Cinema Moralia – Folge 7
Zerdehnte Zeit |
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Vivere von Angelina Maccarone | ||
(Foto: Stardust Filmverleih) |
Verrat an der Uckermark! Mein Gott, die Berliner Regisseure die beuten die Uckermark so einfach aus. Sowas! Jetzt schlagen einzelne Filmkritiker endlich zurück und den Filmemachern ihr Versäumnis um die Ohren. Nach Thomas Arslans Ferien bekommt nun Ann-Kristin Reyels in Kritiken zu hören, dass Land und Leute zuwenig in ihrem Film vorkommen, und dass Josef Hader als Österreicher erkennbar ist. Aber warum ist das eigentlich schlimm? Wollen wir wieder Heimatfilme, oder möchte man jetzt auch ethnographische Correctness?
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Unter Gebühr gewürdigt wurde auch der Film Vivere von Angelina Maccarone. Maccarone, Berliner Regisseurin mit italienischen Ahnen, portraitiert darin drei Frauen, die die Liebe neu und dabei sich selbst entdecken. Mit viel Mut zu Zwischentönen erzählt sie eine warmherzige Geschichte aus drei Perspektiven, in denen jeweils eine der drei Frauen im Zentrum steht, und die auch deren
subjektiven Wahrheiten mit zeigt – so etwa sieht die gleiche gemeinsame Szene unterschiedlich aus, um die persönliche Sicht der Figur wiederzugeben. Zwischen der ausgebrannten Gerlinde (Hannelore Elsner) und dem sorglosen Teenager Antoinetta (Kim Schnitzer) begegnet man Francesca. Das sensible, beeindruckende Spiel von Esther Zimmering in der Hauptrolle aber macht diese zum emotionalen Zentrum des Films.
VIVERE spielt übrigens an einem Heiligabend in Rotterdam. Trotzdem
kommen keine Weihnachtmänner und nur ein Holländer vor.
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Was ist ein Programmkino? Und was ist ein Arthouse-Film? Die FFA – zur Erinnerung: Das ist die »FilmFörderAnstalt« des Bundes – hat neulich ihre »Programmkinostudie 2006« veröffentlicht (Unter www.ffa.de zum Download). In der Pressemitteilung heißt es unter der gutgelaunten Überschrift »Arthouse-Kinos im Aufwind« noch gutgelaunter: »Größere Spielstätten, mehr Kinobesucher – Arthouse-Kinos werden immer beliebter. … die bundesweite Anzahl der Programmkinosäle 2006 [ist] im Vergleich zum Vorjahr um 9,2 Prozent auf 660 Leinwände gestiegen. Auffallend ist dabei insbesondere ein Anstieg der Spielstätten mit mehr als einem Kinosaal: Ende 2006 verfügen bereits 78 Prozent aller Programmkinos über mehr als eine Leinwand. Auch beim Publikum der Programmkinos ist ein Aufwärtstrend zu beobachten. So konnte das Arthouse-Segment im vergangenen Jahr mit einem zweistelligen Besucherplus von 17,7 Prozent aufwarten und liegt damit deutlich über dem bundesweiten Besucheranstieg von 7,4 Prozent.«
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So weit, so halbrichtig. Denn wenn man genauer hinschaut, sieht man, dass sich »Programmkino« inzwischen auch Spielstätten schimpfen, die vor nicht langer Zeit noch den üblichen 08/15-Hollywood-Trash gespielt hätten. Und auch Cineplexe spielen Arthousefilme, weil Hollywood so schlecht läuft.
Zweite Frage ist, ob denn das wirklich alles Arthousefilme sind, was die FFA so nennt? Noch einmal die Studie: »Das Leben der Anderen, Wer früher stirbt ist länger tot und Deutschland. Ein Sommermärchen – gleich drei deutsche Filme erklärten die Programmkinobesucher laut FFA-Studie im vergangenen Jahr zu ihren absoluten Favoriten.« Noch
Fragen?
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Bourne 3, Piraten Der Karibik 3, Shrek 3, Spider-Man 3 , Stirb langsam 4, Ocean’s 13 – Harry Potter 5, der auf fünften Mal auf dem Besen über die Kinoleinwände reitet, ist nur die Spitze eines Eisbergs. In den Kinos der Welt ist in diesem Sommer endgültig die
Sequelitis ausgebrochen, die Fortsetzungsmanie. Und 2007 ist das Jahr der dritten Teile.
Nicht immer sind da aller guten Dinge wirklich drei. Etwa Shrek der Dritte langweilt viele Fans der ersten Teile. Weil man es vermeintlich aber eben trotzdem »gesehen haben muss« sind solche Fortsetzungen aber wirtschaftlich eine sichere Bank für die angeschlagenen Groß-Studios, denen
zuletzt an den Kinokassen oft die Felle wegschwammen.
Zudem lockt das Publikum die wohlige Sicherheit in der Unübersichtlichkeit des Lebens. Man glaubt, beim Sequel nicht die Katze im Sack zu kaufen, sondern zu wissen, was einem im Kino bevorsteht.
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»Harry Potter« ist einfach eine Marke. Dann gibt es halt Nummer 3 und 5 und 7. Man weiß dann schon: Folge 3 wird ziemlich ähnlich sein wie Folge 1 und 2 und man sucht diese Ähnlichkeit auch wieder. Man sucht Vertrautheit, man sucht Wiederholung. Es ist eine Sehnsucht nach einer Ritualisierung damit verbunden und damit, dass es Teil von einem wird. Das es zu einem gehört. – so kommentiert kühl der Kulturwissenschaftler Wolfgang Ullrich von der Karlsruher Hochschule für Gestaltung. In seinem Buch »Habenwollen. Wie funktioniert die Konsumkultur?« (S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2006) hat er zuletzt auf die Ähnlichkeiten von Kunstbetrieb und Warenwelt hingewiesen. Und Filme, und nicht nur sie, sind, so Ullrich eine Marke: »Marke heißt Vertrauensstiftung. Ich weiß genau, was mich erwartet, ich muss nicht Angst haben, dass es der große Flop wird. Natürlich: Wenn das Marketing es schafft, mit einer Marke wieder entsprechende Phantasien zu verbinden, dann heißt das, dass ich entsprechende Phantasien erzählt bekomme, dann bin ich besonders cool oder trendy. Deshalb: Wenn ich dann jedes Jahr wieder so nen Harry Potter Film konsumiere, kann das, was mit dieser Marke verbunden ist, auch auf mich übertragen. Das ist nicht nur irgend ein Stück Kultur. Es gehört zu mir. Damit ist es eine Intensitätsstrategie, wenn man diese Fortsetzungen schafft.«
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Der derzeitige Boom der Sequels im Kino ist aber darüber hinaus auch Indiz für einen grundsätzlichen Strukturwandel der Filmindustrie: Blockbuster werden Franchise-Produkte und funktionieren wie ein Label. Der Begriff des Franchising passt hier auch deshalb, weil die genannten Filme immer nur eine (und nicht immer zentrale) Säule in einer ganzen Produktpalette sind: für DVD’s und Fernseh-Rechte, Soundtracks und Computerspiele, Figuren und anderes Spielzeug, Klamotten, Fast-Food- Happy Meals, etc sind sie vor allem gehobene Werbetrailer. Und Analog zur Kolonisierung der Innenstädte mit Franchise-Unternehmen wie zum Beispiel McDonalds, H&M, Saturn, werden auch immer mehr Kinos von immer weniger Filmen erobert – und über Wochen dominiert. In einem Multiplex läuft derselbe Film oft in drei, vier Kinos zugleich.
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Die »Sequelitis« und der Franchiseboom sind zugleich Ausdruck eines grundlegenden Wandels unserer Kultur. Auch Bestsellerautoren werden zunehmend zur Marke, und wenn zum Beispiel das das Guggenheim-Museum inzwischen sechs Filialen besitzt, der Louvre in Abu Dhabi eine Dependence aufmacht, oder das New Yorker MoMa über den Sommer in Berlin seine Impressionisten zeigt und dabei immer darauf achtet, dass der Name MoMa nicht vergessen wird, so ist das auch nichts prinzipiell
anderes.
Auch die Kunst globalisiert sich, und eine bekannte Marke bedeutet hier Umsatzgarantie. Und während die Macher ideenarm und risikoscheu lieber auf die sichere Bank setzen, ob Impressionisten oder Harry Potter, ist auch das Publikum zufrieden: Wenn sich das Immergleiche wiederholt, ist man immerhin vor störenden Überraschungen gefeit – allerdings auch vor Entdeckungen. Doch irgendwann geht es auch mit Harry Potter zuende und mit Ocean 22 muss man wahrscheinlich
nicht rechnen.
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Die Treppe in Odessa. Gesichter in Großaufnahme von Klagenden, Sterbenden, Blutüberströmten. Die zerschossene Brille. Das schreiende Kind, niedergetrampelt von herz- und gesichtslosen Kosaken. Der Kinderwagen, der furchtbar langsam, aber immer schneller die Stufen hinunterrollt. Die drei steinernen Löwen, die sich schnell hintereinandergeschnitten, zu erheben scheinen. Die riesigen Kanonenrohre des Panzerkreuzers, in die die Kamera hineinblickt. Die Fahne, deren
gleißendes Rot das Schwarzweiß des Films förmlich zerreißt. Jeder hat ein paar dieser Bilder im Kopf, seit Sergej Eisensteins Panzerkreuzer Potemkin im Januar 1926 im Moskauer Bolschoi-Theater uraufgeführt wurde, und von da an um die Welt ging.
Eine Intensitätsstrategie anderer Art: Eine Kino-Ikone, der Prototyp für suggestive Montage, für absolut moderne, an
Fotografie und Malerei der europäischen Avantgarde geschulte Kameraaufnahmen und ein revolutionäres Massenkino, das zumindest scheinbar den Gegentyp der schon damals sentimentalisierenden individualistischen Hollywoodstorys bildete.
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Sieht man noch einmal hin, erkennt man, dass auch Eisenstein seine Massen immer individualisiert, dass es Personen mit Einzelschicksalen sind, die hier fürs Allgemeine stehen. Und auch künstlich erzeugte, jedenfalls manipulierte Gefühle sind Eisenstein nicht fremd. Dieser Regisseur kannte alle Tricks, und neben vielem anderen ist Panzerkreuzer Potemkin ein erstaunlich
cooler Film.
Jetzt hat Transit Classics in einer »Deleuxe Edition« die zur Zeit beste Rekonstruktion des Films besorgt – in hervorragender Bild- und Tonqualität mit Ernst Meisels Musik der deutschen Fassung, die im Gegensatz zu den drei russischen Vertonungen in Zusammenarbeit mit Eisenstein entstand (Sergej Eisenstein: Panzerkreuzer Potemkin. Das Jahr 1905; UdSSR
1925; Rekonstruierte Fassung mit neubearbeiteter Musik; Transit Classics – Deleuxe Edition). Das Bonusmaterial besteht aus einem ziemlich informativen Booklet und einer Dokumentation, die dagegen doch eher etwas für Spezialisten ist, sich arg mit Feinheiten der Restauration aufhält und dabei das Ganze des Films etwas aus dem Blick verliert.
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»Rhythmus, Rhythmus, Rhythmus« – so hieß das künstlerische Credo, nach dem Eisenstein seinen Film in aus heutiger Sicht unglaublichen nur sechs Monaten in der zweiten Jahreshälfte 1925 schrieb, drehte und schnitt. Es war Eisensteins zweiter Film nach STREIK, und der Regisseur beherrscht seine Mittel perfekt: Bilder nahe der Abstraktion, die die Welt in Linien und Muster gliedern, schräge Perspektiven, vor allem ein Schnitt, der die Zeit zerdehnt bis sie zu reißen scheint, und damit auch das Modell für Hitchcock und alle ihm nacheifernden Suspense-Thriller bildet.
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Ein Propagandafilm? Man schreibt das so leicht hin. Die Bilder selbst zeigen etwas anderes. Sie zeigen einen Film über Angst und ihre Überwindung. Und über die moralische Frage, ob Truppen aufs eigene Volk schießen dürfen und Soldaten auf ihre Kameraden.
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Noch einmal Wolfgang Ullrich: »Es gibt zwei Tendenzen. Das hat natürlich eine Uniformierung zur Folge. Franchise gibt es klare Regeln… Es gibt andererseits genauso die Tendenz, dass die Künstler aus spezifischen Regionen eine besondere Chance haben Anselm Kiefer ist das Label für deutsche Kunst in Amerika oder Jeff Wall registrieren wir hier als den großen Kanadier. Grade das Regionale, Lokale oder das Individuelle … das hat auch seine Faszination.«
(To be continued)
Rüdiger Suchsland