65. Filmfestspiele von Venedig 2008
Opas Kino lebt wieder... |
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Löwenmähne: Mickey Rourke in The Wrestler | ||
(Foto: Studiocanal) |
Diesmal gab es kein Happy End am Lido. Erst vor zwei Jahren hatten kluge Entscheidungen der Jury unter Präsidentin Catherine Deneuve – besonders der Goldene Löwe für Still Life von Jia Zhang-ke – einen schwachen Wettbewerb zum glücklichen Abschluss gebracht und damit unter anderem Festivalboss Marco Müller die Haut gerettet. Diesmal, nach dem schwächsten Wettbewerb seit mindestens zehn Jahren, gelang Wim Wenders kein ähnlicher Coup – wohl auch weil dieser Regisseur selbst, wenn man ehrlich ist, in den letzten 20 Jahren nicht einen Film gedreht hat, der das Kino auch nur um Zentimeter voran gebracht hätte.
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Mit überaus sicherer Hand hat die Jury um Wenders – nur im Fall der Argentinierin Lucretia Martel unter 50 Jahre alt – jene Filme ausgezeichnet, aus denen Publikum und Professionelle noch während den Vorstellungen in Venedig in Scharen geflohen sind. Die Preise in diesem Jahr gingen durchweg an ein altmodisches Kino, ein Kino, dass ästhetisch schon nicht mehr gegenwärtig ist, geschweige denn, dass es Zukunft hätte.
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In dem Fall, wo die prämierten Werke eindeutig der Vergangenheit angehören, mag das noch Sinn machen – wer wollte die Auszeichnung fürs Lebenswerk an Werner Schroeter kritisieren (zumal dessen neuer Film durchaus sehenswert war), auch wenn sie viele schon seit Wochen auf einen Preis für Schroeter gewettet hatten – ist dieser doch ein alter Wenders-Kumpel aus den schönen 70er-Jahren, den gemeinsamen goldenen Zeiten des »Neuen Deutschen Films«. Und diese Auszeichung hat überdies noch den für Wenders hübschen Nebeneffekt, dass er sich durch sie elegant darum herumdrücken konnte, Christian Petzolds JERICHOW irgendwie zu prämieren, und damit einen unmittelbaren Konkurrenten um die künstlerische Hoheit im deutschen Film.
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Weit schlimmer wiegen aber die Preise für Werke aus dem Niemandsland, wie die beiden für den äthiopischen Film Teza von Halle Garima. Ein Film, den man am besten als typischen Ethno-Festivalfilme und Arthouse-Mainstream bezeichnen kann. Teza ist eine bestenfalls naiv erzählte Fabel über die äthiopische Geschichte aus Sicht der Opposition. Moralisch ehrenwert, filmisch belanglos – käme der Film aus Deutschland oder Italien, spräche man von dilettantischem Bauerntheater. Aber aus einem filmisch unbeschriebenen Land wie Äthiopien kommend, mit Seitenblicken auf Italiens Gasangriffe und andere Verbrechen unter Mussolini, gewinnt Teza an oberflächlicher politischer Bedeutung. Filme dieser Art haben es bei Preisverleihungen leicht, weil gegen sie niemand etwas sagen kann: Ihr Dilettantismus gilt als Ursprünglichkeit außereuropäischer Kultur, ihre Naivität als Unschuld edler Wilder – die Verachtung, die eigentlich in dieser Perspektive liegt, die auf jeden Anspruch verzichtet, solange ein Film nur aus dem »richtigen« Land kommt und die »richtigen« Themen »behandelt«, ist den meisten gar nicht erst bewußt.
Sie sind »wichtig«, weil es kaum Filme aus dieser Region gibt, weil sie Themen eine Stimme geben, die woanders keine haben. Dass diese Stimme außerhalb des Festivals nie gehört werden wird, weil die Filme weltweit kaum Verleiher finden und wieder nur auf Festivals in meist schlecht besuchten Vorstellungen laufen, dass sie auch auf DVD wenn überhaupt, dann schwer zu bekommen sein werden, interessiert dann niemanden mehr. Und wie mager ihre künstlerische Qualität ausfällt, merkt sowieso keiner, denn es sieht sie ja kaum jemand. Sie werden vergessen, und man kann nicht einmal sagen, zu Unrecht.
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Es ist ein Treppenwitz, der allerdings viel über diese Jury verrät, dass der – deutsche – Produzent dieses Films noch während des Festivals erzählte, er wüsste schon »welche 40 Minuten aus dem Film noch herausgeschnitten werden müssen«. Die Jury sah offenbar keine Probleme.
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Ähnlich auch die Auszeichnung für Paper Soldier von Aleksey German Jr. Es ist bekannt, dass dieser Film sowohl von der Berlinale wie vom Festival in Cannes rundheraus abgelehnt wurde – das muss nichts heißen, doch die Premiere dieses öden, dialoglastigen Kammerspiels über die fehlgeschlagenen russischen Mondlandlungsversuche bestätigte alles, was manche schon vor dem Festival an der Einladung für diesen Film kritisiert hatten. Dieses öde, dialoglastige, von Altherrenhumor triefende Kammerspiel über die fehlgeschlagenen russische Weltraumversuche machte allenfalls anschaulich nachvollziehbar, warum es die Russen in den 60ern nicht auf den Mond geschafft haben.
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Der einzige noch halbwegs akzeptable Preis ist der Goldene Löwe für Darren Aronofsky und The Wrestler – übrigens die erste Auszeichnung für einen amerikanischen Regisseur seit 1993 als Robert Altman mit Short Cuts gewann. Eigentlich kein Goldener Löwe, nichts, was das Kino irgendwie bereichert, geschweige denn voran bringt, sondern ein eher belangloser, aber immerhin nicht langweiliger Film – allerdings das reine Nichts ohne seine – drei – excellenten Hauptdarsteller. Ein Schauspielpreis für Mickey Rourke hätte für diesen handwerklich soliden Film völlig genügt. Er lebt vom Charme der Nostalgie. Rourke spielt einen alternden Showcatcher, der seinen Job aus gesundheitlichen Gründen an den Nagel hängen und sein Leben ändern muss. »Honi soit qui mal y pense« – vielleicht konnte sich Wenders mit diesem Mann, der längst seine eigene Legende ist, identifizieren. Jedenfalls beweist Wenders, der einst mit dem Slogan »Opas Kino ist tot« angetreten war, spätestens mit dieser Entscheidung, dass er selbst zur Großvätergeneration gehört. So ändern sich die Zeiten.
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Die traditionsreiche Mostra, das älteste Filmfestival der Welt, betreibt mit einer solchen Auswahl von Filmen und Jury allerdings ihre Selbstanschaffung. Schon in diesem Jahr fehlten viele Vertreter der Branche, und die italienische Presse beschrieb – wenn auch gewiss oft von Lobby-Interessen motiviert – ziemlich präzis die Schwächen des Festivals unter Leiter Marco Müller: »Nie zuvor gab es so viel Unmut und Kritik.« schimpfte etwa der einflußreiche Paolo Mereghetti (u.a. »Corriere della Sera«, »Das Programm scheint unter Müller seinen Kompass verloren zu haben. Es fehlt ein tieferer Sinn des Festivals, eine ›raison d’etre‹. Weder bedient man den Markt, noch formuliert man offen eine Alternativvision. Von allen großen Festivals ist Venedig das sterilste, unfähig zu klarem Geschmack und Stil.« Genau dies, eine eigene, erkennbare Haltung, ist es aber, die neben rein ökonomischen Zwängen, die hier aber auch nicht bedient werden, überhaupt die Daseinsberechtigung eines Festivals ausmachen.)
Rüdiger Suchsland