59. Berlinale 2009
Scheitern als Chance |
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Eröffnung: The International von Tom Tykwer |
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(Foto: Sony Pictures Entertainment Deutschland) |
Von Thomas Willmann
»Keine Erwartungen,« das sei die beste Voraussetzung für eine Jury, aber auch für einen Kinozuschauer generell, sagt Jurypräsidentin Tilda Swinton auf der Pressekonferenz. Aber es ist ein bisschen schwierig, erwartungslos an dieses Jahr ranzugehen. Wegen: DER KRISE. Einmal hat sich die Berlinale ihr wahres Thema nicht gewählt, es hat sie eingeholt. Und zwar mit Macht. Es wird wohl oder übel die Folie sein, die sich über alles legt, sich unter alles schiebt. Und das geht los,
bevor die Berlinale richtig begonnen hat.
Noch wurde kein einziger Film gezeigt, aber schon ist man bei den ganz großen Themen. DIE KRISE sowieso, aber auch der Welthunger, die Situation in Afrika, Fragen nach dem Verhältnis von Leben und Film, nach Demokratie und Kunst. Die Berlinale hat sich in den letzten Jahren gern geschmückt mit dem Spagat zwischen Boulevard-Glamour und Leitartikel-Relevanz. Jetzt wirkt es, zumindest in diesen ersten Stunden des verbalen Vorgeplänkels, so, als
könnte es nach langer Zeit mit letztere wieder einmal ernst werden.
Die Jury dafür stünde zumindest, dies der bestimmende Eindruck nach der Pressekonferenz, zur Verfügung: Das wirkt fast mehr wie ein Panel von Aktivisten, was da versammelt ist – nur ausgerechnet das eine Mitglied, das kalkuliert für diese Rolle besetzt wurde, die Hillary Clinton-artige »Food Aktivistin« Alice Walters, macht etwas den Eindruck von routinierter, professioneller Betroffenheit. Und Isabelle Coixet, als Regisseurin eher Fachfrau für das Private, kommt nicht
so recht zum Zug, so wie hier die Sätze von großer Tragweite herumschwirren.
Denn Swinton, Henning Mankell, der afrikanische Regisseur Gaston Kaboré brennen offensichtlich für ihre Anliegen. Und was könnte eine deutlichere Verkörperung (im wahrsten Sinne) der möglichen Dringlichkeit von Film sein als die Anwesenheit von Christoph Schlingensief in dieser Reihe: Der Mann wurde ja nun auf denkbar drastischste Weise konfrontiert mit der Frage nach den Prioritäten im Leben.
Und dass er es seine Lebenszeit wert findet, sich nun anderthalb Wochen täglich drei Berlinale-Wettbewerbsfilme zu Gemüte zu führen, ist allemal ein Zeichen.
Schlingensief mildert zumindest auch die Befürchtungen, dieses Festival könnte nun zum Siegeszug der Themen-Filme werden: Auf den 1000. Gutmenschenfilm mit Botschaft habe er keinen Bock, sagt er, und wie bei allen seinen Aussagen ist zu hören, wie das Brennen in ihm, das Sprudeln der Ideen, Begeisterungen, Überzeugungen und der Mitteilungsdrang sich nicht gewöhnt haben, sich nicht gewöhnen wollen daran, dass ihnen nur noch der Atem eines Lungenflügels als Treibstoff zur
Verfügung steht.
Schlingensief wünscht sich nicht Botschaften, die brav präsentiert werden und die dann alle brav abnicken können, Schlingesief wünscht sich neue, junge, andere Ästhetiken, die von irgendwoher auf der Welt auftauchen und uns überraschen, überwältigen können. Und genau das war ja der Knackpunkt des Berlinale-Wettbewerbs der letzten Jahre: Dass er sich, wo er künstlerische oder politische Relevanz heischen wollte, diese fast ausschließlich übers
Inhaltliche definierte.
Noch etwas gibt einem die Hoffnung, dass diese Jury nicht einfach nur ein Thema statt eines Films auszeichnen könnte, dass sie sich nicht zum Fürsprecher bloßen Weltverbesserer- oder Betroffenheitskinos machen wird (auch wenn Henning Mankell möglicherweise durchaus Sympathien in diese Richtung hegt...): Dieses Hoffnungssignal sind die bei aller Leidenschaft sehr vernünftigen und klarsichtigen Worte Swintons, was die Rolle solch eines Festivals, solch einer Jury, solcher
Filme in der Welt betrifft: Es ist ein Spiel, sagt sie, dieses Bewerten von Kunst, die ja nicht messbar sei wie Weitsprungrekorde. Und was sie am Film interessiert, was sie begeistert, das ist die Konversation: Dass Filme eine Möglichkeit sind, ins Gespräch zu kommen mit fremden Erfahrungen und Meinungen. Dass sie den Machern die Möglichkeit geben zu sagen: »Das ist mein Leben, meine Welt,« und den Zuschauern die Möglichkeit, für eine Weile die Gemeinsamkeit mit anderen Menschen
zu erleben oder zu entdecken.
Das ist nicht die schlechteste Sicht auf die Macht des Films. Weil sie eben nicht das Dozierende gutheisst, das Besserwisserische und nicht das bloße Auftischen von Problemen als Leistung sieht. Es ist keine naive Sicht auf das Verhältnis von Welt und Kunst. Aber eben vielleicht gerade deswegen so kraftvoll, weil man ja tatsächlich nicht selten das Gefühl hat, die Menschheit könne einen Gutteil ihrer Probleme loswerden könnte, wenn die Menschen
untereinander einfach erstmal mehr ins wahre Gespräch kämen, bevor sie sich unerquickliche Dinge antun.
»Scheitern als Chance« hat Christoph Schlingesief vor einiger Zeit mal als Motto ausgegeben. Und es weht ein Gefühl durch diese erste offizielle Stunde der Berlinale, dass tatsächlich was dran ist an dem alten Klischee, das chinesische Schriftzeichen für »Krise« setze sich nicht umsonst zusammen aus den Zeichen für »Bedrohung« und »Gelegenheit«: Es haucht seltsamerweise etwas von Befreitheit durch diese Pressekonferenz. Weil der Diskurs, der in unserer Welt so
dominierend war in den letzten Jahren, Jahrzehnten, plötzlich seinen Allmachtsanspruch nicht mehr behaupten kann.
Was als unausweichlicher Zwang ausgerufen war, hat sich entzaubert: Das ganze Weltfinanzgebäude auch nur eine Fiktion – und insofern jetzt vielleicht wieder Raum für andere Fiktionen. Alles wieder offen.
Wenn die narzisstischen, lebenssinnentleerten Vollidioten von Bankern die ganze Welt in Geiselhaft nehmen konnten mit ihrem Märchen vom ewigen
Wachstum und den 25%-Renditen, warum sollte dann jetzt nicht vielleicht für ein paar andere, menschlichere Träume die Chance sein, an Macht zu gewinnen?
Wayne Wang reiht sich ein in den anschwellenden Podiums-Gesang vom basisdemokratischen Kino, wo nicht der Besitz der großen Produktionsmittel, sondern der Besitz einer guten Geschichte, eines erzählenswerten Lebens die Berechtigung gibt, die Leinwände zu füllen. Man solle einen Schwung der nur $100 teuren »Flip«
Videokameras z.B. nach Afrika schicken und dort Leute damit drauf los drehen lassen.
Schlingensief, Swinton, Mankell und Kaboré sind sofort angetan von der Idee, es dauert nicht lange, da wird darüber fantasiert, wie man dann zum nächstjährigen Festival die Resultate einladen müsste.
Und das ist das Schöne an dieser Jury, die bei ihrem ersten gemeinsamen Auftritt schon ein wenig den Eindruck einer Verschwörerbande macht: Man traut ihr zu, dass sie tatsächlich etwas entsprechend Verrücktes ausheckt. Freilich, man sollte sich von dem zarten Lüftchen Aufbruchstimmung, das einem in der momentanen allgemeinen Schockstarre hin und wieder um die Nase säuselt, nicht zu schnell umwehen lassen. Der Betrieb ist beharrlich, und noch läuft er. Es wird manches geben an
utopischem Impetus, das er schnell wieder zermalmt und zermahlt. Vielleicht ist diese Jury auch deswegen (noch) so enthusiastisch, weil sie eben noch keine Filme gesehen hat. Die Erfahrung lehrt, dass wenige Dinge den menschlichen Enthusiasmus so schnell ermüden und erlahmen lassen können wie zwei, drei mittelmäßige Filme am Tag.
Aber man konnte nach dieser Pressekonferenz trotzdem nicht ganz das Gefühl loswerden: Wenn es einer Berlinale-Jury zuzutrauen ist, dass sie nicht nur
das Spiel brav mitmacht, sondern beginnt, mit den Regeln zu spielen, dann dieser.
Soll man deswegen wirklich gleich dran glauben, dass auf einem Filmfestival, irgendeinem Filmfestival nochmal – so wie in den Sechzigern, Siebzigern – etwas von Relevanz für die Welt geschehen könnte? Na ja, man kann ja zumindest mal damit anfangen zu hoffen, dass dort, wo das Geschäft, der Betrieb sich als dominierende Kraft zurückzieht, wieder mehr Spielraum für andere Kräfte
herrscht.
Wir werden sehen, was in zehn Tagen von dieser Hoffnung übrigbleibt.
Thomas Willmann