... oder: »Is nu Krise oda nich?«
Von Thomas Willmann
Es ist wie mit der Fußgängerzone: Man hat von ihr gelesen, DER KRISE, und weiß, dass wir schon mitten in ihr stecken. Aber wenn man sich dann zu Haupteinkaufszeiten durch die Fußgängerzone drängelt, sieht man noch nichts davon, dass die Leute weniger Geld hätten, oder weniger Bereitschaft, selbiges auszugeben.
So also auch auf der Berlinale: DIE KRISE war als das große Thema ausgegeben, und vorab waren alle gespannt, wie sie sich wohl auf das Festival auswirken würde. Aber dann
– und das Jury-Urteil bestätigt das mehr als alles – herrschte erstmal doch schlicht Business as usual. Den Betrieb in seinem Lauf halten weder Krise noch maue Filme auf.
Mag sein, dass das so ist wie in den Roadrunner-Cartoons: Wo Wile E. Coyote auch immer noch ein paar Meter nach der Kliffkante geradeaus weiterrennt, obwohl er längst keinen Boden mehr unter den Füßen hat. Aber es ließ einen allemal Ausschau halten nach Zeichen – Zeichen, die entweder zeigen würden, dass sie doch längst da ist, DIE KRISE, oder Zeichen, die beweisen, dass das alles nur alarmistisches Gerede ist, was von ihrer angeblichen momentanen Herrschaft erzählt wird.
Und drum: Unsere Liste der Zeichen, pro und contra Krise, und unsere Deutung.
In der ersten Abteilung sehen Sie:
»Krise? Welche Krise?« – Fünf Zeichen, dass alles noch bestens ist
- Erika Rabau: Der lebende Beweis der Beharrlichkeit der Verhältnisse. Die puckhafte Berlinale-Stammfotografin stakst noch immer (und noch immer mit ihrer unvermeidlichen Lederjacke) bei jeder Pressekonferenz vor dem Podium herum, auch wenn man inzwischen nicht mehr so recht weiß, was sie noch aufrecht-, und wie sie noch die Kamera hält. Vielleicht fotografiert sie auch schon längst nicht mehr wirklich.
- Der Kosslick Dieter: Seine »Wo bin ich hier eigentlich?«-Nummer zelebrierte er ja selbst bei der Bären-Verleihung. Klar, das ist ein Image, das er kultiviert. Aber es gibt einem das beruhigende Gefühl: Selbst wenn einer komplett planlos scheint, kann er noch die Verantwortung tragen für eine ziemlich große, komplexe Organisation – und es funktioniert. Weil er in Wahrheit viel mehr drauf hat, als er zu erkennen gibt. Vielleicht klappt das ja auch mit den
Finanzmarktexperten.
- Ticketrekord! Schon zur Halbzeit mehr Karten verkauft als im gesamten Vorjahr! Die Leute rennen gerade jetzt ins Kino, weil sie Ablenkung brauchen, oder Hilfe beim Verstehen des Geschehens!
- Vor und nach jeder Star-besetzten Pressekonferenz am Seiteneingang des Hotels, bei jedem Roten Teppich: Die Menge an wartenden Fans und Schaulustigen ist definitiv nicht geschrumpft. Ganz offensichtlich haben die Leute noch keine dringlicheren Sorgen als die, sie könnten den Live-Anblick eines Prominenten verpassen.
- Von einer Rationierung des Filmmaterials sind wir offensichtlich noch ein gutes Stück entfernt: So viele drei- und vierstündige Filme gab’s nie. Okay, zugegeben, daran ist vor allem die Retro schuld, weil 70mm-Produktionen nunmal gern nicht nur besonders breit, sondern auch besonders lang sind. Ein Leinwandepos ist kein richtiges Leinwandepos, wenn man das Epische nicht nachher auch im Gesäß spürt. Aber auch im aktuellen Programm wurde die 160-Minuten-Marke
erstaunlich oft übersprungen.
In der zweiten Abteilung aber sehen Sie nun:
»The End is very fucking nigh!« – Zehn Zeichen, dass alles zu spät ist
- Erika Rabau: Eben – vielleicht fotografiert sie in Wirklichkeit schon längst nicht mehr. Vielleicht ist sie nur noch Staffage, ein unverzichtbarer, aber nicht mehr funktionaler Teil der Performance! Und zeigt damit nur, wie uns der Schein trügerisch beruhigen kann.
- Der Kosslick Dieter: Jemand, der so planlos durch die Gegend rennt, kann doch in Wahrheit kein Festival leiten, oder? Er ist der Topmanager des Berlinale-Betriebs, aber die Arbeit machen andere für ihn. An der Spitze steht keine Führungsautorität, sondern einer, der sich gern in Szene setzt. Genau wie in der Wirtschaft!
- Ticketrekord! Tja, und woher kommt der? Zum einen, weil mit dem Friedrichstadtpalast als neuer Spielstätte schlicht mehr Plätze als früher zur Verfügung stehen. Zum anderen, weil heimlich, still und leise die Kontingente für Akkreditierte verkleiniert wurden. Und was heißt das? Die Berlinale gibt Kaufkarten Priorität, sprich: Sie braucht Geld! (Wofür auch die drastische Erhöhung der Akkreditierungsgebühren spricht.) Der Ticketrekord – in Wahrheit ein Zeichen für
den drohenden Bankrott!
- Was die Geschichte vom Ticketrekord außerdem verdächtig scheinen ließ: Es klebte dieses Jahr bei der zentralen Vorverkaufsstelle auf den Tafeln mit dem Programm kein einziger »Ausverkauft«-Sticker. Nun wäre es lächerlich, deshalb anzunehmen, dass tatsächlich keine Vorstellung komplett gefüllt gewesen wäre – die pure Erfahrung lehrte das drastische Gegenteil. Nein, viel schlimmer: Die Berlinale ist derart klamm, dass sie selbst an so ein paar Klebepunkten sparen
muss!
- Die Menge der wartenden Fans und Schaulustigen: Warum können sich die das leisten, da am hellichten Tage Stunden vor einem Hoteleingang rumzustehen, nur um für ein paar Sekunden einen Blick auf irgendeinen Schauspieler zu erhaschen? Na, keine Frage: Weil sei keine Arbeit haben!
- So viele drei-, vierstündige Filme wie nie: Man ist noch großzügig mit dem Material? Von wegen! Alle haben Panik, dass sie demnächst keins mehr bekommen! Drum wird wegbelichtet, was man nur kriegen kann. Und was einmal belichtet ist, gilt auch als zu kostbar, um es im Schnitt wieder wegzuwerfen. Alles rein, egal wie lang der Film dadurch wird!
- Kein kostenloser W-Lan-Zugang mehr für Journalisten. Warum? Weil der Sponsor dafür fehlte. Und man munkelt: Da könnten in den nächsten Jahren noch mehr abspringen. Mal gucken, ob’s 2010 dann an Limousinen fehlt, mit denen die Stars (wohl doch nicht so werbewirksam) durch die Gegend kutschiert werden. Unser Vorschlag: Ökologisch vernünftigere Alternativen suchen! Was dieses Festival braucht, ist ein Sponsor für Fahrräder, mit denen die Schönen und/oder Berühmten, munter
klingelnd, volksnah vor den Roten Teppich velozipedieren können.
- Immerhin: Einen Mineralwassersponsor gab es noch. Allerdings wieder einen anderen als zuletzt. Und einen, wie er symbolträchtiger für unsere Zeit nicht hätte sein können. Die Frage Sekt oder Selters war nämlich damit beantwortet.
- Früher liefen auf der großen Videoleinwand vor dem Berlinale Palast immer nur Übertragungen der Pressekonferenzen und Vorschauen auf die Filme. Dieses Jahr gab’s dort nicht nur heute-Sendungen zu sehen – sonden auch Werbespots. Unter anderem für Billigst-Möbelmärkte und Discount-Supermärkte. Wer’s vorher nicht glaubte, muss es jetzt glauben: Die Berlinale braucht Geld. Und wir sind sicher: Das ist erst der Anfang, das ist der erste, kaum bemerkte kleine Zeh in
der Tür. Ist aber okay. Wir jedenfalls frühen uns auf den Tag, an dem vor einer Großpremiere im Berlinale Palast das Gala-Publikum erstmal ein paar Minuten lokale Diashow-Werbung anschauen darf, so wie es sie ganz früher in den Kinos gab. »Ciao Giorgio Cluny, haste du nach die Filme Hunger? Kommste Du zu Mario Pizza, gleiche um die Äcke. Gibte es die gute Pizza billig. Auche für die Gebutstagsfeia unde die Firmafest. Die Mittwoch Ruhetag.«
-
Okay, dies letzte Omen hat nun nicht direkt mit der Berlinale zu tun. Aber es ist wohl das erschreckendste von allen. Nämlich: Der Juhnke ist weg! Ja, der beim Bahnhof Zoo!
Für alle Nichteingeweihten: Seit Jahr und Tag hing am Eckpfeiler einer Passage neben dem Zoopalast ein Bild, auf dem Harald Juhnke selig mit ausgebreiteten Händen und einer weltmännischen »Da schau an, da kann man nicht meckern, das sieht aber ordentlich lecker aus«-Miene eine vor ihm auf einem Tisch platzierte China-Ente dem geneigten Betrachter präsentierte. Und damit ein nahegelegenes asiatisches Restaurant bewarb. Dieses Bild gehörte zu Berlin wie der
Fernsehturm oder das Brandenburger Tor (und rangierte von seiner kulturhistorischen Bedeutung in etwa zwischen diesen beiden anderen Wahrzeichen). Und nu: Weg! Einfach fort! Nimmer da! Auf die nackten Leuchtröhren dahinter fällt an dessen Stelle der entsetzte Blick.
Und jetzt habe ich die Offenbarung des Johannes schon länger nicht mehr gelesen. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass das Verschwinden des Juhnke-Bildes eines der Zeichen der Apokalypse ist. (Ich glaube, in
The Seventh Sign haben sie’s vergessen, aber man weiß ja, wie schlecht recherchiert diese Hollywood-Reißer sind...)
Wundern Sie sich also nicht, wenn es demnächst Frösche regnet. Oder Chinaenten. Und die Hure Babylon auf einem siebenköpfigen Biest zum Roten Teppich reitet, weil ihr kein deutscher Autobauer mehr die Limousine dafür sponsort.
Noch aber ist vielleicht nicht alle Hoffnung verloren. In einer Stadt, in der man zerstörte Barockschlösser einfach wieder hinbaut, muss doch auch so ein Kulturdenkmal zu retten sein. Wir schlagen die Gründung eines Kommitees und Bürgervereins zur Wiederherstellung des heiligen Juhnke-Bildnisses vor. Und bitten alle interessierten Architekten, schon jetzt mit der Arbeit an ihrem Beitrag für die Ausschreibung zu beginnen. Die nötigen Millionen für das Projekt gibt es bestimmt
aus dem Konjunkturpaket.,/p>
Thomas Willmann