hinaus­reicht. Es geht um Kultur­po­litik, darum, dass die derzei­tigen Entschei­dungen bestimmte Kunst­formen privi­le­gieren – grob gesagt die aris­to­kra­ti­scheren, zur Reprä­sen­ta­tion taug­li­chen. So entsteht eine Reprä­sen­ta­ti­ons­kunst, zum Wohl­fühlen, eine radikale Off-Kunst für den Nerven­kitzel und daneben Main­stream für die Masse. Letztere Aufgabe soll das Kino erfüllen.

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Damit sich keiner Illu­sionen macht: Schon in seinem Minis­te­rium entscheidet Neumann nicht allein. Schön wäre das, dann müsste sich, wer Film liebt, weniger Sorgen machen. Mindes­tens ebenso wichtig wie der Minister sind aber seine Hilfs­truppen – mit perfekten direkten Drähten zur soge­nannten deutschen „Fimin­dus­trie“.
Diese Illusion von einer deutschen Kino­in­dus­trie ist bei genauerem Hinsehen völlig albern. Denn auch sämtliche soge­nannte „große“ Medi­en­kon­zerne hängen am Subven­ti­ons­tropf der öffent­li­chen Hand: Die Contantin so wie die Bavaria, und selbst­ver­s­tänd­lich alle öffent­li­chen Fern­seh­sender, die ja bekann­ter­maßen längst unter der Hand als Groß­pro­du­zenten, Finan­ciers und Rechtehändler auftreten, und der heimi­schen „Industrie“ Konkur­renz machen.

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Es steht ja bald, daran sollten alle Inter­es­sierten denken, die Novelle der deutschen Film­för­de­rung, kurz FFG genannt an. Da werden die Gelder verteilt, und es sieht nicht danach aus, als ob sich etwas an der Tatsache ändert, dass die Förder­ge­setze gezielt schiere Größe zum Kriterium macht, etwa beim neuen Förder­fond. D.h.: Wer keinen Riesen­etat hat, erfüllt die Voraus­set­zungen nicht – es geht also darum, gezielt Groß­pro­duk­tionen anzu­spre­chen, die Gelder ausgeben, für die man zehn oder mehr Autoren­filme drehen könnte. Und die Lobby­isten stehen bei Neumann natürlich längst schon wieder auf der Matte.
Wer Lust hat, sich da doch noch einzu­mi­schen, und die grauen Herren in den grauen Anzügen ein wenig zu ärgern, kann seine Meinung (oder Proteste) an das BKM mailen.

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Gibt es eigent­lich überhaupt Filme­ma­cher, die Filme »nur für sich selbst« machen? Wir wissen von ihnen jeden­falls nichts. Viele machen es natürlich unfrei­willig. Aber: Filme sind grund­sätz­lich ein Kommu­ni­ka­ti­ons­an­gebot. Kommu­ni­ka­tion kann natürlich miss­lingen. Man versteht sie nicht oder versteht sie falsch. Was ist schlimmer?

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Mein Gott, war das heute wieder humorlos hier.

(To be continued)