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Weisheiten an deutschen Filmhochschulen, deutsche Filme, Woody Allen und Helene Hegemann- Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 15. Folge
"Erzähl doch etwas von Dir selber" - das ist so eine jener Weisheiten, wie sie Studenten auf Filmhochschulen gesagt bekommen, wenn sie einen Stoff suchen. Nähe zum Gegenstand, so glaubt man, befördere automatisch die Qualität der Kunst, eine Annahme, die ebenso richtig ist, wie völlig falsch. Denn jeder ist ja auch erst der Schöpfer seiner Biographie. Und das Kino ist unter allen Künsten wohl diejenige, die die erstaunlichsten Selbsterfindungen ermöglicht, zutiefst ehrlich und völlig maskenhaft zugleich, eine Zauberkunst der Verwandlung. Neulich konnte man in der Berliner Volksbühne TORPEDO ansehen, einen kurzen großen deutschen Film, in dem die Regisseurin Helene Hegemann diese Kunst vorführt, den Münchhausen-Trick, sich selbst aus dem Sumpf zu ziehen. Denn dieser Film, ihr Regiedebüt, das zuvor auf den Hofer Filmtagen Premiere hatte, ist nicht nur Kunst und ganz und gar erfunden - das ist TORPEDO auch -, er ist zugleich, wie gute Kunst sehr oft, autobiografisch.
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"Mia ist fünfzehn und stark traumatisiert" - so liest sich der Plot zu diesem Film, und weiter: "Nach dem Tod ihrer Mutter zieht sie zu ihrer Tante und wird somit in deren Leben und in die linksresignative Kulturszene Berlins katapultiert." Das ist so ziemlich genau Hegemanns eigene Geschichte, und auch wenn es die Regisseurin verständlicherweise nicht gern hört, muss man an dieser Stelle doch verraten, dass Hegemann erst 16 ist. Den Film hat sie mit 15 gedreht, mit 14 geschrieben, und als ihre Mutter starb und sie nach Berlin zog, war sie 13. "Die mögen meinen Film vielleicht nur, weil ich so jung bin." - die Furcht angesichts begeisterter Reaktionen ist verständlich, aber völlig unbegründet. Denn wüsste man es nicht besser, würde man Hegemann nach diesem Film für eine erwachsene Frau halten, die offensichtlich ein bisschen spinnt, aber das sehr produktiv, die etwas zuviel von Theater und Musik versteht, und dies alles in ihrem Film verquirlt hat, weshalb TORPEDO unglaublich tolle Szenen, aber auch ein paar missglückte Momente hat, man über manches wirklich streiten kann, aber es insgesamt doch ein ganz erstaunlicher Film ist, ohne jede Frage ein Highlight in einem recht grauen deutschen Kinojahr.
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"Bei der Berlinale 2007 kam sie um die Ecke" erzählt Susann Schimk, die TORPEDO in ihrer Berliner "Credo Film" produziert hat. Ganz ohne Filmförderung - dort lehnte man den Antrag ab - und ohne die Beteiligung eines TV-Senders, obwohl man denken würde, dass dieser Film eigentlich genau das ist, wofür Redaktionen wie das "Kleine Fernsehspiel" des ZDF einmal gegründet wurden.
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Man trieb das nötige Geld - 50.000 Euro - anders auf, die Beteiligten arbeiteten "zum kommunistischen Einheitspreis", und dafür, dass Hegemanns Schule Ja sagte, wurde ein Teil des Drehs ganz offiziell in ein "Praktikum" umgewandelt. Jetzt plant die Regisseurin bereits wieder einen neuen Film, diesmal eine "Medea"-Geschichte. Ein Hörspiel hat sie schon letztes Jahr geschrieben, ihr erster Roman soll bei Rowohlt erscheinen, und kürzlich hat sie neben Sandra Hüller die Hauptrolle im neuen Film von Nicolette Krebitz gespielt, der sich unter anderem um Ulrike Meinhof dreht, und im kommenden Jahr zu sehen sein wird.
Bei soviel Aktivität, muss sich Hegemann eher um anderes Sorgen machen, als dass man sie auf "diesen komischen Teenager-Behinderten-Bonus" reduziert. Nein, man muss sich Helene Hegemann als eine sehr ernstzunehmende Künstlerin vorstellen.
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Vor der Filmgeschichte zählt zwar nur die Qualität, doch könnte es Woody Allen mit seinem neuen Film VICKY CRISTINA BARCELONA wieder einmal zu einem größeren Erfolg auch beim Publikum und damit an der Kasse schaffen. Zwar ist auf der reinen Einnahmeseite nahezu jeder Woody-Allen-Film erfolgreicher als seine Vorgänger. Das liegt ganz einfach an der Zunahme der Eintrittspreise. Aussagekräftiger sind aber die Zuschauerzahlen. Und während in Frankreich trotz geringerer Bevölkerungszahl ein Woody-Allen-Film als Misserfolg gilt, wenn er nicht mindestens eine Million Zuschauer ins Kino lockt, gilt in Deutschland schon eine halbe Million als großer Erfolg. Die Millionengrenze knackte in Deutschland nur ein einziger Allen-Film: HANNAH UND IHRE SCHWESTERN, der auch einer seiner besten ist, und 1986 1.005.000 Zuschauer ins Kino lockte. Dahinter liegt dann schon einer von Allens neuesten Filmen: MATCH POINT an dessen 860.000 Besuchern 2005 gewiß auch Scarlett Johannsson auf dem Kinoplakat einen gewissen Anteil hatte. Das dürfte einer der Gründe dafür sein, warum sie seitdem noch zweimal - in SCOOP und jetzt wieder - dabei war. Über eine halbe Million Zuschauer gingen auch noch in PURPLE ROSE OF CAIRO (840.000), RADIO DAYS (540.000) und DER STADTNEUROTIKER (502.000). Als besondere Erfolge von Allens 41 Kinostarts seit 1969 (!) gelten auch BULLETTS OVER BROADWAY (470.000), EVERY BODY SAYS: I LOVE YOU (450.000), und MIGHTY APHRODITE (420.000). Ein durchschnittlicher Allen Film kommt auf etwa 200.000 Zuschauer, während selbst heutige Allen-Klassiker wie PLAY IT AGAIN SAM (59.000) oder MANHATTAN (152.000) unter den ökonomischen Erwartungen blieben. Der größte Mißerfolg Allens: Seine Bergman-Hommage INNENLEBEN von 1979 mit nur 13.900 Zuschauern - was für manchen deutschen Film aber schon ein relativer Erfolg wäre. Zuschauerzahlen hängen allerdings auch oft mit dem Marketing der Verleiher zusammen, die einem Film heute weit weniger Zeit geben, als früher, um sich im Kino zu entwickeln. Darum können Interessenten oft den Film gar nicht mehr sehen, weil er bereits nach wenigen Wochen im Kino durch Neues verdrängt wurde.
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Dabei lag eine der besten Allen-Perioden Ende der 90er: Großartige Allen-Filme, in denen er aber zugleich immer bitterer, ja verbittert erschien: DECONSTRUCTING HARRY war eine Allen-Dekonstruktion, CELEBRITY eine Abrechnung mit der Glamourpresse und zugleich mit jenen, die weder für ihre Werke berühmt, also Künstler, noch für sich selbst geliebt, also Stars sind, sondern "prominent" - weswegen man das gleich in der Bezeichnung dazu sagen muss. Dann kam HOLLYWOOD ENDING, der die Abrechnung mit dem anderen, dem Nicht-Woody-Allen-Kino schon im Titel trägt - und passenderweise als einer der ganz wenigen Allen Filme gar keinen deutschen Verleih fand. In Frankreich sahen ihn über eine Million. Immerhin auf DVD ist er erhältlich.
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Über das so schöne wie unendliche Thema "Der deutsche Film" kann man mal wieder morgen, Donnerstag-Abend (4.12.) diskutieren, im Rahmen des alles in allem großartigen Independent-Festivals "Around the World in 14 Films" - dessen Schwerpunkt keineswegs auf dem deutschen Film liegt. Ab 19.30 Uhr diskutieren im Berliner Kino Babylon die Journalisten Hanns Georg Rodek (Die Welt), Jan Schulz-Ojala (Tagesspiegel) und Robert Weixlbauer (Tip) das Kinojahr 2008. Ob es nun die glücklichste Idee war, mit Felix Neunzerling einen Moderator zu verpflichten, der über seine Firma "ZOOM Medienfabrik" tagtäglich PR für deutsche Filme machen muss und darf, und der von den Herren Redakteuren dann wieder Abdrucke seiner Pressemitteilungen haben möchte, ist eine andere Frage - aber wir freuen uns erstmal ganz optimistisch auf eine kontroverse, nicht schönfärbende Diskussion.
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Am sogenannten "Deutschen Abend" gibt es danach dann deutschen Filmnachwuchs zu sehen, ab 21.15 am gleichen Ort, in Form dreier mittellanger Filme, die am Freitag dann noch mal wiederholt werden: AUF DER STRECKE, SCHAUSTEINS LETZTER FILM und eben TORPEDO. Dazu haben wir oben schon alles gesagt.
(To be continued)
Rüdiger Suchsland
Unter dem Titel "Cinema Moralia" sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beobachtungen Kurzkritiken, Klatsch und Filmpolitik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kinogehers.
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