26. Filmfest München 2009
Sexplizit |
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Sinnlich: Emma & Marie | ||
(Foto: Salzgeber & Co. Medien) |
Es ist kaum einen Monat her, da flehte Daniel Sander auf Spiegel-Online in dem Artikel »Lust auf Lust – Macht uns an!« um mehr sexuelle Erotik auf der Kinoleinwand. Er wurde erhört. Das diesjährige Münchner Filmfest zeigte auffallend oft, wenn schon nicht Erotik, so doch jede Menge Haut. Dabei wurden verschiedenste Facetten von Sexualität durchgespielt und – wie sollte es anders sein – ihre Berührungspunkte mit der Liebe, der Einsamkeit und der Selbstsuche
ausgelotet.
Bisweilen ist Sex zu einfach zu haben, so in Stefano Tummolinis Un altoro pianeta (One Day In A Life). Salvatore (gespielt von Antonio Merone) begegnet ein Jahr nach dem Tod seines Freundes einem jungen Mann, der ihn vom Äußeren her an jenen Verstorbenen erinnert. Doch ist er sich unschlüssig, was er von ihm halten soll, da der Fremde kaum genügend Ehrlichkeit und Ernsthaftigkeit für ein etwaiges Näherkommen aufbringt.
Auch macht eine Gruppe junger Frauen Salvatore Avancen, die ihn jedoch eher nerven, da er erstens homosexuell und zweitens zurzeit deprimiert ist. Als Szenerie dient ein Strand, nahe dem FKK-Bereich, der aber nicht abgegrenzt ist, und Salvatore geht mit der Nähe des Nackten recht ungezwungen um. Nach der monotonen Oberflächlichkeit der Figuren der ersten Filmhälfte leitet Regisseur Tummolini den Zuschauer letztlich zu der bewegend inszenierten Kehrtwende und der Einsicht hin, wie
wirkungsmächtig seelische Nacktheit im Vergleich zu körperlicher Nacktheit ist.
Eine kaum noch mögliche Steigerung an oberflächlichem Narzissmus konnte der Zuschauer in dem peruanischen Film Dioses des peruanischen Regisseurs Josué Méndez erfahren. Hier geht es um Angehörige der peruanischen Oberschicht, die mit ihrer privilegierten Position in der Gesellschaft nicht mehr anzufangen wissen, als sich auf Partys regelmäßig hemmungslos zu
besaufen und dabei wenig drum zu geben, mit wem sie schließlich im Bett landen. Wichtig ist einzig, dass es sich beim Partner um einen Standesgenossen, um Ihresgleichen handelt. Dieses Verhalten kulminiert in eine Sequenz, in der der attraktive Diego seine sternhagelvolle, fast bewusstlose, beruflich modelnde Schwester Andrea halbwegs vergewaltigt. Als er, von sich selbst angewidert, bald von ihr ablässt und sich mit dem Rücken zu ihr auf das Bett sinken lässt, langt sie mit
einer grobmechanischen Armbewegung nach seinem Nackenhaar und meint in fürsorglichem Ton, er solle schlafen gehen, was bei allem Schrecken sogar eine schräge Art von Komik durchscheinen lässt. Méndez gelingen dabei eindringliche Bilder wie die Schlusseinstellung: In einer langsamen Kamerafahrt sieht man, wie Kinder der Oberschicht in bunten und ausgefallenen Spielzeugfahrzeugen von ihren jeweiligen Nanas umhegt und umhergeschoben werden.
Im Anschluss an die
Vorführung merkte dann der Regisseur Méndez an, dass Filmemacher nicht sehr viel tun könnten. Entweder würden die Leute einem glauben oder sie glauben einem nicht.
»Das Leben ist so wie man es sich glaubt«, sagen dagegen die großstädtischen Frauen in Gesine Danckwarts UmDeinLeben. Es folgen Einblicke in die Sehnsüchte und Probleme dieser Frauen. Die manchmal aufflackernde lebensphilosophische Perlen entschädigen insgesamt aber zu wenig für die Monotonie, die Kälte der Szenerie und die Bruchstückhaftigkeit des Films, dessen Hauptaussage wohl
darin besteht, dass man sich nicht jeden Mist im Kino oder im Fernsehen antun soll. Männer werden als an jeglicher, weiterbringender Kommunikation desinteressierte Wesen abgetan, ein bisschen sehr einseitig die Einsamkeit der Frauen vorgestellt. Kommunikation ist das Stichwort schlechthin in diesem Film, den man sich nur deshalb im Kino anschauen sollte, um sich mit seinem Sitznachbarn gemeinsam vom Film zu distanzieren und sich dabei näher zu kommen. Dann hätte der an sich
nicht sehr weit führende Film doch noch was erreicht. Dennoch sei ein gelungenes Bild nicht ausgespart: Ziemlich zu Beginn des Films (und leicht variiert noch einmal später) zeigt Danckwart Menschen auf einer Straße, die höher liegt als die graue Stadt im Hintergrund, die wiederum jedoch den Großteil des Leinwandbildes ausmacht. Die Menschen tragen die Stadt und scheinen irgendwie auch von ihr erdrückt zu werden. Man beachte im Übrigen auch, dass sich bei der Schreibweise des Titels UmDeinLeben die Betonung von »Leben« auf »Um« verschiebt, wodurch bereits die Grundaussage angedeutet wird: Filme hätten mit unserem Leben recht wenig am Hut.
Ein Hochkaräter hingegen ist Steve Jacobs treue Verfilmung von Disgrace (Schande). Das Buch wurde vom südafrikanischen Literaturnobelpreisträger J.M. Coetzee geschrieben. Es geht hier um die negative Seite männlicher Sexualität, vor allem um die Vergewaltigungsproblematik in Südafrika. Der Literaturprofessor David Lurie (gespielt von John Malkovich) hat verschiedene außereheliche Verhältnisse, von denen eines auffliegt, das er vielleicht allzu offensiv angegangen ist: »Die Schönheit
einer Frau gehört nicht nur ihr allein. Sie muss sie mit der Welt teilen«, sagt er, und wenn sie sie schon teile, »dann muss sie großzügiger damit werden.« Um sich einen Spießrutenlauf und Häme von Studenten und Kollegen zu ersparen, gesteht er umfassend vor einer universitären Untersuchungskommission und kehrt dem institutionellen Leben den Rücken, um auf dem Land bei seiner Tochter Lucy (Jessica Haines) einen Neuanfang zu versuchen. Bei einem Überfall durch drei junge Farbige
wird seine Tochter vergewaltigt und er fast bei lebendigem Leibe verbrannt. Dennoch will sie das Land unter keinen Umständen verlassen. David ist fassungslos und kann dieses Verhalten nicht nachvollziehen. Ihm steht ein weiterer Schock noch bevor.
Ebenfalls hervorstechend ist der Film von Sophie Laloy J E Te Mangerais – Emma & Marie. Hier muss sich die angehende Pianistin Marie zwischen den Versuchungen der Sinnlichkeit und ihrer Passion
– dem Klavierspiel – entscheiden, wobei wie schon in Un altoro pianeta Homosexualität nicht ausgespart wird. Die wohl sprechendste Szene des Films ist, als Marie sich beim Klavierspielen befriedigt, bis Emma sie unterbricht. Am gleichen Abend gehen sie noch aus, Marie wird auf einer Party von einem Perversen rücksichtslos belästigt. So gehen die beiden jungen Frauen wieder nach Hause und Emma meint, der ungehobelte Kerl hätte Marie vergewaltigt,
wenn sie sie nicht davor bewahrt hätte. Und sie fügt sinngemäß hinzu, Maries Anziehungskraft sei ja schön und gut, ihr Lächeln bezaubernd, aber sie müsse mehr auf sich acht geben. Marie beginnt zu weinen. Emma umarmt sie und nähert sich ihr bis zum Kuss und ihrem ersten gemeinsamen Sex. In der Folge kann man beobachten, wie Emma mehr und mehr die Überhand über Marie gewinnt, und wie diese in ihren Leistungen nachlässt. Der Rest scheint halbwegs vorhersehbar, doch überwindet Laloy die
Erwartungen.
Eine gänzlich andere Annäherung an Künstlerproblematik und Erotik versucht John Maybury mit The Edge of Love, in dem er die Lebensumstände des Dichters Dylan Thomas (gespielt von Matthew Rhys) zur Zeit des Zweiten Weltkriegs unter die Lupe nimmt. Dylans Zuneigung zu seiner Jugendliebe Vera Philipps (Keira Knightley) ist immer noch frisch, auch sie empfindet noch etwas für ihn. Dennoch
heiratet sie den erst sehr verliebten, aber auch selbstbewussten Offizier William Killick, der – im Film (wohl bemerkt!) – Dylan dichterisch das Wasser reichen kann, wenn Vera von sich überzeugen will. Nur schreibt er eben die Verse nicht auf. Neben dieser Weisheit, dass viele der schönsten Verse nur deshalb nicht in die Literatur eingehen, weil sie nie aufgeschrieben wurden, verblasst aber der Rest des Films. Killick muss an die Front; alles erinnert von der Tonlage sehr
stark an Pearl Harbor. Und selbst die Auswahl der Gedichte kann den schrecklich verfälschenden Eindruck entstehen lassen, bei Dylan Thomas handele es sich um einen kitschigen Dichter. Ersatzweise muss Keira Knightley ein bisschen Kleidung fallen lassen.
Sehr sympathisch ist hingegen Max Mayers Adam. Adam (Hugh Dancy), der unter dem Asperger-Syndrom leidet und sich nur mit großer Anstrengung in
Andere einfühlen kann, ist ein großer Sternenliebhaber und kennt unermesslich viele Details zu Planetenkonstellationen, Sternbildern und der Geschichte des Weltalls. Eines Tages trifft er auf die wunderschöne Beth (Rose Byrne), die von ihm fasziniert ist. Sie ist angetan von seinem Wissen und seinem Faible für Waschbären, die er nachts im Central Park in New York beobachtet (ein authentisches Detail, das auf einem persönlichen Erlebnis des Regisseurs beruht). Das Verhältnis
zwischen beiden wird zunehmend intimer, bis es schließlich zu einer Meinungsverschiedenheit kommt. Ein Freund von Adam weist diesen jedoch darauf hin, dass es auf der Welt nur Lügner gebe. Aber man müsse differenzieren. So stapft Adam schließlich durch ein Schneegestöber zu Beth, um sich mit ihr auszusprechen. Dabei scheinen die Flocken eine neue Art von Sternen zu sein, nah und lebendig. Beths Vater jedoch hält nicht viel auf Adam und will Beth eine Liebschaft mit ihm verbieten.
Sie jedoch möchte sich nicht bevormunden lassen, wenngleich auch sie sich noch nicht schlüssig ist, was sie eigentlich will.
Auf einer ganz anderen Ebene spielt Zoltan Pauls Komödie Unter Strom. Der Regisseur selbst meint zum Film: »Bei aller Komödienmechanik war mir Ehrlichkeit das Wichtigste. Hohler Pathos und billige Klamotte mit Lachern um jeden Preis sind mir ein rotes Tuch.« Diese
Aussage muss ironisch gemeint sein und eine Falle für jeden Filmkritiker. Schon der Titel macht deutlich: »Hier handelt sich um eine Parodie, die weit unterhalb vom Mainstream verläuft.« Besonders die Sexversessenheit des aktuellen Kinos wird auf die Schippe genommen: selbst nach mehrmaligem Anschauen dürfte es keine Schande sein, das wild wuchernde Beziehungsgeflecht noch immer nicht ganz aufgedröselt zu haben. Die absurde Kidnappingaktion, um die es im Film grundsätzlich
geht, wird jedenfalls von allerlei Gags, häufig running-Gags, aber auch von jenen begleitet, die abgedroschen oder gezwungen wirken: So hält die notgeile Kommissarin Fressmann (man beachte die Wortkomik!) eine neue Information für ihren schwulen Kollegen Kaminski (Ralph Herforth) parat: Der Entführer habe eine weitere Geisel genommen. »Und rate mal wen!« – »Weiß nicht, irgend nen armen Schlucker?« – »Den Wirtschaftsminister.« Immerhin beschränkt sich der Gag hier nicht auf
den Seitenhieb zur Staatsverschuldung, sondern (wie man wenig später erfährt) es pflegt der Kommissar Kaminski eine homosexuelle Beziehung zum Minister, der aber schließlich, als Kidnapper Frankie (Hanno Koffler) ihn zwingt vor die Presse zu treten, zu seiner Neigung steht. Frankie kann es nicht fassen und meint halb zu sich: »Hast du den Arsch offen?« In der nächsten Einstellung ringt der Minister nach Worten: »Ja.« Daniel Trieb (Harald Kassnitzer; man bemerke erneut die herrliche
Wortkomik: Trieb) beschwert sich unentwegt über die Ehe mit Anna (Catrin Striebeck), aber gleichzeitig will er ihre Scheidung nicht akzeptieren. Eine der Geiseln hat übrigens eine Dauererrektion, während der Innenminister als Mafiaboss inszeniert wird. Wer auf Brechstangenkomik steht: hier kann er wahrlich fündig werden.
In dieselbe Kategorie der Filme, die man sich unter Umständen ansehen kann, wenn gar nichts anderes zu tun ist, fällt wohl auch 199 recetas para ser feliz des chilenischen Regisseurs Andrés Waissbluth. Hier geht es um eine Dreiecksbeziehung zwischen Jordi, Helena und Sandra, die nach dem mysteriösen Tod ihres Freunds Tomás bei Jordi und Helena Unterschlupf sucht und mit ihrer Forschheit sowohl beim Mann als auch bei der Frau sexuelles Interesse erregt.
Eastern Plays dagegen, Kamen Kalevs schon auf dem Filmfestival in Cannes gefeierter Film, verbindet akute Problematiken der bulgarischen Hauptstadt Sofia mit der Suche nach dem ganz persönlichen Messias verbunden werden und gelangt dabei zu echter Größe. Georgi (Ovanes Torosian) gerät in die Neonaziszene (Mittelmann Fish ködert ihn mit weichen Drogen und politisch natürlich wenig korrekten Witzen: »Wieso tauchen keine Araber in Star Trek
auf? Na? Weil es in der Zukunft spielt.«). Währenddessen sucht Georgis Bruder Itso (Christo Christov), der als Künstler tätig ist, nach Erlösung. Wovon? Vielleicht von der Unverstandenheit. Und tatsächlich scheint sein Leben die richtige Richtung zu bekommen, als er der hübschen Türkin Isil näher kommt, deren Vater von einer Gang, zu der auch Georgi gehört, verprügelt wurde. Itso bewahrte ihn vor Schlimmerem. Isil (gespielt von Saadet Aksoy) ist sich sicher, dass es Menschen gebe, die
einem die Wahrheit enthüllen könnten: sie sei einem solchen bereits begegnet, und sie habe sich danach stundenlang ausgeweint, und ihr sei klar geworden, dass sie nur ein Roboter war. Nun aber habe sie gelernt, sich selbst zu programmieren. Doch rascher als geplant reist sie mit ihrer Familie wieder zurück in die Türkei und Itsos Lethargie nimmt wieder ihren Lauf.