12.02.2010
60. Berlinale 2010

Geteilte Liebe, geteilte Freude

Tuan Yuan
Chinesisches Wiedersehen im Eröffnungsfilm Tuan Yuan

Die 60. Berlinale beginnt mit einem angemessenen Eröffnungsfilm und ein wenig Streit

Von Rüdiger Suchsland

60 Jahre alt wurde die Berlinale gestern Abend, und das Festival, das einst begründet wurde, um der im Kalten Krieg geteilten Stadt »ein Schau­fenster für die Welt« zu bieten, feierte dieses Jubiläum mit einer Geschichte über eine andere Teilung – auch in China war es der Kalte Krieg, der Gegensatz zwischen Maos Kommu­nisten und den rechts­au­tori­tären, US-gestützten Kuom­in­tang-Falang­isten Tschiang Kai-cheks, der zur Teilung in die Volks­re­pu­blik und Taiwan führte. Auch wenn der Wind sich gedreht hat, beide Dikta­turen sich längst demo­kra­ti­sierten, ist das Land immer noch geteilt. Genau hiervon erzählt Regisseur Wang Quan'an, der vor drei Jahren hier mit Tuyas Hochzeit den Goldenen Bären gewann, in seinem Eröff­nungs­film – in Form einer Liebes­ge­schichte: Tuan Yuan, auf Mandarin so ungefähr »Zusammen geteilt« ist hoch­gradig berührend: Liu, ein alter Kriegs­ve­teran, der 1949 mit Tschiang emigrierte, besucht hier erstmals seine Heimat Shanghai – und begibt sich auf die Suche nach Qiao, seine große Liebe. Ein gemein­samer Sohn existiert, beide sind alt, und haben eine Familie. Es ist eine Geschichte über das ungelebte Leben, über Schmerz und Verlust, über die Plura­lität von Liebe, wie die Inten­sität von Gefühlen, die viel­leicht noch wächst, wenn, die denen sie gelten, nur in der Vorstel­lung exis­tieren. Hoch­me­lan­cho­lisch, aber auch ein listiger Film: Denn natürlich geht es hier auch um die aktuelle poli­ti­sche Hass-Liebe-Beziehung der beiden Chinas, um den Zusam­men­halt eines geteilten Landes. Der in Peking lebende, 1965 geborene Regisseur Wang Quan'an, in seiner Heimat ein unab­hän­giger Einzel­gänger, erzählt diese verwi­ckelte Liebes­ver­hält­nisse nicht als Geschichte von Indi­vi­duen, sondern von Menschen, nicht aus der Perspek­tive einer – verklärten? – irgendwie besseren Vergan­gen­heit, sondern einer Gegenwart, die ihr eigenes Recht hat. Es geht nicht ums Recht­haben, nicht um Entweder-Oder wie in Europa, sondern um den Ausgleich der Elemente. Man mag das taois­tisch und sehr fernöst­lich finden, viel­leicht ist es aber auch ein ganz einfacher mensch­li­cher Prag­ma­tismus, ange­wandte Humanität. Wang liebt jeden­falls Europa mit einer Schwär­merei, wie sie Europäer mitunter für Fernost entwi­ckeln, er nennt Godard und Fass­binder und die Musik von Bach – auch hier also Propor­tionen und Bezie­hungen als poeti­sches Prinzip. Insze­niert ist konven­tio­nell, also in gewohnten Bahnen, ohne dem Publikum zuviel Kunst­willen zuzumuten, aber auch ohne die Handlung zu bana­li­sieren oder in Senti­men­ta­lität zu ertränken – ein ange­mes­sener, guter Eröff­nungs­film.

Aufregung um ihn hatte es im Vorfeld gegeben. Denn die chine­si­sche Schau­spie­lerin Yu Nan, die in diesem Jahr Mitglied der Wett­be­werbs-Jury ist, hat auch Haupt­dar­stel­lerin in Tuyas Hochzeit und hat mit Wang Quan'an schon vier Filme gedreht. Kann sie da überhaupt unpar­tei­isch sein? Diplo­ma­tisch war ihre Wahl also etwas unge­schickt, und auch wenn Berlinale-Pres­se­spre­cherin Frauke Greiner versi­cherte, alle Jury­mit­glieder würden »natürlich profes­sio­nell unab­hängig bleiben«, gibt es berech­tigte Zweifel daran, ob das Urteil von Yu Nan volle Gültig­keit haben kann.

Diese Episode fügt sich in einen Gesamt­ein­druck viele profes­sio­neller Beob­achter: Nach mehreren schwachen Wett­be­werben hinter­ein­ander scheint Berlinale-Chef Dieter Kosslick seinen Sympa­thie­bonus allmäh­lich aufge­braucht zu haben, die Schonzeit, die lange für die tradi­tio­nell freche Berliner Presse gegolten hatte, vorbei zu sein: Die Jagd eröffnete Donnerstag der Tages­spiegel. Dessen Film­kri­tiker Jan Schulz-Ojala nannte Kosslick einen »Film­volks­be­glü­cker«, monierte – zu Recht! –, der Wett­be­werb verliere zunehmend an Niveau, und sah ihn in diesem Jahr etwas boshaft zwischen Locarno und Saar­brü­cken, konsta­tierte Popu­la­ri­sie­rung und Provin­zia­li­sie­rung.