60. Berlinale 2010
Geteilte Liebe, geteilte Freude |
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Chinesisches Wiedersehen im Eröffnungsfilm Tuan Yuan |
60 Jahre alt wurde die Berlinale gestern Abend, und das Festival, das einst begründet wurde, um der im Kalten Krieg geteilten Stadt »ein Schaufenster für die Welt« zu bieten, feierte dieses Jubiläum mit einer Geschichte über eine andere Teilung – auch in China war es der Kalte Krieg, der Gegensatz zwischen Maos Kommunisten und den rechtsautoritären, US-gestützten Kuomintang-Falangisten Tschiang Kai-cheks, der zur Teilung in die Volksrepublik und Taiwan führte. Auch wenn der Wind sich gedreht hat, beide Diktaturen sich längst demokratisierten, ist das Land immer noch geteilt. Genau hiervon erzählt Regisseur Wang Quan'an, der vor drei Jahren hier mit Tuyas Hochzeit den Goldenen Bären gewann, in seinem Eröffnungsfilm – in Form einer Liebesgeschichte: Tuan Yuan, auf Mandarin so ungefähr »Zusammen geteilt« ist hochgradig berührend: Liu, ein alter Kriegsveteran, der 1949 mit Tschiang emigrierte, besucht hier erstmals seine Heimat Shanghai – und begibt sich auf die Suche nach Qiao, seine große Liebe. Ein gemeinsamer Sohn existiert, beide sind alt, und haben eine Familie. Es ist eine Geschichte über das ungelebte Leben, über Schmerz und Verlust, über die Pluralität von Liebe, wie die Intensität von Gefühlen, die vielleicht noch wächst, wenn, die denen sie gelten, nur in der Vorstellung existieren. Hochmelancholisch, aber auch ein listiger Film: Denn natürlich geht es hier auch um die aktuelle politische Hass-Liebe-Beziehung der beiden Chinas, um den Zusammenhalt eines geteilten Landes. Der in Peking lebende, 1965 geborene Regisseur Wang Quan'an, in seiner Heimat ein unabhängiger Einzelgänger, erzählt diese verwickelte Liebesverhältnisse nicht als Geschichte von Individuen, sondern von Menschen, nicht aus der Perspektive einer – verklärten? – irgendwie besseren Vergangenheit, sondern einer Gegenwart, die ihr eigenes Recht hat. Es geht nicht ums Rechthaben, nicht um Entweder-Oder wie in Europa, sondern um den Ausgleich der Elemente. Man mag das taoistisch und sehr fernöstlich finden, vielleicht ist es aber auch ein ganz einfacher menschlicher Pragmatismus, angewandte Humanität. Wang liebt jedenfalls Europa mit einer Schwärmerei, wie sie Europäer mitunter für Fernost entwickeln, er nennt Godard und Fassbinder und die Musik von Bach – auch hier also Proportionen und Beziehungen als poetisches Prinzip. Inszeniert ist konventionell, also in gewohnten Bahnen, ohne dem Publikum zuviel Kunstwillen zuzumuten, aber auch ohne die Handlung zu banalisieren oder in Sentimentalität zu ertränken – ein angemessener, guter Eröffnungsfilm.
Aufregung um ihn hatte es im Vorfeld gegeben. Denn die chinesische Schauspielerin Yu Nan, die in diesem Jahr Mitglied der Wettbewerbs-Jury ist, hat auch Hauptdarstellerin in Tuyas Hochzeit und hat mit Wang Quan'an schon vier Filme gedreht. Kann sie da überhaupt unparteiisch sein? Diplomatisch war ihre Wahl also etwas ungeschickt, und auch wenn Berlinale-Pressesprecherin Frauke Greiner versicherte, alle Jurymitglieder würden »natürlich professionell unabhängig bleiben«, gibt es berechtigte Zweifel daran, ob das Urteil von Yu Nan volle Gültigkeit haben kann.
Diese Episode fügt sich in einen Gesamteindruck viele professioneller Beobachter: Nach mehreren schwachen Wettbewerben hintereinander scheint Berlinale-Chef Dieter Kosslick seinen Sympathiebonus allmählich aufgebraucht zu haben, die Schonzeit, die lange für die traditionell freche Berliner Presse gegolten hatte, vorbei zu sein: Die Jagd eröffnete Donnerstag der Tagesspiegel. Dessen Filmkritiker Jan Schulz-Ojala nannte Kosslick einen »Filmvolksbeglücker«, monierte – zu Recht! –, der Wettbewerb verliere zunehmend an Niveau, und sah ihn in diesem Jahr etwas boshaft zwischen Locarno und Saarbrücken, konstatierte Popularisierung und Provinzialisierung.