26.06.2007
24. Filmfest München 2007

97 Prozent schwimmen einfach oben

The Big Bad Swim
Tiefgründig: The Big Bad Swim

Nach Halbzeit des Festivals

Von Nani Fux

Dieses Münchener Filmfest begann mit einem Frage­zei­chen: Der erste Film, den ich in einer Pres­se­vor­füh­rung zu Gesicht bekam, war der spani­schen Produk­tion YO – Ich. Eine Art Psycho­thriller. Wie gesagt: eine Art. Der Plot ist schnell umrissen. Der Deutsche Hans (großartig mit Schnauzer und säch­selndem Einschlag: Alex Brendmühl) kommt in ein Dorf auf Mallorca, um Arbeit zu finden. Einen Job hat er auch schon: Bei einem erfolg­rei­chen Landsmann, soll er als eine Art Bursche für alles fungieren. Dieser macht ihm seine Stellung schnell klar, indem er ihm einen Kescher zum reinigen des Swim­ming­pools in die Hand drückt, bevor Hans überhaupt seine beschei­dende Reise­ta­sche abstellen kann.

In dem Haus, das Hans bezieht scheint das beste Zimmer noch vor seinem Vorgänger belegt. Der heißt ausge­rechnet ebenfalls Hans, und scheint sich in Luft aufgelöst zu haben. Hans 2 übernimmt nicht nur seinen Job, er verliebt sich auch in dessen Geliebte, eine Bedienung aus der örtlichen Bar, obschon er mit deren Kollegin schläft. Und er »erbt« einen alten Mann, einen demenz­kranken Dorf­be­wohner, der der offenbar zu Hans 1 ein inniges Verhältnis pflegte und allnächt­lich vor der Tür steht – über­rascht ob des Unbe­kannten, den er antrifft.

Die Anzeichen häufen sich, dass es bei dem verschwinden von Hans 1 nicht mit rechten Dingen zuge­gangen ist. Und schließ­lich legen rost­far­benes Wasser und ein Unter­was­ser­ant­litz in der Zisterne nahe, dass er sogar ermordet wurde. Doch von wem? Oder ist all das nur eine düster Ausgeburt der Phantasie, und Hans 2 verliert allmäh­lich den Verstand. Dubiose Reinkar­na­ti­ons­hin­weise liefert überdies der Alte, und irgend­wann steht Hans 2 im Film auf und spricht in Zungen – in mallor­qui­ni­schen versteht sich. Von Ferne winkt diskret David Lynch.

Verwirrt verlasse ich das Film­mu­seum. Neben mir runzelt ein Paar synchron die Stirn: Also war Hans jetzt eine Art Reinkar­na­tion – oder wie? Fragt die Frau. Ihr Begleiter weiß es nicht – und ich ebenso wenig. Fazit: Tolle Schau­spieler, tolle Atmo­sphäre, spannend außerdem. Aber wer auf einen Plot mit Lösung hofft, möge sich das Genze getrost ersparen.

Der Haupt­dar­steller begegnet mir wenige Tage später erneut in einer weiteren spani­schen Produk­tion 53 Winter Days. In der Ausgang­s­zene begegnen sich drei Menschen im nächtlich winter­li­chen Barcelona, die Zeuge werden, als ein äußerst herzloser Mensch, seinen Hund aussetzt. Wachtmann Celso, gespielt von Alex Brendmühl, jetzt mit Vollbart statt Schnauzer, nimmt ihn mit heim. Die anderen zwei sind eine Dozentin, die nach einem Eklat mit aufmüp­figen Schülern an die Schule zurück­kehrt und sogleich erneut Probleme hat, sowie eine junge Cellistin, die eine Affäre mit ihrem weitus älteren un verhei­ra­teten Diri­genten hat. Gleich­zeitig muss sie sich um ihre depres­sive Mutter kümmern, die ihr Mann deli­ka­ter­weise ebenfalls für eine jüngere Geliebte verlassen hat. Das Leben der drei gerät aus der Bahn, bis sie auf die ein oder andere Weise wieder die Kurve kriegen. Das freut einen für die sympa­thi­schen und authen­tisch gespielten Prot­ago­nisten, und tatsäch­lich sind die Probleme, mit denen sie sich herum­schlagen, auch nicht banal – aber wirklich bewegt hat es nicht. Mich zumindest.

Ganz anders Dear Mr. Waldman, das Regie­debüt des israe­li­schen Dreh­buch­au­toren Hanan Peled, der hier seine eigene Lebens­ge­schichte verar­beiten – und diese ungern in die Hände eines anderen Regis­seurs legen wollte. Er erzählt die Geschichte eines Jungen im Israel der 60er Jahre, dessen Eltern beide Holo­caust­ü­ber­le­bende sind. Doch während die Mutter bereits Auschwitz in der Gaskammer stand – und durch glück­liche Fügung mit dem Leben davon kam, überlebte ihr Mann Moische, weil er für die Deutschen als Buch­binder arbeitete, während seine erste Frau nebst Sohn erschossen wurden. Moische fühlt sich seither schuldig – eine Empfin­dung, die er mit vielen Holo­caust­ü­ber­le­benden teilt. Und dann entdeckt er in einer Zeitung an der Seite des Präsi­denten Kennedy einen Mann, der Walsmann heißt, wie er, und sein auf geheim­nis­volle Weise über­le­bender Sohn sein könnte. Moische schreibt einen Brief nach Amerika. Die Geschichte, die sich aus dieser fixen Idee entspinnt, ist ebenso aben­teu­er­lich wie komisch. Vor allem aber eines: anrührend.

Mien persön­li­cher Favorit des Festivals – so far – ist jedoch der Film The Big Bad Swim aus der Reihe American Inde­pend­ents. Eine Gruppe erwach­sener Nicht­schwimmer findet sich zu einem Schwimm­kurs zusammen. Ihre Gründe für ihr bishe­riges Dasein als Nicht­schwimmer sind viel­fältig. Die eine wollte sich ungern im Badeanzug zeigen, die nächste hat einen Cousin, der als Kind ertrunken ist und ein anderer findet Wasser »fuckin’ petri­fying, man«.

Jeder von ihnen hat sein Päckchen zu tragen – auch der Schwimm­lehrer Noah, den, so erfährt man im Verlauf des Films, eine Knie­ver­let­zung die Karriere als Olym­pia­teil­nehmer gekostet hat. Die Lehrerin, die in der Scheidung steckt und neben ihrem Mann auch noch ihren Job verliert. Die glücklich wirkende Ehefrau, die dem Konzept Ehe nach 23 Jahren nur einen finger­hut­großen Vorteil gegenüber dem Single­leben einräumt. Am wenigsten schein zumindest das Mädchen an der Backe zu haben, das als Strip­perin arbeitet. Sie nervt eigent­lich nur ihr kleiner Bruder – im Übrigen ein Schüler der anwe­senden Lehrerin aus dem Kurs – der unbedingt ein Video für die Schule über sie drehen will.

»97 Prozent aller mensch­li­chen Körper sind so gebaut, dass sie von ganz allein über Wasser bleiben«, versucht Noah seine ängst­li­chen Eleven zu beruhigen. Und das gilt vermut­lich auch für das Leben an sich. Und die übrigen? Müssen tief Luft holen. Das Vertrauen darauf, dass das Wasser, das Leben, einen schon tragen wird, ist der Schlüssel dafür, nicht unter zu gehen. Und so endet die Halbzeit des Festivals für mich zumindest statt mit einem Frage­zei­chen mit einer Antwort: Auf die univer­selle Frage danach, wie man Schwie­rig­keiten meistert: Tief Luft holen und darauf vertrauen, dass man irgendwie oben bleibt.

Nani Fux