Cinema Moralia – Folge 6
»Halten sie Ihre Taschentücher bereit!« |
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Räkeln wie die Bardot: Death Proof | ||
(Foto: Senator Film Verleih) |
Weinen im Kino. Es soll ja Leute geben, die würden sagen, sie gehen ins Kino, um zu weinen. Gern wird dann Kafka zitiert: »Im Kino gewesen, geweint«… Weinen ist der Ausweis von Qualität. Haben Sie geweint? »In diesem Film habe ich geweint« schreiben die Leute in Deutschland in Pressetexte hinein, für uns Journalisten. Für mich ist das mehr ein Grund, den Film zu meiden, vor allem wenn das dann Leute wie Veronika Ferres sagen. Dann kann man davon ausgehen: Es wird ein Riesenscheißdreck.
In solchem Tränen-Exhibitionismus liegt auch viel Narzissmus drin: »Hey ich bin zu großen Gefühlen fähig.« Eine Form sich selbst zu promoten. Es gibt dann auch diese Premierenberichterstattung, wo das Gleiche dann ganz normale Leute nachplappernn, weil es ihnen die Prominenten vormachten. Dort funktioniert dann die Abrichtung durch die Allianz von Marketing und Boulevard: »Da bleibt sicher kein Auge trocken. … Halten sie Ihre Taschentücher bereit!« Ein Fall von Bewusstseinsindustrie.
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Zudem ist dies natürlich auch ein spezifisches und sehr einseitiges Verständnis von Kino, das Kino dann auf Gefühle festlegt, und zwar auf eine bestimmte Art, oft auch sehr einseitiger Gefühle.
Falsche oder echte Gefühle? Da kann man dann noch streiten. Aber wenn ein Film kühl ist, dann ist er für diese Perspektive gleich „kalt“. »Der lässt ja nichts an sich rankommen« – dann ist er böse in irgendeiner Form. Etwa Haneke. Dabei ist Caché überhaupt kein kalter Film, er ist bloß distanziert. Was ein Unterschied ist. Aber es müssen nicht einmal intellektuelle Filme sein, denen man das vorwirft.
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Unzusammenhängende Beobachtungen zu Tarantinos Death Proof: Die Nerds mögen den Film nicht. Offene Frage ist noch, ob der Umkehrschluss auch funktioniert: Ist jeder, der den Film nicht mag, ein Nerd? Jedenfalls interessant, dass jetzt die Ratten (und die üblichen Verdächtigen) alle aus ihren Löchern kriechen, und ihnen einfällt, was sie an Tarantino immer schon nicht leiden konnten.
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Im Film selbst finden sich Zitate über Zitate: Wenn die Darstellerin Sydney Tamiia Poitier – Tochter des Vaters, auch das ein Zitat? – sich in Death Proof – Todsicher auf einem Sofa räkelt, lässt Tarantino sie exakt die gleiche Haltung einnehmen wie Brigitte Bardot auf einem Plakat über ihr an der Wand. Die Pose interessiert Tarantino mehr als der Körper der Frau.
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»Es ist zweifelhaft, ob das Kino hierzu ausreicht; doch wenn die Welt zu einem schlechten Film geworden ist, an den wir nicht mehr glauben, kann dann nicht ein wahres Kino dazu beitragen, uns Gründe dafür zu liefern, an die Welt und die ohnmächtig gewordenen Körper zu glauben?«
(Gilles Deleuze)
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Diese Sehnsucht nach dem „wahren“ Kino. Kann ich nicht teilen, weil diese pathetische Vorstellung von Wahrheit dann doch meiner augenblicklichen Stimmung fremd ist. Das Deleuze-Zitat findet sich auf der Website der documenta 12, die das Filmprogramm vorstellt. Kino ist ja in Deutschland normalerweise keine Kunst, hier aber schon – bezeichnenderweise aber dann wieder kuratiert von einem Österreicher. Also eigentlich bleibt Kino in Deutschland keine Kunst, ist das nur für die vielen Ausländer, die ja auch nach Kassel kommen.
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Kommen wir zur Wirklichkeit, unserer natürlich. Langsam kommen alle aus dem Urlaub zurück, auch der filmengagierte Kulturstaatsminister. Vor ein paar Wochen hat Bernd Neumann die Kinoprogramm- und Verleiherpreise 2007 verliehen. Der Hauptpreis (20.000 Euro) für das beste Jahresfilmprogramm ging an das Filmtheater „Scala“ aus Lüneburg. Immerhin 1,5 Millionen Euro werden hier jährlich »zum Erhalt einer kulturell anspruchsvollen Film- und Kinolandschaft in Deutschland« vergeben. Man muss das erwähnen, weil das ja im Prinzip mal eine uneingeschränkt gute Tat ist, und dieses Geld für die Kinos sehr sehr wichtig ist. Und weil es an dem – sonst in Deutschland gern relativierten – Anspruch festhält, dass Film und Kino Kulturgüter sind, die Subventionen verdienen – und zwar kulturell, nicht wirtschaftsorientierte.
Zugleich muss man da auch erwähnen, weil es natürlich unverschämt wenig Geld ist. Das liegt, um dies auch gleich zu sagen, nicht wirklich am Kulturstaatsminister.
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Jede Opernkarte wird in Deutschland mit 400 Euro subventioniert. An die deutschen Musiktheater gingen zuletzt rund 4 Milliarden, also 4.000.000.000 Euro öffentliche Subventionsgelder. Nicht subventioniert wird dabei selbstverständlich der Boulevard, die Operette, oder die beliebten Musicalpaläste die dann „Cats“ oder „Das Phantom der Oper“ aufführen.
An den deutschen Film gehen nur 200 Millionen im Jahr. Und geschätzte 150 Millionen davon, also
Dreiviertel des Geldes, sind Unterstützung für jene Filme, die „Cats“ oder dem „Phantom der Oper“ entsprechen.
Es geht hier jetzt auch überhaupt nicht darum – beliebtestes Gegenargument –, »die Kunstformen gegeneinander auszuspielen.« Natürlich sollen Oper, Theater und Ballett nicht weniger, sondern das Kino mehr Geld erhalten. Worum es aber unbedingt geht, ist die Verwendung öffentlicher Gelder. Und es geht um eine Anerkennung des Films
als Kulturgut, die über Lippenbekenntnisse hinausreicht. Es geht um Kulturpolitik, darum, dass die derzeitigen Entscheidungen bestimmte Kunstformen privilegieren – grob gesagt die aristokratischeren, zur Repräsentation tauglichen. So entsteht eine Repräsentationskunst, zum Wohlfühlen, eine radikale Off-Kunst für den Nervenkitzel und daneben Mainstream für die Masse. Letztere Aufgabe soll das Kino erfüllen.
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Damit sich keiner Illusionen macht: Schon in seinem Ministerium entscheidet Neumann nicht allein. Schön wäre das, dann müsste sich, wer Film liebt, weniger Sorgen machen. Mindestens ebenso wichtig wie der Minister sind aber seine Hilfstruppen – mit perfekten direkten Drähten zur sogenannten deutschen „Fimindustrie“.
Diese Illusion von einer deutschen Kinoindustrie ist bei genauerem Hinsehen völlig albern. Denn auch sämtliche sogenannte „große“
Medienkonzerne hängen am Subventionstropf der öffentlichen Hand: Die Contantin so wie die Bavaria, und selbstverständlich alle öffentlichen Fernsehsender, die ja bekanntermaßen längst unter der Hand als Großproduzenten, Financiers und Rechtehändler auftreten, und der heimischen „Industrie“ Konkurrenz machen.
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Es steht ja bald, daran sollten alle Interessierten denken, die Novelle der deutschen Filmförderung, kurz FFG genannt an. Da werden die Gelder verteilt, und es sieht nicht danach aus, als ob sich etwas an der Tatsache ändert, dass die Fördergesetze gezielt schiere Größe zum Kriterium macht, etwa beim neuen Förderfond. D.h.: Wer keinen Riesenetat hat, erfüllt die Voraussetzungen nicht – es geht also darum, gezielt Großproduktionen anzusprechen, die Gelder ausgeben, für
die man zehn oder mehr Autorenfilme drehen könnte. Und die Lobbyisten stehen bei Neumann natürlich längst schon wieder auf der Matte.
Wer Lust hat, sich da doch noch einzumischen, und die grauen Herren in den grauen Anzügen ein wenig zu ärgern, kann seine Meinung (oder Proteste) an das BKM mailen.
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Gibt es eigentlich überhaupt Filmemacher, die Filme »nur für sich selbst« machen? Wir wissen von ihnen jedenfalls nichts. Viele machen es natürlich unfreiwillig. Aber: Filme sind grundsätzlich ein Kommunikationsangebot. Kommunikation kann natürlich misslingen. Man versteht sie nicht oder versteht sie falsch. Was ist schlimmer?
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Mein Gott, war das heute wieder humorlos hier.
(To be continued)