61. Filmfestspiele Cannes 2008
Wenders' Tod in Palermo |
||
Lässt auch Campino ziemlich alt aussehen: Palermo Shooting | ||
(Foto: Senator) |
So etwas erlebt man in Cannes nicht oft: Höhnisches Gelächter kommentierte sarkastisch einzelne Dialoge, und am Ende der Pressevorführung von Wim Wenders' neuem Film Palermo Shooting, der seine offizielle Premiere am Samstagabend im Wettbewerb von Cannes erlebt, rührte sich kaum eine Hand zum Applaus, stattdessen gab es ein Buhkonzert.
+ + +
Wenn der Deutsche gefühlig wird, vergreift er sich an Italien. Und auch die vielleicht besten beiden deutschen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, Thomas Mann und Wolfgang Koeppen, konnten es nicht lassen, existentielle Stoffe im Land, wo die Zitronen blühen, anzusiedeln, genauer gesagt in den zwei Weltkulturstädten Rom und Venedig. Im Fall von Palermo liegen die Dinge ein wenig anders, aber auch Palermo Shooting könnte gut und gerne »Tod in Palermo« heißen. Auch dies ist eine morbide Meditation über den Tod, auch hier steht ein deutscher Künstler im Zentrum, der von Lebensüberdruss und Todesahnung gequält wird, nach Italien reist, und dort zuerst eine Liebe findet und dann dem Tod begegnet. Das allerdings ist aber auch wirklich alles, worin man Wenders' Film mit den beiden meisterlichen Vorläufern vergleichen kann.
+ + +
Palermo Shooting ist in jeder Hinsicht Seniorenkino: Alte Autos, alte Kameras, alte Häuser, alte Männer, und auch Wenders' Bilder sehen alle mindestens 30 Jahre alt aus. Ein Quasselfilm, dessen erbärmliche Dialogqualität den Zuschauer von Anfang an quält. Ein Beispiel: »Träume – sind das nur elektrische Gewitter im Gehirn? Oder steckt mehr dahinter?« Oder: »Man muss alles todernst nehmen.« Oder, in Campinos schlechtem Englisch: »Cool! A city on a hill.« Mit einem Wort: Gymnasiastenpoesie. Oder: »Die Zeit schert sich einen Dreck um uns« – oh bitte lieber Gott, lass Wim Wenders wieder mit Handke schreiben, dann ist das esoterische Geschwurbel wenigstens besser formuliert.
Im Zentrum steht ein Düsseldorfer Fotograf mit dem typisch Düsseldorfer Namen Finn Gilbert, ein Typ, der von allen Frauen verehrt und begehrt wird, ein Klugscheißer, der sich nichts sagen lässt und der nicht zuhören kann. »Diese Bilder sind nur Oberfläche«, lehrt er seine Studenten an der Akademie, er ist also, das macht der Film klar, ein böser Böser, denn er manipuliert die Wahrheit.
Neben dem Computer liegt des öfteren mal ein Totenschädel, das ist dann Wenders' Form von Symbolismus. Sein Film zeigt die ganze Welt als von Sinn erfüllt, ein Reich der Zeichen, die sämtlich aufeinander bezogen sind, und ein geschlossenes Ganzes ergeben, einen wohlgeordneten Text weben. Diese Wohlgeordnetheit ist der wahre Schrecken des Films. Vor allem macht Wenders ein Geheimnis aus dem Offensichtlichen, und während auch der letzte Zuschauer kapiert hat, dass Hopper der Tod ist, ist die Hauptfigur bis zum Ende ein ahnungsloser Idiot.
Am Ende trifft Finn den Tod, der sich als ein großer Aufnahmeleiter entpuppt. Jetzt hat nämlich auch die Stunde des Mediendiskurses geschlagen, in der der Tod zum Moralprediger wird: Photos seien Death at work, das Digitale »is open to manipulation ... you lost the essence ... you are afraid by the real existing world ... you try to recreate. That is the fear of death.« Aha! An sich wäre ja dieser kulturkonservative Eintopf der Erörterung wert, wenn er nicht ästhetisch so erbärmlich wäre. Und wenn Wenders nicht selbst fortwährend mit den Bildern tricksen und sie bearbeiten würde, wo er inhaltlich doch so auf Authentizität erpicht ist. Aber Wenders hat ein etwas stumpfes Beharren darauf nichts dazu lernen zu müssen, das mit den Jahren immer sturer wirkt.
+ + +
Noch einmal schwoll das Buh des Publikums an: Als ganz am Ende des Films ein Insert erschien, das jenseits aller Geschmackfragen jeder im Saal als eine echte Beleidigung empfand: »Gewidmet Ingmar Bergman und Michelangelo Antonioni«.
+ + +
Diese Bemerkung ist verräterisch, Antonioni und Bergman hinterlassen auch gar keine Spuren in diesem Film. Natürlich kann man sagen: Das siebente Siegel und L’avventura, aber Wenders spielt auch nicht mit dem Werk der beiden beiden und am Schlimmsten ist daran ist die Arschkriecherei, mit der sich Wenders hier auf die Höhe zweier Filmkünstler stellt, deren Durchschnittsarbeiten seine besten immer noch ein ganzes Stück überragen. Ist Wenders inzwischen wirklich so weit, parasitenhaft noch den Tod der beiden Kollegen für sich auszunutzen und von deren Glanz etwas Licht aufs eigene Werk fallen zu lassen?
+ + +
»Where are we? At a third class festival?« – so die spontane Reaktion von Aylin, einer der besten türkischen Kritikerinnen, auf den Film. Entsetzt sind neben den deutschen Kollegen auch Redakteure von arte und vom deutschen Fernsehen, die wir hier jetzt mal lieber nicht nennen möchten.
»Wenders hat schon seine Verteidigungslinie aufgebaut«, berichtet Jupp, der wider besseren Geschmack ein Interview geführt hat, »wer gegen den Film ist, hat Angst vor dem Tod.« Wenn’s so
einfach ist.
+ + +
Good Cop, Bad Cop – wer ein paar Krimis gesehen hat, kennt das Spiel: Um Verdächtige besser verhören zu können, operieren die Ermittler mit verteilten Rollen. Manchmal, wie in anderen Berufen auch, vermischen sich allerdings Arbeit und Leben...
Um gute und böse Polizisten, ihre Rollen und ihre bösen Spiele geht es in Surveillance der zweiten Regiearbeit (nach dem bizarren
Boxing Helena) der 1968 geborenen Jennifer Lynch, die man, solange sie diesen Beruf ausübt, immer auch als Tochter des Regisseurs David Lynch vorstellen muss – nicht nur weil der Vater den Film produziert hat. Die Regisseurin hätte sich wirklich besser einen anderen Besuch gesucht: Nach ihrem ersten Film bekam sie erst einmal fast 15 Jahre kein Bein auf den Boden – jetzt,
wenn ihr zweiter Film in einer Nebenreihe in Cannes läuft, werfen ihr böse Menschen vor, ohne den Vater wäre sie nie dorthin gekommen.
+ + +
Obwohl Jennifer Lynch auch mit diesem Film, beweist, dass sie eine Regisseurin aus eigenem Recht ist, entpuppt sie sich doch tatsächlich auch als Tochter ihres Vaters: Surveillance spielt im Lynch-Country, jenem diffusen Reich des nordamerikanischen Midwest, in weiten Landschaften, unter vulgären Menschen.
Ein grausamer Massenmord ist hier geschehen, und die drei
überlebenden Zeugen, darunter ein Polizist finden sich in einem Polizeirevier ein. Kurz darauf stoßen zwei FBI-Fahnder hinzu, die den Fall übernehmen sollen – Bill Pullman, der Star aus David Lynchs Lost Highway, spielt den einen, Julia Ormond (u.a. Fräulein Smillas Gespür für Schnee) die andere.
Sie verhören die drei Zeugen in getrennten Räumen, verbunden durch Überwachungskameras, und schnell weichen die drei Versionen ihrer Erlebnisse voneinander ab...
Auch in dieser Ecke des Lynch-Territoriums ist wenig, wie es erscheint und schnell ist klar, dass die Polizisten dieses Reviers mit vorbeifahrenden Autofahrern böse Spiele spielten – eine Art Lynch-Version von Hanekes Funny Games. Auch hier geht es um Eindringlinge, nur dass es der amerikanische Raum ist, die Psychodruckkammer Auto, in den sie eindringen. Ein brutaler, kühl und berechnend inszenierter Film, der durch Handwerk besticht, und große Momente aufweisen kann, wie einige seichte, schlecht gelungene Stellen. Und auch hier gibt es einen Sohn, der dran glauben muss. Kurz vorher, nachdem er Willkür und Demütigung seiner Eltern durch
Polizisten beobachten konnte, hatte er noch resümiert: »Wenn ich groß bin, will ich Polizist werden.«
Rüdiger Suchsland